Y Y wie Yves
by Barbara Könches
„Wenn im Text vom Künstler Yves Klein die Rede ist, heißt er meistens nur ‚Yves‘. Dies erklärt sich nicht nur aus der Freundschaft des Verfassers mit dem Künstler, sondern aus dessen bewußter Betonung des Vornamens als ausreichender Benennung. Er wünschte es so, und jedermann nannte ihn Yves.“[i] So schrieb Paul Wember (1913-1987), „Leiter des Kaiser-Wilhelm-Museums in Krefeld“ und „ab 1957 und bis zu Kleins Tod 1962 ihm freundschaftliche verbunden“, im Vorwort des ersten Werkverzeichnis Yves Klein, das im Verlag M. DuMont Schauberg in Köln 1969 erschien. Angeregt hatte die Publikation Rotraut Klein (*1938), die – wie Wember betonte – maßgeblich im Verlauf von sechs Jahren dazu beigetragen hatte, den „Überblick über sein [Kleins] Oeuvre“ zusammenzutragen.[ii]
[i] Paul Wember, Yves Klein. Werkverzeichnis. Biographie. Bibliographie. Ausstellungsverzeichnis. Bearbeitet von Gisela Fiedler. Köln 1969, S. 7.
[ii] Wember (wie Anm. 1), ebd.
Wember war der erste und einzige Museumsdirektor zu Yves´ Lebzeiten (1928-1962), der ihm 1961 eine Einzelausstellung in einem deutschen Museum ausrichtete. Damals eine sehr mutige Tat, denn Yves Klein, seine Person wie seine Kunst waren lange Jahre höchst umstritten, was man sich heute nicht mehr vorstellen kann.
In der angesehenen deutschen Wochenzeitschrift Die Zeit veröffentlichte Jürgen Claus (1935-2023), selbst Künstler und Kunsttheoretiker, eine Rezension über Wembers Werkverzeichnis, das sehr aufwendig ausgestattet war, und wer es erwerben wollte, musste den damals stolzen Preis von 180 Mark aufwenden. „Ich würde das Buch gern meinen Freunden empfehlen“, bedauerte Claus, „[…] nur kann sich leider keiner meiner Freunde das Buch kaufen […].[i]“ Dennoch trübte der hohe Preis den Blick des Kritikers nicht, im Gegenteil kündigte er zu Beginn seines Aufsatzes an, er habe „nicht die Absicht, den beiden Verrissen des Yves Klein, die bislang in der ZEIT erschienen, einen weiteren Verriß beizugesellen.“[ii] Vielmehr wägte Jürgen Claus die Verdienste Kleins ab und resümierte mit salomonischem Urteil: „Akzeptiert man die expandierende Funktion der Kunst, dann kann man auch, meine ich, den mystisch-spekulativen Grundton des Franzosen zumindest in Kauf nehmen, wenn man ihn schon nicht billigen will. Zieht man ihn ab, so bleiben genug Herausforderungen, Bilder, Gedanken, Plastiken, Skizzen, an die man sich halten kann.“[iii]
[i] Jürgen Claus, „Herausforderung des Yves Klein. Eine erste Monographie über den umstrittenen französischen Künstler“, in: Die Zeit, Nr. 25, 20. Juni 1969 (https://www.zeit.de/1969/25/herausforderung-des-yves-klein, zuletzt 2.03.2024).
[ii] Claus (wie Anm. 3), ebd.
[iii] Claus (wie Anm. 3), ebd.
