R Rot
by Matthieu Poirier
Monochrom (Rhythmus und Phänomen)
Dieses Stakkato wird von Künstlerinnen und Künstlern, die einen ähnlichen Ansatz wie Klein verfolgen, etwa Heinz Mack oder Jesús Rafael Soto, oft als Flach- oder Hochrelief ausformuliert, in Abhängigkeit von einer möglichen vertikalen Plastizität (Volumen). Diese Künstler wollten das unbewegte Objekt in ein Medium der Erfahrung verwandeln und erforschten die Variationen von Ton, Licht, Schatten und Tiefe, wodurch sie neue Wahrnehmungsmodi stimulierten, wie die [freie] Bewegung des Betrachters, die oft der einfachen [motorgetriebenen] Bewegung eines Kunstwerks vorgezogen wurde. Die in diesem Kontext entwickelte visuelle Erfahrung lehnt die komplexen Farbvariationen ab, die in der abstrakten Kunst nach 1910 zur Entfaltung kamen.
Der künstlerische Ansatz von ZERO ist höchst rhythmisch, vibrierend und verzeitlicht. Damit begünstigt er eine De-Hierarchisierung der Werkbestandteile, was eine umfassende künstlerische Umwälzung bedeutet, deren zentrales Element die Abkehr von der Polychromie ist.
Innerhalb des weiter gefassten Kontexts von Op-Art und perzeptueller beziehungsweise kinetischer Kunst situieren sich diese Werke in der Echtzeit und dem Wirklichkeitsraum einer aktiven Wahrnehmung, sie entfalten sich dort in vivo, das heißt innerhalb des lebendigen Organismus des Betrachtenden, der somit zu einem eigenständigen Medium wird und dessen begriffliche Bestimmung folglich verändert, erforscht und kritisch hinterfragt werden kann. Wo diese „Metastrukturen“ (Heinz Mack) über ihrem materiellen Dispositiv schweben und zu reinen Vibrations- und Lichtphänomenen außer Reichweite und Kontrolle werden, werden wir zugleich Zeugen einer Befreiung der Pigmentfarbe von ihrem festen Träger.
Diese Bilder und weitere monochrome Reliefs, die im Rahmen von ZERO entstanden, bieten sich dem Blick gleichermaßen dar, wie sie sich ihm entziehen, sie erscheinen und verschwinden zugleich. Sie verweigern sich jeder Fixierung, und durch ihr ständiges Oszillieren stellen sie einen klaren Bruch mit der absoluten, stabilen und konstanten Präsenz dar, wie wir sie gerade von Kleins Werken kennen. Denn was hier zum Ausdruck kommt, ist vor allem eine im Kern konstruktivistische und dem Wesen nach kinetisch-dynamische Schwankung, die aber zugleich ihre eigene Materialität und deren sparsamen Umgang mit Kunstgriffen hervorhebt und sich dabei selbst in Gefahr bringt oder, anders ausgedrückt, sich entmaterialisiert. Obgleich Sotos und Macks Arbeiten auf der Höhe der Kognitionswissenschaften, der Gestalttheorie und der damals rasant sich entwickelten Informationstheorie waren, folgten sie doch dem Anspruch, für das Bewusstsein unmittelbar zugänglich zu sein, unvermittelt durch visuelle oder textuelle Referenzen. Diese Logik entfaltet sich in zahlreichen Variationen, die alle eher auf Wiederholung und Progression denn auf klassischer Gestaltung beruhen. Entscheidend ist an dieser Stelle das Verhältnis der Ununterscheidbarkeit von Grund und