V Volt
by Romina Dümler Rebecca Welkens Nicole Reds Martina Kerkhoff
Antriebsenergie für ZERO
Elektrischer Strom, dessen Spannung in der Maßeinheit Volt angegeben wird, ist die unerlässliche Antriebsenergie für viele Werke der ZERO-Künstler*innen. Sie strebten nach einer Verbindung von Kunst, Mensch und Technik, was sich in ihren Arbeiten aus den späten 1950er und 1960er Jahren und insbesondere in den verwendeten Materialien widerspiegelt. Glühlampen und elektrisch betriebene Motoren zeugen beispielsweise in den Lichtballetten von Otto Piene (1928–2014) oder den beleuchteten Chronotopi von Nanda Vigo (1936–2020) von der Auseinandersetzung der Künstler*innen mit Technik. Ebenso machen sie den Stellenwert von Technik für das jeweilige Oeuvre sichtbar, handelt es sich bei den genannten Beispielen doch auch um Schlüsselwerke, denen langjährige Beschäftigungen mit den zeitgenössischen technischen Möglichkeiten und ihrer Nutzbarmachung für die eigene Kunst vorausgingen.
Heute stellen die lichtkinetischen Werke, die aus den 1950er und 1960er Jahren stammen, für die Konservator*innen eine besondere Herausforderung dar, weil die technischen Geräte und Leuchtmittel im Laufe der vergangenen 70 Jahre mittlerweile Abnutzungserscheinungen aufweisen oder zum Teil schlichtweg nicht mehr funktionieren.[i] Die intendierte Wirkung, die sich aus den spezifischen Funktionen der elektrischen Werke ergibt, lässt sich heute kaum mehr reproduzieren, wenn bestimmende Faktoren wie die richtigen Glühlampen nicht mehr hergestellt werden.
[i] Im Rahmen der Ausstellung Zero ist gut für Dich: Mack, Piene, Uecker in Bonn, 1966/2016 fand am 8. Dezember 2016 das Symposium Light On / Off: Reconstruction and Presentation of Light Installations im LVR-Landesmuseum in Bonn statt. Im Zuge des Symposiums wurde 2018 ein Begleitband zur Tagung veröffentlich. ZERO foundation (Hrsg.), Light on / off. Restaging ZERO, Düsseldorf, Bonn 2018.
Das Interview mit den Restauratorinnen Nicole Reds und Martina Kerkhoff gibt Einblicke, wie kinetische Kunstwerke durch die Kombination von Fachwissen, handwerklichem Geschick und Archivrecherche im Sinne der Künstler*innen erhalten werden können. An Objekten von Günther Uecker (*1930) und Heinz Mack (*1931) erläutern sie aktuelle restauratorische Vorgehensweisen für elektrisch betriebene Arbeiten. Damit wird ein wichtiger Aspekt der ZERO-Kunst sichtbar, der sonst im Verborgenen bleibt.
ZERO foundation: Stellt euch bitte kurz vor. Was sind eure Aufgaben? Und wie definiert sich eure Zusammenarbeit?
Nicole Reds und Martina Kerkhoff: Die Bewahrung von Kunst- und Kulturgut für zukünftige Generationen ist das Hauptanliegen unserer Tätigkeit als Restauratorinnen. Daran arbeiten wir gemeinsam in dem 2010 von Martina Kerkhoff und Diana Vogel gegründeten Restaurierungsatelier Kerkhoff & Vogel in Bochum.
Zu unseren Aufgabenbereichen gehören neben der Konservierung und Restaurierung von Gemälden, Skulpturen und zeitgenössischer Kunst unter anderem auch die Durchführung kunsttechnologischer Untersuchungen, die Betreuung von Ausstellungen und Kunsttransporten sowie die Betreuung von Depots und Sammlungen.
Um den Kunstwerken bei der Restaurierung in ihrer Authentizität möglichst gerecht zu werden, erfolgt die Entwicklung der Restaurierungskonzepte immer unter Einbeziehung der bestehenden restaurierungsethischen Grundprinzipien. Dazu gehört zum Beispiel nur minimalinvasiv einzugreifen und möglichst eine Reversibilität der umgesetzten Maßnahmen zu gewährleisten. Als Grundlage dienen dabei sorgfältige Analysen und die Abwägung verschiedener Handlungsoptionen. Gerade bei zeitgenössischen, kinetischen Kunstwerken können diese sehr komplex sein, da oftmals nicht nur die Erhaltung der Originalsubstanz relevant ist. Für die Bewahrung ihrer Werkbedeutung können auch weitere Faktoren wie Funktionalität oder die ursprüngliche künstlerische Intention entscheidend sein.
