T Theater
by Barbara Büscher
Bewegung im Raum, zwischen Ausführen und Aufführen. ZERO und Theater
Bemerkenswert erscheint mir, von heute aus gesehen, dass die Frage zu diesem Zeitpunkt und an diesem Ort gestellt wurde. Entwicklungen, die sich zunächst und vor allem im Feld der bildenden/visuellen Künste ereigneten, begannen, die Ideen von dem, was Theater ist/sein könnte, zu verschieben. Künstlerische Praktiken, die nichts mit dem Schauspiel des dramatischen Textes oder dem traditionellen Musiktheater zu tun hatten, wurden als theaterrelevant rezipiert und diskutiert.
Der Verbindung zwischen vielfältigen Auffassungen von dem, was Theater sein könnte, und den Veränderungen in den Künsten, die in den 1960er Jahren begannen und zu denen die ZERO-Künstler wesentlich beigetragen haben, möchte ich hier in Ausschnitten nachgehen.
Theater ist ein Haus, ein Gebäude, eine Raumordnung. Theater ist eine Institution, die unterschiedliche Konfigurationen annehmen kann, je nach historischem und kulturellem Kontext.[i] Theater ist eine Kunstform, deren zentrale Hervorbringung die Aufführung ist.
Aufführungen in dem erweiterten Verständnis heutiger Kunstwissenschaften oder Performance Studies sind Präsentationen, Ereignisse im zeitlichen Verlauf, Aktualisierungen verschiedener medialer Konstellationen. Auch Ausstellungen werden heute als Inszenierung/Aufführung[ii]untersucht.
Theater ist eine Konstellation von Akteur*innen (menschlichen und nicht-menschlichen)[iii] in Bewegung im Raum, zu sehen und zu hören. Theater ereignet sich, in einem definierten Zeitraum, in einem „shared space“.
Theater entwickelt sich zwischen „Ausführen und Aufführen“.
[i] Theater als Institution umfasst eine spezifische Infrastruktur und sich über lange Zeit herausgebildete Produktions- und Arbeitsweisen, deren Bedingungen aktuell in Frage gestellt werden. Dies nur als Hinweis: Im hier vorgestellten Zusammenhang werde ich diesen Aspekt nicht untersuchen können.
[ii] Siehe dazu u. a. Beatrice von Bismarck, Das Kuratorische, Leipzig 2021, S. 53-64.
[iii] Dieser Aspekt, der medientheoretisch anders formuliert in theaterwissenschaftlichen Untersuchungen seit den 1990er Jahren eine wichtige Rolle spielte – dass nämlich die apparativen, materialen etc. Determinanten der Aktionen und spielerischen Handlungen Anteil an ihnen haben –, wird heute neu formuliert als auch ökologische Auffassung des Zusammenhangs von verschiedenen Akteur*innen. Die von Bruno Latour u. a. ausgearbeitete Akteur-Netzwerk-Theorie, aber auch die mit dem Neuen Materialismus verbundenen Überlegungen spielen eine wichtige Rolle. Siehe z. B. Bruno Latour, Die Hoffnung der Pandora, Frankfurt a. M. 2000; Karen Barad, Agentialer Materialismus. Über die Bedeutung materiell-diskursiver Praktiken, Berlin 2012.
Wenn man davon ausgeht, wie es die Kunstwissenschaftlerin Dorothea von Hantelmann tut, dass ein wichtiger Unterschied zwischen Ausstellen und Aufführen darin besteht, dass das zweite zu einem genau fixierten Zeitpunkt beginnt und endet und in einem von allen Akteur*innen geteilten Raum stattfindet[i], lässt sich zunächst darin eine Affinität der Abendausstellungen von ZERO, die von 1957 bis 1960 in Düsseldorf stattfanden, zu Theater als Veranstaltung feststellen. Verschiedene Autor*innen, die sich mit performativen Aspekten in den künstlerischen Arbeiten der ZERO-Künstler beschäftigen, setzen diese als einen Anfang. Einen Anfang zur Öffnung ins Performative, Theatrale. Thekla Zell spricht vom „ephemeren Charakter“ der Ausstellungen[ii]. Annette Urban sieht das Format als „richtungsweisend für die Verschiebung zur Aktion“.[iii]Explizit erläutert und präzisiert hat es die amerikanische Kunsthistorikerin Julia Robinson:
[i] Vgl. Dorothea von Hantelmann, „What is the New Ritual Space for the 21st Century?“, in: The Shed, New York 2018, https://theshed.org/program/series/2-a-prelude-to-the-shed/new-ritual-space-21st-century (15.08.2023).
[ii] Thekla Zell, Exposition Zero. Vom Atelier in die Avantgardegalerie. Zur Konstituierung und Etablierung der Zero-Bewegung in Deutschland am Beispiel der Abendausstellungen, der Galerie Schmela, des studio f, der Galerie nota und der d(a)to Galerie, Wien 2019, S. 80.
[iii] Annette Urban, „Projektionen von heute sind Verhältnisse von morgen. Projektionsräume und ihre durchlässigen Grenzen in der westdeutschen und polnischen Kunst zwischen 1959 und 1970/71“, in: Own Reality, (Veröffentlichungen des Forschungsprojektes Jedem seine Wirklichkeit. Der Begriff der Wirklichkeit in der Bildenden Kunst in Frankreich, Polen, der BRD und DDR der 1960er bis Ende der 1980er Jahre (2010-2015), Bd. 26, Paris 2016, S. 9, http://www.perspectivia.net/publikationen/ownreality/26/urban-de (15.08.2023).
Siehe dazu auch Joseph Ketner, Witness to the Phenomenon. Group Zero and the Development of New Media in Post-War European Art, London, New York, 2018, S. 143. Er zitiert wiederum dazu den amerikanischen Kunsttheoretiker Lawrence Alloway, der eine in den USA erschienene Publikation zu ZER0 einleitete.