Gestalt: Es generiert bei der kleinsten Veränderung des Betrachterstandpunktes einen visuellen Moiré-Effekt, wogend und wechselnd. Bereits 1953 nahm Soto allerdings Abstand von seinen zweidimensionalen Gemälden, die sich später im Übrigen als einzigartige Vorwegnahme der in den 1960er-Jahren populären Op-Art erwiesen, um sich konsequent Werken mit einer räumlichen Komponente zu widmen, vom vorspringenden Relief eines einfachen Gitters bestehend aus zahlreichen vertikalen schwarzen und weißen Linien bis hin zu „betretbaren“ Installationen, seinen Pénétrables. Innerhalb dieser Räume spielte die Monochromie recht früh eine wichtige Rolle, ebenso wie in seinen zahlreichen Installationen, die vom Künstler selbst oft als „virtuelle Volumen“ bezeichnet wurden und aus farbigen Stäben oder Fäden bestehen, die sich in der Art eines „Regenschauers“ nach unten ergießen. In diesen schwebenden, kaum greifbaren Fluten begegnen sich die außerordentliche Einfachheit der materiellen Wirklichkeit und die schwer fassbare Komplexität der immateriellen Wirkung, aber auch die Neutralität der – monochromen – Einzelfarbe und die rhythmische Unbeständigkeit der Vibration. Denn bei Soto ist das Werkerlebnis nie starr und festgelegt: Es vollzieht sich in einer realen Dauer und in einem echten Raum, die beide der [physischen] Wahrnehmung des Monochroms entsprechen. Und im Gegensatz zu seinem Freund Klein strebt Soto danach, die Pigmentfarbe vom festen Träger des flachen Bildes zu lösen, um sie in den Rang eines reinen Lichtphänomens zu erheben, und zwar nicht mehr nur konzeptuell, sondern vollkommen „perzeptuell“.
Schon in Sotos frühen Pariser Jahren lassen sich bestimmte Einflüsse ausmachen, etwa jene von Piet Mondrians Neoplastizismus oder Laszló Moholy-Nagys Theorien über Licht und Transparenz, dargelegt in seinem Buch Vision in Motion (1947) – welches Soto sich anlässlich einer für Dezember 1952 in der Galerie Arnaud anberaumten Ausstellung des einstigen Bauhaus-Professors beschafft hatte, um es vollständig übersetzen zu lassen. Ebenfalls erwähnte Soto, dass seine Ablehnung von Komposition – auf der selbst noch die Architektur einer monochromen Uniformität aufbaut – und seine Verwendung repetitiver Systeme auf den Einfluss von Pierre Boulez’ serieller Musik und Zwölftontechnik sowie seine eigene Lektüre von René Leibowitz’ Buch über Arnold Schönberg[i] zurückging.
[i] René Leibowitz, Schoenberg et son école: l’étape contemporaine du langage musical, J.B. Janin, Paris 1947. (Englische Fassung: Schoenberg and His School: The Contemporary Stage of the Language of Music, Philosophocal Library, New York 1949).
„Mein Interesse galt jenen Werken, die den Geist des Bauhauses atmeten, und bei Klee interessierten mich diejenigen, die nach einem multiperspektivischen Standpunkt strebten“[i]
[i] Jesús Rafael Soto im Gespräch mit Claude-Louis Renard, „Excerpts from an interview with Soto“, in: Soto: A Retrospective Exhibition, Ausst.-Kat. Solomon R. Guggenheim Museum, New York 1974, S. 26–27.