Zf: Vor kurzem habt ihr ein wichtiges Restaurierungsprojekt abgeschlossen, denn die Kunsthalle Recklinghausen präsentierte ihre Sammlung neu – darunter zwei ZERO-Werke: Hommage à Broadway von Günther Uecker, 1965, und Lichtdynamo von Heinz Mack, 1963. Wie kam es dazu?
NR, MK: Zu unseren regelmäßigen Auftraggeber*innen zählen auch einige der RuhrKunstMuseen, darunter die Kunsthalle Recklinghausen. Der 2021 ans Museum gewechselte neue Direktor Nico Anklam veranlasste als eine seiner ersten Amtshandlungen die gemeinsame Sichtung des Außendepots, bei welcher einige kinetische Kunstwerke zutage traten, die nicht ausstellungsfähig und restaurierungsbedürftig waren. Darunter befanden sich auch die von euch genannten Werke. Daraufhin untersuchten wir sie genauer und analysierten ihren Erhaltungszustand. Auf dieser Grundlage erfolgte die Entwicklung der Restaurierungskonzepte mit dem Ziel, die Objekte wieder in einen ausstellungsfähigen Zustand zu versetzen.
Zf: Was sind die Besonderheiten der beiden Werke?
NR, MK: Sowohl bei Hommage à Broadway als auch beim Lichtdynamo handelt es sich um es Objektkästen mit einer runden Rotorscheibe im Inneren. Sie haben gemeinsam, dass die Bewegung dieses Rotors ein integraler Bestandteil ihrer Werkidentität ist. Erst die Drehung des Rotors ermöglicht die künstlerisch intendierten optischen Effekte.
Bei dem Lichtdynamo von Heinz Mack ist die Rotorscheibe mit vertikal aufstehenden Lamellen strukturiert und mit verschiedenen Materialien silbern gestaltet. Der Kasten selbst ist mit einer gewellten Scheibe verglast. Sofern sich der Rotor dreht, erzeugen die Lamellen zusammen mit der davorliegenden Scheibe eine Interferenz – also eine optische Überlagerung. Das führt zu fließenden Bewegungen und dem Eindruck von Wasser oder flüssigem Glas. Außerdem scheint es, als würden sich die Strukturen in verschiedene Richtungen bewegen, obwohl sich tatsächlich die gesamte Scheibe in eine Richtung dreht.
Das Objekt Hommage à Broadway von Günther Uecker beinhaltet eine hölzerne, mit Leinwand bezogene Rotorscheibe, die mit zahlreichen Nägeln beschlagen und gebrochen weiß gefasst ist. Sie wird seitlich angestrahlt, sodass die Nägel in einem starken Streiflicht erscheinen. Durch die Rotation der Scheibe ergibt sich ein stetiges Wechselspiel aus Licht und Schatten und eine komplexe, sich verändernde kinetische Struktur.
Dabei wird die visualisierte Bewegung bei beiden Objekten durch einen rückseitig angebrachten Elektromotor initialisiert. Im Unterschied zu Macks Lichtreliefs, die das externe Licht reflektieren, enthält das lichtkinetische Nagelobjekt von Uecker außerdem mehrere innenliegende Lichtquellen. Durch diese Lichtquellen hat Uecker die Lichtsituation des Werkes genau definiert und von äußeren Gegebenheiten weitgehend unabhängig gestaltet. Um die authentische Erfahrbarkeit des Kunstwerks wieder zu ermöglichen, war uns daher für die Restaurierung auch die Beibehaltung der ursprünglich intendierten Beleuchtungssituation besonders wichtig.
Zf: Welche Herausforderungen ergaben sich bei der Restaurierung der kinetischen ZERO-Werke?
NR, MK: Bei der Übernahme ins Restaurierungsatelier befanden sich beide Objekte in einem instabilen und nicht intakten Zustand, was auch der Anlass für ihre Untersuchung und konservatorische Bearbeitung war. Keines der elektrischen Elemente hat funktioniert, weder die Motoreinheiten noch die enthaltenen Leuchtmittel. Darüber hinaus gab es zahlreiche weitere Schäden wie festsitzende Verschmutzungen, Schimmelpilzbefall, Bestoßungen an den Objektkästen, gelöste Elemente und korrodierte Metallteile.