„What did the ‚evening exhibitions‘ – for which a day and an hour were given – do at the time to the standard format of the art exhibit, which typically spans around a month? If the conditions for an exhibition and a performance, or simply an opening versus the run of an exhibition, collapse here to form the event, surely it changed the energy and even the urgency around what took place. And this may be one place to begin a genealogy of staging in Zero, that would extend to the staging of artworks in dramatic spaces, and the total installations that would ultimately develop. Here the event structure of the showing of painting paves the way for a dramatic reframing of the conditions of seeing and perceiving works of art.“[i]
[i] Julia Robinson, „0/60/10: Turn…slowly, extremely. Calibrating ZERO to Changing Time(s)“, in: Between the Viewer and the Work: Encounters in Space, hrsg. von Tiziana Caianiello, Barbara Könches, Heidelberg/Düsseldorf 2019, S. 27-37, hier S. 33-34.
Die Verknappung der Zeit auf einen markierten Zeitpunkt hin ist auch ein Mittel der Fokussierung von Aufmerksamkeit, die dazu führen kann (und soll), dass Besucher*innen sich nicht über einen längeren Zeitraum verstreuen, sondern konzentriert versammeln – so wie es unter anderem im Theater der Fall ist. Das Format verweist darauf, dass letztlich jede Ausstellung eine temporäre Veranstaltung ist, die zudem als Inszenierung im Raum verstanden werden kann. Eine Ansicht, die – wie erwähnt – erst sehr viel später theoretisch, zum Beispiel in den Curatorial Studies der letzten Jahre, aufgenommen wurde.
Ein zentraler Aspekt der ZERO-Arbeiten, der sich mit einer allgemein verstandenen Idee von Theater/Performance, wie ich sie zu Beginn eingeführt habe, trifft, ist die Fokussierung auf Bewegung im Raum, Bewegung in verschiedenen Räumen von unterschiedlicher Materialität, deren Dynamik und ihre Auslösung und Steuerung – sei es durch menschliche Aktionen oder mechanischen Antrieb. Aufführen als eine Handlung/Aktion in der Zeit wird so zum Bestandteil von Ausstellen. Der amerikanische Kunsthistoriker Michael Fried hat eine solche „Theatralisierung“ der Kunst für die Minimal Art (und darüber hinaus) 1966 vehement kritisiert und deren Situationsbezogenheit, welche die Betrachter*innen mit umfasst[i], als negative Verschiebung des Werkverständnisses beschrieben.
So verstanden beginnt die Nähe zu Konstellationen, die man als theatral bezeichnen kann, schon vor dem, was dann ausdrücklich als Performance, Happening, Demonstration aufgeführt wurde. Die raumfüllende Bewegung des Lichts, ebenso wie die Bewegung kinetischer Installationen ermöglichen und erfordern die Bewegung der Betrachter*innen und erweitern so deren Perspektiven, wie es Otto Piene (1928-2014) 1960 beschreibt.
[i] Vgl. Michael Fried, „Kunst und Objekthaftigkeit“, in: Minimal Art. Eine kritische Retrospektive, hrsg. von Gregor Stemmrich, Dresden 1995, S. 334-374, hier S. 342.
„Das Wichtigste ist die umfassende Raumerfüllung gegenüber den bekannten Schaukünsten Theater und Film. Das Licht ist nicht an den Raumausschnitt Bühne oder die Fläche Leinwand am Ende eines langen Raumes, in dessen Dunkel der Betrachter sitzt, gebunden. Es kann die meisten Orte des Raumes erreichen. Dadurch gewinnt der Erlebende den Eindruck, der Mittelpunkt des Geschehens zu sein, […]. Es entsteht ein dynamisches Raumempfinden, in dem die Schwerkraft viel Macht verloren hat.“[i]
[i] Otto Piene, „Lichtballett“ (1960), in: ders., 10 Texte, München, Frankfurt a. M. 1961, S. 16-18, hier S. 16.
Hier wird etwas angedeutet, was in den weiteren Entwicklungen unter anderem des Expanded Cinema aber natürlich auch in den Arbeiten Pienes selbst, als immersives Projekt-Environment fortgeschrieben wird: dass nämlich die Gegenüberstellung von Betrachter*in und Zu-Betrachtendem – die sowohl im Theater als Raumordnung von Bühne und Zuschauer*innenraum wie im Museum als räumliche Distanzierung existiert – durchstrichen wird. Der Lichtraum, das „tanzende Licht […] in einer gewissen ‚choreographischen‘ Abfolge“[i] als Bewegung im Raum soll sich nun rund um die Betrachter*innen ausbreiten.
[i] Ebd.
Die Kuratorin Renate Wiehager fasst in diesem Sinne für die Ausstellung Mack, die 1960 in der Galerie Diogenes in Berlin stattfand, zusammen:
„Macks Untersuchungen zu Licht, Bewegung und Raum sowie der kalkulierten Einbeziehung des Betrachters erreichen mit der Konzeption des Galerieraums als eines einzigen, großen Lichtobjekt eine neue Dimension: […] Für den Betrachter werden ephemere, immaterielle Phänomene: die intensiven Lichtreflexe im Raum sowie die durch seine Bewegung im Raum sich permanent wandelnden Strukturen, zum eigentlichen ästhetisch-visuellen Ereignis. Im Souterrain […] veranstaltet Mack zur Eröffnung eine Aktion, von ihm selbst als ‚Demonstration ‘ bezeichnet, […].“[i]
[i] Renate Wiehager, „54321 ZERO – Countdown für eine neue Kunst in einer neuen Welt“, in: ZERO aus Deutschland 1957-1966. Und heute / ZERO out of Germany. 1957‒1966. And Today, hrsg. von ders., Ausst.-Kat. Galerie der Stadt Esslingen/Villa Merkel, Ostfildern-Ruit 2000, S. 8-14, hier S. 8.