Der erste „Verriß“ in eben dieser Wochenzeitung erschien am 17. August 1962, also kurz nach dem Tod von Yves am 6. Juni 1962, unter der Überschrift „Der erste Meister, der vom Himmel fiel“[i] und sein Autor war ausgerechnet Klaus Jürgen-Fischer (1930-2017), der nicht nur selber Künstler und im Verlag seines Vaters Kunstredakteur[ii] war, sondern derjenige, der bei der für die ZERO-Kunst so entscheidenden 7. Abendausstellung Das rote Bild im Atelier Gladbacher Straße 69 die Eröffnungsrede gehalten hatte. Und wenn auch nicht ganz so prominent wie Yves Klein, so war Klaus J. Fischer, wie er sich in dem die Ausstellung begleitenden Magazin ZERO 1nannte, doch mit einer Antwort auf die Frage „Wohin geht die Farbe?“ vertreten.[iii]
Jürgen Claus wählte den Begriff des „Verriß“ nicht von ungefähr, denn Jürgen-Fischers Text war und ist persönlich beleidigend, fern ab einer kritischen Beurteilung und tatsächlich so verleumdend, dass man ihn bis heute an keiner Stelle zitieren möchte.
[i] Klaus Jürgen-Fischer, „Der erste Meister, der vom Himmel fiel“, in: Die Zeit, Nr. 33, 17.08.1962 (https://www.zeit.de/1962/33/der-erste-meister-der-vom-himmel-fiel, zuletzt 2.03.2024).
[ii] In der Kunstzeitschrift Das Kunstwerk, Baden-Baden, die im Verlag Agis in Baden-Baden erschien.
[iii] Vgl. ZERO 1, hrsg. von Otto Piene, Heinz Mack, Düsseldorf 1958, S. 20.
Wieviel verletzender müssen die Worte auf einen Freund gewirkt haben?
Otto Piene (1928-2014) war ein solcher Freund und nicht nur das, er entschloss sich augenblicklich gegen die infame Berichterstattung zu intervenieren. Noch am selben Tag tippte Piene einen Brief „an die Redaktion der ‚Zeit‘ Hamburg Pressehaus“[i] in seine Schreibmaschine:
[i] Otto Piene an die Zeit bzw. Doktor Leonhardt, Düsseldorf, 17.08.1962, Archiv der ZERO foundation, Nachlass Otto Piene, mkp.ZERO.2.I.1359.
„Nach meiner Kenntnis der Person des Yves Klein – menschlich und künstlerisch – darf ich Ihnen versichern, [dass] die Ausführungen in Ihrer Zeitung böswillig, unwahr, unmoralisch sind.“ Piene erklärte weiter, dass Jürgen-Fischer „schon zu Lebzeiten Yves Kleins immer wieder versucht[e], ihn zu verunglimpfen“. „Dass Sie [die Zeit-Redaktion bzw. Rudolf Walter Leonhardt als Feuilletonchef] dem Stänker Jürgen-Fischer Gelegenheit dazu geben, ist mir völlig unverständlich und zeugt, ganz gelinde gesagt, von wenig Takt.“
„Yves Klein ist auf sehr unfaire Weise durch Ihr ‚Deutsches Wochenblatt‘ verhöhnt worden und kann sich nicht wehren. Bitte lassen Sie ihm Gerechtigkeit widerfahren, indem Sie der Herabwürdigung eine Würdigung folgen lassen.“ (Otto Piene)
Sich einfach zu beschweren, wäre das Eine gewesen, doch Piene möchte Gerechtigkeit für seinen verstorbenen Freund. Er bittet darum, dass man ihm oder einem anderen Gelegenheit böte, „eine positive Würdigung Kleins […] folgen zu lassen. „Um der geistigen Sauberkeit willen [,] würde ich sie völlig unpolemisch halten und auf den Fischer-Artikel nicht eingehen, denn es wäre dem Verstorbenen kein Dienst erwiesen, ein öffentliches Gezänk zu veranstalten.“
Umgehend kam ein Brief aus der Feuilleton-Redaktion der Zeit zurück. Dr. Leonhardt (1921-2003) bedankte sich bei Piene für seine offene Stellungnahme und sandte ihm anbei einen anonymen Brief zu. Da „der zu feige [sei], seinen Namen zu nennen […],“[i] müsse Piene wohl doch die Sache „mit Herrn Jürgen-Fischer selber diskutieren.“ Und Leonhardt fügte noch eilig hinzu: „Dessen Artikel entspricht im übrigen durchaus den Überzeugungen der ZEIT-Redaktion.“[ii]
Es dauert keine zwei Tage, bis Otto Piene erneut ein Schreiben an „Herrn Dr. Leonhardt“ verfasst und ihm den Brief des „Schlaumeiers aus Trier“ zurückschickte. Im Anschluss erklärte er dem Feuilletonleiter, worum es ihm und seinen Freunden, „von denen manche auch die Freunde von Yves Klein waren“, ging: „Yves Klein ist auf sehr unfaire Weise durch Ihr ‚Deutsches Wochenblatt‘ verhöhnt worden und kann sich nicht wehren. Bitte lassen Sie ihm Gerechtigkeit widerfahren, indem Sie der Herabwürdigung eine Würdigung folgen lassen.“[iii]
Trotz der Bemühungen Pienes unterließ man es in der Hamburger Redaktion eine zweite Meinung über den Künstler, der sich Yves nannte, einzuholen.