Eine besondere Herausforderung war bei dem Werk Hommage à Broadway zudem, die Beleuchtungssituation entsprechend der künstlerischen Intention zu rekonstruieren.
Es lagen einige Indizien für einen Umbau der Elektrik vor, bei der die Positionen der Leuchtmittel in den Ecken des Objektkastens in der Vergangenheit verändert worden sind. Allerdings war nicht dokumentiert, durch wen, warum oder zu welchem Zeitpunkt dies stattgefunden hat. Um entscheiden zu können, ob die vorhandene Konstruktion erhaltenswert ist oder ein Rückbau zu einem früheren Zustand eine authentischere Rezeption ermöglicht, stellte sich die dringende Frage, ob Günther Uecker selbst den Umbau vorgenommen hatte beziehungsweise ob dieser von ihm autorisiert worden war oder nicht. Dies hielten wir grundsätzlich für denkbar, da es zu seiner künstlerischen Praxis gehörte, gemeinsam mit Heinz Mack und Otto Piene die kinetischen Lichtobjekte in unterschiedlichen Ausstellungen je nach räumlicher Gegebenheit variabel zusammenzustellen und zu arrangieren. Wie Marcel Hardung, der Sohn des Künstlers, uns mitteilte, wurden in diesem Zuge durchaus noch technische Elemente an den Werken verändert.
Eine weitere Fragestellung ergab sich aus dem Umstand, dass neue, handelsübliche Glühlampen in die Fassungen eingeschraubt waren. Das passt zu der Erfahrung, dass Leuchtmittel in ausgestellten Kunstwerken häufig ausgetauscht werden, wenn sie nicht mehr funktionstüchtig sind. Wird dies nicht dokumentiert, geht aber die Information darüber verloren, welche Leuchtmittel ursprünglich verwendet worden sind. Das ist jedoch sehr relevant für die Erscheinung des Objekts, da es große optische Unterschiede zwischen verschiedenen Leuchtmitteln geben kann, zum Beispiel bei der Helligkeit, der Lichtfarbe, dem Abstrahlwinkel und vielen weiteren spezifischen Kenngrößen.
Als weitere Herausforderung kam hinzu, dass eine historische Natriumdampflampe[i] in dem Objektkasten verbaut war, die in der Vergangenheit über einen zwischengeschalteten veralteten Hochspannungstransformator betrieben worden war. Ihr Betrieb hätte ein erhebliches Sicherheitsrisiko dargestellt, sowohl für das Objekt, da die Lampe extrem heiß wird, als auch für Ausstellungsbesucher*innen, da sie für die Atemwege giftiges Quecksilber enthält und die Gefahr, dass der Lampenkolben zerspringt, recht groß ist. Es stellte sich also auch die Frage, wie wir mit den Sicherheitsbedenken umgehen wollen, und ob es rein technisch gesehen überhaupt möglich ist, eine Natriumdampflampe wieder im Objekt in Betrieb zu nehmen.
[i] Anders als Leuchtstofflampen benötigen Natriumdampflampen keinen fluoreszierenden Leuchtstoff, sondern die Gasentladung von Natriumdampf erzeugt sichtbares Licht. Sie zeichnen sich durch große Helligkeit von kontrastreichem gelb-orangem Licht aus und werden heute überwiegend im Außenbereich genutzt.
Zf: Wie wichtig sind Hintergrundinformationen und tiefgehende Recherche in Archiven für den Prozess der Restaurierung?
NR, MK: Neben den kunsttechnologischen Untersuchungen der Objekte ist eine tiefgehende Recherche oftmals unerlässlich, um ein angemessenes Restaurierungskonzept entwickeln zu können. Gerade bei den beschriebenen Fragestellungen benötigten wir tiefere Einsichten bezüglich der ursprünglichen Präsentation und Ausstellungsgeschichte. Dazu kann die Einbeziehung von Archiven einen wichtigen Beitrag leisten. Archive können viele Informationen liefern, nicht nur über die Künstler*innen, ihre Absichten und die Entstehungszeit der Werke. Sie können auch Dokumentationen von früheren Restaurierungsmaßnahmen enthalten oder technische Unterlagen, die Aufschluss über verwendete Materialien und Techniken geben.