Die Aktivierung von Installationen, in diesem Fall der Lichtinstallation Hommage à Georges de la Tour, 1960, für einen definierten Zeitraum,[i] von Mack (*1931) als Demonstration bezeichnet, bildet einen weiteren Schritt in Richtung auf das Theatrale/ Performative, lässt sich als Aufführung verstehen. Es gibt zu dieser Demonstration eine Beschreibung des Künstlers selbst.[ii]
[i] Diese ‚Demonstration‘ wird von Ketner als „dramatic multimedia performance“ bezeichnet und detailliert beschrieben (Ketner, wie Anm. 6, S. 150). Aus den Beschreibungen bei Ketner und Wiehager wird nicht ganz deutlich, ob es sich um eine Aktion in der Lichtinstallation mit dem Titel Hommage à Georges de la Tour handelt, oder ob es eine unabhängige, aber thematisch angelehnte Demonstration ist.
[ii] Vgl. Heinz Mack, „Kommentar zur ‚1. Hommage à Georges de la Tour‘ in der Galerie Diogenes, Berlin 1960“, in: MACK Lichtkunst, hrsg. von Burkhard Leismann, Ausst.-Kat. Kunst-Museum Ahlen, Köln 1994, S. 180-181.
Die ab 1959 von Otto Piene entwickelten Lichtballette, die schon im Namen ihre Referenz auf eine spezifische Form von Theater tragen, bewegen sich ebenfalls zwischen (licht)kinetischer Installation und deren temporärer Aktivierung als Vor- und Aufführung. Drei Formen werden unterschieden: das archaische, das chromatische und das mechanische Lichtballett.[i] 1959 führte Piene das archaische zunächst in seinem Atelier, dann in der Galerie Schmela in Düsseldorf auf. Das chromatische Lichtballett wurde 1960 in den Räumlichkeiten der Galerie Diogenes in Berlin und dann im studio f in Ulm gezeigt. Neben Piene waren drei bis fünf weitere Akteur*innen an den Projektionen beteiligt, die im gesamten Raum stattfanden und das Publikum umspielten.
Beeinflusst von Jean Tinguelys (1925-1991) bewegten und sich bewegenden Maschinen entstand ab 1960 das mechanische Lichtballett, in dem die menschlichen Akteur*innen durch maschinelle Konstruktionen ersetzt wurden, „die mit beweglichen Greifarmen und Rotoren versehen waren“.[ii]
Alle drei Varianten wurden als Ein Fest für das Licht im Oktober 1960 im Kontext der 9. Abendausstellung aufgeführt.[iii]
[i] Vgl. Chris Gerbing, „‚Mit 12 x 12 Scheinwerfern zum Mond‘. Die Universalität des Raums in den Lichtballetten und Sky Events von Otto Piene“, in: Zero-Studien. Aufsätze zur Düsseldorfer Gruppe Zero und ihrem Umkreis, hrsg. von Klaus Gereon Beuckers, (Karlsruher Schriften zur Kunstgeschichte, Bd. 2), Münster 1997, S. 83-111, hier S. 85.
[ii] Ebd.
[iii] Thekla Zell zitiert die erste Variante in diesem Zusammenhang als „Lichtballett mit Folien nach Jazz“ und die dritte Variante als „Vollelektronisches Lichtballett“ (Zell, wie Anm. 5, S.125). Annette Urban zitiert die erste als „Licht und Jazz, ensemble“ und die dritte als „Vollelektrisches Lichtballett“ (Urban, wie Anm. 6, S. 9).
Dass die Aufführungen des Lichtballetts von der Integration menschlicher Akteur*innen zur programmierten Steuerung der Mechanik wechselten, ändert nichts an ihrem Charakter als Vor- oder Aufführung. Beide Formen der Steuerung einer (inter)medialen Konstellation – als die man Theater auch verstehen kann – machen unterschiedliche Praktiken des Ineinander von Ausführen und Aufführen sichtbar. Das verbindet die Lichtballette nicht nur mit einem aktualisierten Verständnis von medialer Aufführung, sondern auch mit den im weiteren Verlauf der 1960er-Jahre deutlich hervortretenden Interesse von Künstler*innen an zeitgenössischen Technologien.[i]
[i] Vgl. Barbara Büscher, Live Electronics und Intermedia: die 1960er Jahre. Über den Zusammenhang von Performance und zeitgenössischen Technologien, kybernetischen Modellen und minimalistischen Kunst-Strategien, Leipzig 2002, https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:bsz:14-qucosa-39497 (22.08.23).
Günther Uecker (*1930) war mit einer seiner ersten Aktionen – Weiße Zone[i] – an der Präsentation der dritten Ausgabe des ZERO Magazins 1961 beteiligt. Neben seinen Aktionen zur Benagelung[ii] von Alltagsgegenständen wie Möbel, Sintflut der Nägel, mit Bazon Brock (*1936), Galerie d Frankfurt, 1963, oder Klavier, Benagelung eines Klaviers, Pianohaus Kohl Gelsenkirchen, 1964, oder solchen, die das Nageleinschlagen als rhythmisierende Verstärkung, Telefonzeitnageln, mit S. D. Sauerbier (1942-2019), studio f Ulm, 1966, betrieben, sind es die gemeinsam mit S. D. Sauerbier entwickelten und realisierten Stücke wie Reise-Theater, 1962/1964, und Röhrentheater, 1966, die schon von der Bezeichnung her eine Referenz zu meinem Thema nahelegen.