[i] R.W. Leonhardt an Otto Piene, Hamburg, 20.08.1962, Archiv der ZERO foundation, Nachlass Otto Piene, mkp.ZERO.2.I.1360.
[ii] Leonhardt (wie Anm. 10).
[iii] Otto Piene an R. W. Leonhardt, Düsseldorf, 22.08.1962, Archiv der ZERO foundation, Nachlass Otto Piene, mkp.ZERO.2.I.1361.
Yves Klein musste viel Kritik einstecken, wie Paul Wember in seiner Werkmonografie im Kapitel „Urteile und Begegnungen“ nicht verhehlt mitzuteilen.[i] „Neben schlechten Beurteilungen, Verdrehungen, Herabsetzungen, Nichtverstehen hatte Yves unter den Künstlern, Kritikern und Kunstinteressierten viele echte Freunde, die ihn schätzen, sich über seine Arbeiten freuten und seine Aktionen echt bewunderten“, berichtete Wember und führte im Anschluss zahlreiche Freunde namentlich auf, so auch Norbert Kricke (1922-1984), der „als erster deutscher Künstler Yves in Paris in seiner Bedeutung richtig gesehen“ habe.[ii] Für eine „Reihe anderer deutscher Künstler, die früh mit ihm befreundet waren, […] besonders für die Zero-Gruppe, für Mack, Piene und Uecker“ sei Yves eine Art Anreger und Inspirator gewesen. In vielen Gesprächen und Erinnerungen haben alle drei – Mack, Piene und Uecker – sowohl in der ZERO-Zeit wie auch später – die Bedeutung Yves Kleins und ihre je individuelle tiefe Freundschaft häufig betont. Nicht zuletzt zeugt die prominente Rolle, die Yves Klein in den ZERO 1– und ZERO 3[iii]-Magazinen zukommt, von der Wertschätzung, Hochachtung und Freundschaft zwischen Heinz, Otto, Günther und Yves.
[i] Wember (wie Anm. 1), S. 54.
[ii] Wember (wie Anm. 1), S. 57.
[iii] Für dieses Vertrauen zeugt auch, dass Yves Klein in einem sechsseitigen handgeschriebenen Brief genaue Anweisungen an Otto Piene weitergibt, wie die Seiten in ZERO 3 zu verbrennen seien: „– Please Piene make it in a lovely way – I know it is may be a delicate WORK – but do it – I am sure you will not let me down with this“, Archiv der ZERO foundation, Nachlass Otto Piene, mkp.ZERO.2.I.2095, S. 3-4. Offensichtlich hatte Piene alles richtig gemacht, denn es existiert kein weiterer Brief in der Sache. Yves Klein scheint sich auch nicht daran gestört zu haben, dass die Anthropometrie Nummer 113, bei Wember Ant 113 betitelt, und in ZERO 3 mit der Überschrift „Yves Klein Le Monochrome. Vers L´Anthropophagie universelle“ bezeichnet, in der Publikation falsch herum abgebildet wurde.