Auch Hinweise an den Objekten selbst beispielsweise in Form von Ausstellungsaufklebern können bei weiterer Verfolgung zu wertvollen Erkenntnissen führen.
Im Falle von Günther Ueckers Hommage à Broadway haben wir dank eines solchen Aufklebers eine historische Aufnahme in einem Ausstellungskatalog gefunden, die entscheidende Hinweise zu einer früheren Beleuchtungssituation und Position der Leuchtmittel geliefert hat.
Darüber hinaus hat sich die Praxis etabliert, Künstler*innen selbst in den Entscheidungsprozess mit einzubeziehen, sofern dies möglich ist. Auch die Befragung von Personen aus dem künstlerischen Umfeld oder von Zeitzeug*innen eröffnet die Möglichkeit, an besonders wertvolle Hintergrundinformationen zu gelangen. So teilte Günter Thorn uns seine Kenntnisse darüber mit, welche speziellen Strahler Günther Uecker in dem Objektkasten ursprünglich als Leuchtmittel verwendet hat und stellte darüber hinaus den gewinnbringenden Kontakt zum Sohn des Künstlers her. Außerdem setzte er gemeinsam mit Hans Ulrich Faust (verstorben 2023) unter anderem den notwendigen Umbau der elektrotechnischen Installation an Ueckers Lichtkasten um.
Zf: Gerade ZERO-Kunst arbeitet mit Licht – auch mit elektrischen Lichtquellen. Inwiefern ist das Thema Nachhaltigkeit für euch in eurem Arbeitsprozess relevant oder kann man Werke der 1950er und 1960er nicht nachhaltig restaurieren?
NR, MK: Wir legen grundsätzlich viel Wert darauf, durch die Verfolgung eines nachhaltigen Ansatzes den ökologischen Fußabdruck in der Restaurierung zu minimieren. Für lichtkinetische ZERO-Kunstwerke kann das zum Beispiel bedeuten, dass LED-Lichtquellen mit einem niedrigeren Energieverbrauch eingesetzt werden, die weniger Wärme erzeugen und eine längere Lebensdauer haben als ältere Technologien. Eine solche Entscheidung muss sorgfältig abgewogen werden, da unter restaurierungsethischen Gesichtspunkten zumeist die Reparatur technischer Geräte oder Leuchtmittel gegenüber ihrem Ersatz priorisiert wird. Hinzu kommt, dass es nicht immer möglich ist, die künstlerisch intendierte Lichtwirkung mittels LED-Technologie zu simulieren. So werden die originalen Halogenstrahler aus Ueckers Lichtkasten heute nicht mehr produziert, die Lichtwirkung ließ sich aber erfreulicherweise mittels LED-Variante zufriedenstellend nachempfinden, wie Marcel Hardung und Günter Thorn bei einem direkten Vergleich beider Leuchtmittel vor Ort bestätigt haben. Für die defekte Natriumdampflampe, die letztendlich wegen der gefährlichen Substanz Quecksilber vorerst nicht wieder in Betrieb genommen wurde, hätte es hingegen keinen adäquaten LED-Ersatz gegeben. Wie komplex diese Entscheidungsprozesse sind und welche Möglichkeiten und Herausforderungen bei der Restaurierung von Lichtinstallationen der Künstlergruppe ZERO auftreten können, beleuchtet die 2018 von der ZERO foundation herausgegebene Publikation Light on / off. Restaging ZERO sehr anschaulich.[i]
[i] Siehe Anm. 1.
Eine weitere Möglichkeit, den Energieverbrauch von elektrisch betriebenen Kunstwerken zu reduzieren, ist die Implementierung von Betriebseinschränkungen während ihrer Ausstellung. Hierfür können Handlungsempfehlungen entwickelt werden, die mithilfe von Zeitschaltuhren, Bewegungssensoren oder Fußschaltern umgesetzt werden. Gleichzeitig führen diese Maßnahmen zu einer verringerten Beanspruchung der elektrischen Bauteile, auch der Leuchtmittel, und wirken sich somit positiv auf die Erhaltung der Kunstwerke aus.
Zf: Liebe Nicole Reds, liebe Martina Kerkhoff – wir danken herzlich für diese wertvollen Einblicke!