Das Konzept zum nicht realisierten Reise-Theater, das Uecker 1962 aufschrieb und an dessen Planung er mit Sauerbier bis 1964 arbeitete, ist auch im eingangs erwähnten Heft von Theater heute als eines der Beispiele für Kunst-Stücke, die aus der bildenden Kunst ins Theater herüberragen und es herausfordern, abgedruckt. Es ist zunächst – das zeigt auch das Modell (oder die Bühnenskulptur)[iii] – eine räumliche Anordnung, deren Zentrum eine Drehscheibe bildet, auf der sich ein Teil der Akteur*innen, beziehungsweise Zuschauer*innen, befinden. Sie ermöglicht, das Verhältnis von Bewegungslosigkeit und Bewegung durch Licht/Schatten-Projektionen zu visualisieren, während gleichzeitig in einer Zitatmontage aus Reiseprospekten dieses Verhältnis auf das Reisen als Konsumieren konkretisiert wird.
[i] Dieser Titel steht unter einem entsprechenden Foto in Katrin Salwig, „Die Aktionen von Günther Uecker“, in: Günther Uecker – Die Aktionen, hrsg. von Klaus Gereon Beuckers, Petersberg 2004, S. 39-119, hier S. 47.
[ii] Salwig berichtet, dass Uecker diese Benagelungsaktionen vor Publikum bis in die 1970er-Jahre beibehielt und dass sie öfter als multimediale Vorführungen funktionierten. Als Beispiel nennt sie eine Vorführung im Hause Ruhnau in Essen 1968. (Salwig, wie Anm. 18, S. 53).
[iii] Abbildungen und Erläuterungen dazu finden sich in …zum Raum wird hier die Zeit. Günther Uecker. Bühnenskulpturen und optische Partituren, Ausst-Kat. Neues Museum Weimar, Kunstsammlungen zu Weimar, Weimar 2001, S. 114-121.
„Geplant ist die Aktualisierung der Intentionen einer Reisegesellschaft, die mit jener, die der Aufführung beiwohnt, darin übereinkommt, […] sich etwas bieten zu lassen: Die beiden kulturellen Organisationen, die Reiseveranstalter wie die Veranstalter dieser Aufführung, gleichen sich in ihren Intentionen, ebenso wie deren Opfer.“[i]
Die inkludierte kritische Reflexion des Theaters als Situation des Konsums umfasste auch die Praxis, das Konzept, den Plan der Aufführung als Teil des Stück-Textes zu lesen. Sauerbier hat dies als eines der Prinzipien ihrer Zusammenarbeit formuliert.[ii]
Das Röhrentheater, das Uecker ebenfalls mit Sauerbier gemeinsam als Teil des Programms Röhrenversammlung und Sprechtanz 1966 auf dem ersten Kunstmarkt im hessischen Büdingen und 1967 auch in Düsseldorf aufführte, setzte Mensch/Objekte in Bewegung.[iii]
[i] Günther Uecker, „Reise-Theater“ (1962), in: Ders., Schriften. Gedichte – Projektbeschreibungen – Reflexionen, hrsg. von Stephan von Wiese, St. Gallen 1979, S. 61-63.
[ii] „Nicht nur die Arbeitsmittel, das Material und das Instrumentarium, sondern auch die Planung und die Anweisungen selbst sollten zum Gegenstand der künstlerischen Arbeit gemacht werden. In etlichen Stücken haben wir sodann dieses Prinzip angewandt: zunächst wurde der Plan Material des Sprechparts […].“ S. D. Sauerbier, „Vom Theater. Zum Theater. Gemeinschaftsarbeiten mit/von Günther Uecker von/mit S. D. Sauerbier“, in: von Wiese (wie Anm. 21), S. 22-34, hier S. 23.
[iii] „(Wir führten) mehrere Stücke mit gleichförmigen stereometrischen Formen auf, nämlich Zylindern; bisweilen befanden sich Akteure in einer Röhre. […] In einem anderen Teil dieser Stückfolge war die kontinuierliche und lähmend-langsame Röhren-Bewegung durch den Saal zu beobachten – zur Wiedergabe von ebenso gleichförmigen wie durchdringendem Sinus-Ton.“ Sauerbier (wie Anm. 22, S. 25-26).
„Ist das schon Theater?“ fragen die – immerhin darauf aufmerksam gewordenen – Theaterkritiker, während die Künstler*innen selbst den Begriff Theater – teilweise polemisch, teilweise aber auch um ihn zu öffnen und neu zu besetzen – wie selbstverständlich zur Bezeichnung ihrer Aktivitäten benutzen. John Cage (1912-1992) zum Beispiel postulierte schon 1954: „Music is an oversimplification of the situation we actually are in. AN EAR ALONE IS NOT A BEING; music is one part of theatre. […] Theatre is all the various things going on at the same time“.[i] Und Dick Higgins (1938-1998), unter anderem Fluxus-Künstler und viel zitierter Intermedia-Theoretiker, schrieb 1964: „A theater is a place made for things to happen.“[ii]
[i] John Cage, „45’ for a Speaker“, in: Ders., Silence. Lectures and Writings, London 1968, S. 146-193, hier S. 149. [Versalien im Original].
[ii] Dick Higgins, Postface / Jefferson’s Birthday, New York, Nizza, Köln 1964, S. 7.
D. Sauerbier fasst die Verschiebung des Theaterbegriffs so zusammen: „Zurschaustellen, einfaches Hinstellen statt Darstellen! Das war die Losung der Zeit, ebenso die Organisation von vorgefundenem Material durch ‚kalte‘ Montage.“[i]
[i] Sauerbier (wie Anm. 22), S. 28. 1976 veröffentlichte S. D. Sauerbier seine theaterwissenschaftliche Dissertation unter dem Titel Gegen Darstellung. Ästhetische Handlungen und Demonstrationen. Die zur Schau gestellte Wirklichkeit in den zeitgenössischen Künsten, Köln 1976.
Andere Formen des Performativen, die die Rahmung eines markierten Kunstraumes – sei es als Theater oder als Galerie/Museum – verlassen, entfalten sich im Außenraum. Die Düsseldorfer ZERO-Künstler nennen sie Demonstration, so wie Mack es für den Innenraum tat. Die erste gemeinsam von den drei ZERO-Künstlern bestrittene Aktion fand 1961 im Rahmen von Zero Edition Exposition Demonstration auf der Straße vor der Galerie Schmela in Düsseldorf statt. Uecker malte eine „weiße Zone“ auf das Straßenpflaster, Jugendliche trugen lange, mit „ZERO“ oder einer Null beschriftete Gewänder und ließen Seifenblasen aufsteigen. Ein großer Heißluftballon aus durchsichtiger Folie stieg auf; diverse Musik drang aus der Galerie auf die Straße.[i] Diese performativen Elemente wurden in anderen „Demonstrationen“ wiederholt eingesetzt – so zur Ausstellungseröffnung in Arnheim 1961[ii] oder in der Galerie Diogenes 1963.[iii] Erweitert wurden sie für das Fest, das 1962 abends auf den Rheinwiesen in Düsseldorf stattfand und das explizit aus Anlass von Dreharbeiten zu einem Film über ZERO inszeniert wurde[iv]. Diese performativen Aktivitäten dienen der Gruppe auch dazu, in einem Spiel mit den Medien (Fernsehen und Zeitung) Aufmerksamkeit zu generieren, wie es in verschiedenen Untersuchungen betont worden ist.[v]
[i] Vgl. Tiziana Caianiello, „Ein ‚Klamauk‘ mit weitreichenden Folgen. Die feierliche Präsentation von ZERO 3“, in: 4321 ZERO, hrsg. von Dirk Pörschmann, Mattijs Visser, Düsseldorf 2012, S. 511-526, hier S. 514; Vgl. Salwig (wie Anm. 18), S. 47.
[ii] Caianiello (wie Anm. 27), S. 516/517.
[iii] Vgl. Thekla Zell, „Editionen. Expositionen. Demonstrationen 1957-1966“, in: Dirk Pörschmann, Mattjis Visser (Hrsg): 4321 ZERO, Düsseldorf 2012, S. 442-467, hier S. 459.
[iv] Es handelt sich um den Film 0 x 0 = Kunst. Maler ohne Farbe und Pinsel von Gerd Winkler, der am 27.6.1962 im Hessischen Rundfunk, HR, ausgestrahlt wurde. Vgl. Zell (wie Anm. 29), S. 455 und den Text von Gerd Winkler, „Wenn aus Avantgardisten Klassiker werden“, in: Wiehager (wie Anm. 11), S. 69-70.
[v] Vgl. Margriet Schavemaker, „Performing ZERO“, in: Zero. Countdown to Tomorrow, 1950s-60s, Ausst.-Kat. Solomon R. Guggenheim Museum, New York 2015, S. 44-55, hier S. 47; Vgl. Ulli Seegers, „Art for All: Lines of Tradition and Development of a Central Narrative of Art since ZERO“, in: Caianiello, Könches (wie Anm. 7), S. 39-52.
Der Auszug aus Galerien und Museen auf die Straße als erweitertem Aktionsraum war eines der Merkmale, die in den Künsten der 1960er-Jahre relevant wurde. Das Theater auf der Straßenannte Wolf Vostell schon 1958 eine Aktion in Paris. Auf der Straße als öffentlich zugänglichem Raum lassen sich Alltag und künstlerische Aktion für viele, auch unvorbereitet Adressierte verbinden. Etwas später, in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre, entwickelten sich auf den Straßen die politischen Protestaktionen. Peter Handke (*1942) wird sie 1968 als das wahre Straßentheater – gegen alles kunstorientierte Theater – bezeichnen.[i]
Ueckers Straßensperre aus Nägeln, die er 1968 als öffentliche Aktion in der Düsseldorfer Innenstadt errichtete, und ähnliche Aktionen[ii] lassen sich als Auseinandersetzung mit und als Andocken an die Aktionen der 68er-Bewegung verstehen, in diesem Sinne als Straßentheater.
In der US-amerikanischen Theater- und Performance-Theorie hatte sich zu dieser Zeit und vor allem aus der Beobachtung beider Entwicklungen – der Raum- und Aktionserweiterung, die aus den bildenden Künsten, aber auch der Musik, John Cage unter anderem, oder dem Tanz, Yvonne Rainer (*1934), Steve Paxton (1939-2024), aufbrach, wie aus den politischen Bewegungen der 1960er-Jahre – eine weitgehende Öffnung des Theaterverständnisses herausgebildet, die bis heute nachwirkt. So stellte Richard Schechner (*1934), der Mitbegründer der Performance Studies an der New York University, 1967 in seinen Six Axioms for Environmental Theater an den Anfang des ersten Axioms das folgende Diagramm:
[i] Peter Handke, „Für das Straßentheater und gegen die Straßentheater“ (1968), in: Deutsche Dramaturgie der Sechziger Jahre, hrsg. von Helmut Kreuzer, Tübingen 1974, S. 127-130.
[ii] Salwig (wie Anm. 18), S. 57-58.
Und erläuterte: „It is because I wish to include this entire range in my definition of theater that traditional distinctions between art and life no longer apply.“[i]
[i] Richard Schechner, „Six Axioms for Environmental Theatre (1967/1987)“, in: Environmental Theatre, hrsg. von ders., Montclair 1994, S. XX-Ii, hier S. XX.
Wenn Schavemaker in ihrer Analyse zusammenfassend feststellt, dass „performing ZERO was always a consciously cross-, multi-, and electromedia activity – and, at some points, an antimedia one“[i], so möchte ich diese Beobachtung am Beispiel von Otto Pienes verschiedenen Projektionsaufführungen mit dem Begriff des „Intermedia Theatre“ verbinden, wie ihn an prominenter historischer Stelle Gene Youngblood (1942-2021) in seinem 1970 veröffentlichten Buch Expanded Cinema verwendet.
Das, was sich in den frühen 1960er Jahren in den USA als spezifische Form des Expanded Cinema entwickelt, umfasst ja nicht nur eine de-konstruierende Auseinandersetzung mit dem Kino-Dispositiv, sondern ist in das zeitgenössische Experimentieren mit Computertechnik involviert und umfasst neue – auch narrative – Formen des Aufführens von Licht/Bild/Raum/Körper/Konstellationen.[ii] Youngbloods Buch ist ein ausgesprochen zeitnaher Versuch, einen Überblick über die Entwicklungen auf dem Hintergrund, vor allem der US-amerikanischen Entwicklungen, zu versuchen und dies auch mit einer emphatischen Haltung gegenüber Medien als Möglichkeiten der Bewusstseinserweiterung, wie sie unter anderem der Medientheoretiker Marshall MacLuhan (1911-1980) formuliert hatte[iii], zu verbinden.
[i] Schavemaker (wie Anm. 31), S. 54.
[ii] Vgl. Büscher (wie Anm. 17), S. 273-338.
[iii] Marshall McLuhan, Understanding Media: The Extensions of Men (1964), London, New York 2001.
„Thus in intermedia theatre, the traditional distinctions between what is genuinely ‚theatrical‘ as opposed to what is purely ‚cinematic‘ are no longer of concern. […] Whatever divisions may exist between the two media are not necessarily ‚bridged‘, but rather are orchestrated as harmonic opposites in an overall synesthetic experience.“[i]
[i] Gene Youngblood, Expanded Cinema, New York 1970, S. 365.
In seinem Abschnitt „Intermedia Theatre“ ist Aufführung als zentraler gemeinsamer Ausgangspunkt für Theater und Kino auch die Basis für das neue synästhetische Format Intermedia. In den Gesprächen mit Künstler*innen und der Vorstellung von Projekten, die den Hauptteil des Kapitels bilden, tritt neben die Aufführung als Präsentationsformat das Interesse an aktuellen technischen Entwicklungen und an der Aktivierung der Zuschauer*innen. Neben Arbeiten von Carolee Schneemann (1939-2019), Milton Cohen, John Cage und Ronald Nameth (*1942), Robert Whitman (1935-2024) werden auch Otto Pienes und Aldo Tambellinis (1930-2020) Kooperation im Black Gate Theatre New York sowie Vostells TV-De-Collagen (Electronic Happening Room, 1968) vorgestellt.[i] Fast alle diese Arbeiten verlassen die räumliche Trennung von Vorführung/Bühne und Zuschauer*innenraum und konstruieren eine die Rezipient*innen umgebende Szeno- und Audiographie, die von heute aus gesprochen, als immersives Environment verstanden werden kann.
Immaterialisierung durch Lichtbewegung, Aufhebung der traditionellen räumlichen Anordnung, um ein Eintauchen der Betrachter*innen zu ermöglichen: Piene kam mit seiner Dia-Performance The Proliferation of the Sun, die Anfang 1967[ii] im New Yorker Black Gate Theatre aufgeführt wurde, dieser seiner Idee von Theater näher.
[i] Youngblood (wie Anm. 38), S. 366-386.
[ii] Wegen der Jahreszahl der Uraufführung gibt es Verwirrung: alle Quellen, auch Babette Marie Werner in ihrem Text zur Rekonstruktion, sprechen davon, dass die erste Aufführung im März 1967 stattfand: Vgl. Babette Marie Werner, „Restaging The Proliferation of the Sun in 2014: The Digital Projections“, in: Light on/off. Restaging Zero, hrsg. von Tiziana Caianiello, Bonn 2018, S. 89-100. In der Publikation von Barbara Engelbach spricht dagegen Piene selbst von 1966 und sie übernimmt das dann in ihrem Text, vgl. Barbara Engelbach (Hrsg.), Die Sonne kommt näher. Otto Piene. Frühwerk, Siegen 2003.
„Der 60qm große Raum war mit Schaumgummi ausgelegt, damit die Besucher sich hinlegen konnten. 5 Diakarussell-Projektoren wurden von 5 Personen bedient, die durch ein von Piene besprochenes Tonband dirigiert wurden. Für jeden Projektor waren 2 Karussells mit bemalten Glasdias so zusammengestellt, dass die dominierenden Farben der Dias – sie zeigen auf leuchtendem Untergrund farbige Punkte, die in den Projektionen wie Planeten oder Sonnen aussehen – nach Regenbogenfarben wechselten. Die sachlichen Anweisungen vom Tonband gaben den Rhythmus des Bilderwechsels an, der sich langsam steigerte, bis am Ende der ersten Bilderfolge der Raum in gleißend weißes Licht getaucht war. Die Bilderfolge lief dann wieder zurück und endete mit dem abgedunkelten Raum.“[i]
[i] Engelbach (wie Anm. 40), S. 28.
Diese Beschreibung gibt eine Reihe von Basisinformationen, die in anderen Darstellungen – insbesondere in Bezug auf die 1967 in der Galerie art intermedia in Köln gezeigte Version – ergänzt wurden. Auch ein großer Ballon und verschiedene durchsichtige Stoffbahnen wurden als Projektionsflächen genutzt.[i]
Die räumliche Anordnung, die die Betrachter*innen einlud sich hinzulegen, sowie die Verteilung der Projektionen im gesamten Raum, implizierten das Eintauchen in den Bilderfluss der Projektionsperformance. Schon im weiter oben zitierten Text von 1960 hatte Piene einen „großen Raum von halbkugeliger Form“ als idealen Ort für das Lichtballett beschrieben, in denen „der Erlebende […] entspannt liegt“[ii].
[i] Vgl. Werner (wie Anm. 40), S. 97.; Vgl. Urban (wie Anm. 6), S. 17.
[ii] Piene (wie Anm. 9), S.16.
Ein derart immersives Environment, dass die frontale Ausrichtung sowohl von Theater, wie es in unseren Breiten praktiziert wird, wie von Kino durchstreicht, ist ein wesentliches Merkmal auch anderer Expanded Cinema-Experimente der 1960er-Jahre. Der vielfach zitierte Movie-Drome, den der experimentelle Filmemacher Stan Vanderbeek (1927-1984) 1965 in einen Silo einbaute,[i]gehört ebenso dazu wie das in Youngbloods Buch vorgestellte Space Theater, 1960, von Milton Cohen. In seinem Manifest schrieb Vanderbeek 1965:
„In einem halbkugelförmigen Kuppelraum werden Bilder aller Art gleichzeitig auf die gesamte Innenfläche projiziert… die Zuschauer legen sich am Außenrand des Raumes nieder, mit den Beinen zum Mittelpunkt, so dass sie fast die gesamte Leinwand im Blick haben. Tausende von Bildern würden auf die Leinwand projiziert werden […]… die Zuschauer nehmen das in sich auf, was sie auffassen wollen oder können …und sie ziehen daraus ihre Schlüsse.“[ii]
Die Idee einer kuppelförmigen Projektionsfläche, die als Architektur Buckminster Fullers zeitgleich popularisierte geodätische „Dome“-Konstruktionen evoziert, verändert den Raum des Theaters, des Kinos, einer Aufführung in ein neuartiges Interface zwischen Bild/Ton und Betrachter*in.
[i] Vgl. Gloria Sutton, The Experience Machine: Stan VanDerBeek’s Movie-Drome and Expanded Cinema, Cambridge (Massachusetts) 2015; Material und Abbildungen zu Movie Drome findet man in einer Broschüre unter: http://stanvanderbeek.com/_PDF/moviedrome_final.pdf (28.08.23).
[ii] Stan Vanderbeek, „‚Culture Intercom‘ und ‚Expanded Cinema‘ (1965), in: Avantgardistischer Film 1951-71: Theorie, hrsg. von Gottfried Schlemmer, München 1973, S. 57-60, hier S. 59.
Vorausgegangen waren der Arbeit von Piene zwei weitere, die in der Literatur als Performance oder Multimedia-Theater bezeichnet werden.[i] Und nicht zuletzt schloss sich 1968 die Kollaboration mit Aldo Tambellini zu Black Gate Cologne an, eine Kooperation mit dem Westdeutschen Rundfunk und zugleich eine höchst interessante Form von Intermedia-Theater, die im technisch aufgerüsteten neuen Studio des WDR als Live-Performance stattfand und aufgezeichnet wurde.[ii]
[i] Stephan von Wiese, Susanne Rennert (Hrsg.), Otto Piene. Retrospektive 1952-1996, Köln 1996, S. 185; Ketner (wie Anm. 6), S. 164-165.
[ii] „Black Gate Cologne is considered to be the first television show realized by visual artists. In a WDR studio (at the invitation of Werner Höfer and Wibke von Bonin), several cameras are used to record a live event with audience participation. The image and sound material is electronically condensed, with a 23-minute version broadcast on WDR on January 26, 1969.“ Ludwig Forum für international Kunst, Video Archive, https://videoarchiv-ludwigforum.de/in-context/ja/otto-piene-and-aldo-tambellini-black-gate-cologne-cologne/ (23.08.23).
1968 fand Otto Pienes erste Zusammenarbeit mit dem institutionalisierten Theater statt: Für die Uraufführung der Oper Die Geschichte von einem Feuer (Komposition: Dieter Schönbach; Libretto: Elisabeth Borchers) während der Kieler Woche erarbeitete er einen Teil der Szenografie, unter anderem vier Lichtskulpturen Titelsäule, Sleepwalker, Osramsatellit undSchwarzer Stern betitelt.[i] „Die Projektionen ihres Lichtballetts gehen mit den pneumatischen Gebilden und Aktionen und der Geräuschcollage eine dramatische Verbindung ein“, hieß es im Programmheft.[ii] 1969 wurde die so genannte Multimedia-Oper in überarbeiteter Form in Münster gezeigt. Nicht realisieren konnte Piene allerdings seine Idee, die Lichtskulpturen auch im Publikum zu platzieren und so die Trennung von Bühne und Zuschauerraum zu überbrücken.[iii] Engelbach verweist auf einen Textbeitrag Pienes im Münsteraner Programmheft, der sehr an den Text erinnert, der unter dem Titel Pneumatisches Theater 1968 in dem Band Bühne und bildende Kunst im 20. Jahrhundert[iv] erschien. Seine Kritik am institutionalisierten Theater ist umfassend und konzentriert sich auf dessen Raumordnung, unter anderem heißt es da: „Eine Möglichkeit, neue Bedingungen fürs Theater zu schaffen, ist, neue Theater zu bauen.“ Oder: „Das stationäre Theater, das als Ganzes, also innen und außen, völlig variabel und anpassungsfähig ist, ist ein weiteres Ziel. […] Das mobile Theater, das sich fortbewegt und gleichzeitig die Form ändert, wird ein weiterer Schritt sein. […] Warum das alles? In diesem Fall für Bewegung im Theater.“[v]
[i] Engelbach (wie Anm. 40), S. 48.
[ii] U.a. findet man im Internet-Archiv des SPIEGEL eine Rezension unter dem Titel „Licht und Lärm“ vom 23.6.1968, siehe: https://www.spiegel.de/kultur/licht-und-laerm-a-03ae5e43-0002-0001-0000-000046020924 (25.08.2023).
[iii] Engelbach (wie Anm. 40), S. 26.
[iv] Vgl. Henning Rischbieter (Hrsg.), Bühne und bildende Kunst im XX. Jahrhundert. Maler und Bildhauer arbeiten für das Theater, Velber 1968.
[v] Otto Piene, „Pneumatisches Theater“ (1967), in: Rischbieter (wie Anm. 51), S. 258-259, hier S. 259.
Die Verbindung zu Ideen und Projekten des Essener Architekten Werner Ruhnau (1922-2015), der unter anderem mit Yves Klein (1928-1962) zusammengearbeitet hatte, sind auffallend.[i]Und auch: Welch grundlegende Bedeutung für die Veränderung zu einem neuen Theater die räumliche Anordnung hat.
Für die Spielzeit 1968/69 dann fragte die Deutsche Oper am Rhein in Düsseldorf die drei ZERO-Künstler an, gemeinsam mit dem Choreografen Erich Walter (1927-1983), jeweils einen Ballettabend zu gestalten. Sicherlich waren solche Kooperationsangebote auch von der Zusammenarbeit von Merce Cunnigham (1919-2009)/John Cage mit zeitgenössischen Künstlern beeinflusst[ii] – 1964 schon konnte man ihre Arbeit durch die Welttournee der Company in Performance kennenlernen.
[i] Vgl. Barbara Büscher, „Mobile Spielräume“, in: Raumverschiebung. Black Box – White Cube, hrsg. von Barbara Büscher, Verena E. Eitel, Beatrix v. Pilgrim, Hildesheim 2014, S. 43-60; Vgl. Claudia Blümle, Jan Lazardzig (Hrsg.), Ruinierte Öffentlichkeit. Zur Politik von Theater, Architektur und Kunst in den 1950er Jahren, Berlin, Zürich 2012.
[ii] Vgl. Barbara Büscher, „Gegenseitige Durchdringung und Nicht-Behinderung. Über das Verhältnis zweier Performance-Systeme“, in: MAPmedia archiv performance, Nr. 3, 2012 https://perfomap.de/map/3/kapitel1/Gegenseitige%20Durchdringung (28.08.2023).
„Heinz Mack, Otto Piene und Günther Uecker arbeiten auf der Bühne mit dem Werkstoff Licht; durch die von ihnen benutzten Materialien lassen sie dessen Bewegungen sichtbar werden. Sie haben keine Hintergrundprospekte geschaffen, vor denen sich etwas abspielt, sondern sie erreichten, dass das Bühnenbild selbst mitwirkt, ja direkt mittanzt.“[i]
[i] John Matheson, „Vom Künstler und vom Theater“, in: Kunst und Bühne. Düsseldorfer Künstler als Bühnenbildner, Ausst.-Kat. Stadt-Sparkasse Düsseldorf, Düsseldorf 1981, o.S.
Ob und wie die Licht-Bewegungen, die dem Raum eine eigene Performance hinzufügten, tatsächlich in ein produktives Verhältnis zur Choreografie beziehungsweise der Tänzer*innen-Bewegung tritt, lässt sich aus dem zugänglichen Material nicht rekonstruieren. Im Katalogheft zur Ausstellung Kunst und Bühne. Düsseldorfer Künstler als Bühnenbildner[i] aus dem das obige Zitat stammt, wird bedauert, dass die „neoklassisch-konventionelle Bewegungssprache des Choreographen“ ein Hindernis auf dem Weg zu einer neuen „Bühnensynthese war“.[ii]
Heinz Mack und vor allem Günther Uecker haben auch weiterhin für das Theater/Musiktheater gearbeitet. Mack entwarf zum Beispiel 1973 für die Inszenierung von Wagners Tristan und Isoldedes Regisseurs Nikolaus Lehnhoff (1939-2015) im antiken Arenatheater von Orange, Frankreich, das Bühnenbild. Er schrieb in diesem Zusammenhang:
[i] Ebd.
[ii] Christiane Kluth, „Der Ballettabend oder Drei Lösungsvorschläge zur tänzerischen ‚Bühnensynthese‘, in: Stadt-Sparkasse Düsseldorf (wie Anm. 55), o.S.
„Das Bild im Bühnenbild hat mich eigentlich nie interessiert. In diesem Sinne faszinierte mich allein schon die leere Bühne […]. Die Erfahrungen, die ich hier machen konnte, erweiterten meine Erfahrungen außerhalb der Kunsthallen und Galerien: ich suchte auf der Bühne das räumliche Abenteuer, und diese Bühne sollte fast ausschließlich von Licht erhellt, erfüllt, gestaltet sein, das einzig und allein den Raum sichtbar und erlebbar macht, unterstützt durch die Choreographie der Bewegung.“[i]
[i] Heinz Mack (1974), in: Stadt-Sparkasse Düsseldorf (wie Anm. 55), o.S.
Auch Günther Uecker hat für eine Tristan und Isolde-Inszenierung 1981 in der Regie von Götz Friedrich (1930-2000), mit dem er mehrfach zusammenarbeitete, Bühnenbild und Kostüm realisiert. Uecker sieht den Fokus darin: „Das Bühnenbild ist hier nicht Illustration, sondern Instrument. Die Musik wird sichtbar gemacht, sie wird wahrnehmbar in den Zwischenräumen der optischen Strukturen.“[i]
Die grundlegende Raumanordnung des traditionellen westlichen Theaters bleibt allerdings unangetastet.
Theater ist ein Haus, eine Institution, eine Raumordnung.
Auf einer Oberfläche scheint es so, als würde der Gang durch die performativen, theatralen Praktiken der bildenden Künstler*innen der 1960er-Jahre in die ungerührt konservative Institution Theater führen. Wie hin und wieder angesprochen, ohne es hier weiter ausführen zu können, haben all diese Unternehmungen jedoch deutliche Verschiebungen in und zwischen den Künsten herbeigeführt, die zu vielfach aufgefächerten performativen und theatralen Formen und zu einer erweiterten Idee von Aufführungskünsten geführt hat. Dazu gehört auch dieses mein Verständnis:
Theater ist eine Konstellation von Akteur*innen (menschlichen und nicht-menschlichen) in Bewegung im Raum, zu sehen und zu hören.
Theater entwickelt sich zwischen Ausführen und Aufführen.
[i] Günther Uecker, „Verlassen wir die Opera als Ort der Pietät!“ (1977), in: Stephan von Wiese (wie Anm. 21), S. 160.