,äußerte Soto 1974 über seine frühen Leidenschaften. Und tatsächlich, selbst da, wo die Materialien seiner Werke Systemen gehorchen, scheinen sie sich je nach Blickrichtung zu verändern oder in Schwingung zu geraten, während sie beim Betrachtenden gleichzeitig eine motorische Reaktion auslösen. Anders als der Wind bei Alexander Calder oder die Elektrizität bei Jean Tinguely ist bei Soto der Mensch selbst die treibende Kraft, ohne dass er das Objekt dabei berühren müsste. Diese Eigenschaft seines Werks, die man als „dynamogen“ bezeichnen könnte, wurde zu der Zeit, als sie sich entwickelte, nicht verstanden – auch nicht bei anderen Künstler*innen, etwa Heinz Mack, Julio Le Parc oder Bridget Riley. Man muss sich vor Augen halten, dass Soto seit den 1960er-Jahren weithin als Held eines entweder als „kinetische Kunst“ oder als „Op-Art“ bezeichneten Ansatzes gefeiert wurde. Darauf bedacht, die Eigenständigkeit seines Werks zu betonen, widersetzte sich der Künstler dieser zweiten Zuschreibung allerdings regelmäßig, da diese implizierte, sein Spiel mit traditionellen Effekten sei auf die Ebene der Malerei beschränkt. Sotos Schaffen folgt jedoch einem Ansatz, den William Seitz als „perzeptuelle Abstraktion“ bezeichnet, womit eine Form nicht-figurativer Kunst mit phänomenologischen Ansätzen gemeint ist, die die raumzeitliche Wahrnehmung als ein eigenes Medium versteht.[i]
[i] Diese Begriffe stehen im Mittelpunkt meiner Doktorarbeit über optische und kinetische Kunst (Université Paris IV-Sorbonne, 2012) sowie der Ausstellung Dynamo. Un siècle de lumière et de mouvement dans l’art. 1913–2013 in den Galeries nationales du Grand Palais (2013), deren Kurator ich war (in Zusammenarbeit mit Serge Lemoine, Commissaire général, sowie Domitille d’Orgeval und Marianne Le Pommeré, Commissaires associées).
Im begleitenden Katalog zur Ausstellung des Künstlers im ARC – Musée d’Art Moderne de la Ville de Paris 1969 findet sich ein Beitrag, in dem der Kunstkritiker Jean Clay die hochgradig spirituelle Dimension der vom Künstler betriebenen „radikalen Entmaterialisierung“ betont.[i]Damit greift er Kasimir Malewitschs Worte auf, dessen Gemälde Suprematistische Komposition: Weiß auf Weiß (1918), eine Ikone der monochromen Malerei, das Werk des Venezolaners nachhaltig beeinflusst hat.
[i] Der Autor knüpft darin an seine Ausführungen im Katalog zu Sotos Einzelausstellung in der Galerie Denise René im Jahr 1967 an.
Mehr als fünfzig Jahre vor Soto hatte der konstruktivistische Maler den theoretischen Rahmen angegriffen, der seiner Ansicht nach die damals noch sehr junge abstrakte Malerei beherrschte:
„Nun“, so Clay, „erfüllt sich [Malewitschs] Prophezeiung aus dem Jahr 1919: ,Wer abstrakte Konstruktionen macht und sich auf gegenseitige Farbbeziehungen innerhalb des Bildes beruft, der ist noch in der Welt der Ästhetik verfangen, statt in die Philosophie einzutauchen‘.“[i]
[i] Kasimir Malewitsch, zit. in: Jean Clay, „Soto. Itinéraire. 1950–1959“, in: Soto, Ausst.-Kat. Musée d’Art moderne de la Ville de Paris, Paris 1969, o. S.
Von der radikalen Abstraktion des Konstruktivisten Malewitsch bis hin zu jener des Kinetikers Soto, der 1950 nach Paris zog – es geht immer darum, der Logik des geschlossenen Bildes zu entkommen: Das Werk sollte „offen“ sein, um den von Umberto Eco – insbesondere in Bezug auf die kinetische Kunst – benutzten Ausdruck zu verwenden. Die ultimative Verkörperung dieses Ansatzes scheint Clay in Sotos Pénétrables (ab 1967) zu sehen. Dabei handelt es sich um Installationen aus transluzenten und meist monochrom gefärbten Nylonröhren, die, wie oben erwähnt, Regenschauern ähnlich nach unten hängen. Die Besucher*innen können sich darin frei bewegen und sind dabei ununterbrochen in Berührung mit dem Werk.[i] Clay stellt diesen Ansatz als eine wichtige Weiterentwicklung des „ambivalenten Raums“ dar, der sich in den frühen Plexiglasreliefs der 1950er-Jahre bereits abgezeichnet hatte. Die bescheidenen Dimensionen der älteren Arbeiten stellen jedoch kein Hindernis für diese visuelle und räumliche Wirkung dar. Im Gegenteil, so Jean Clay, erzielt Soto
[i] Soto hatte die Idee für eine Pénétrable-„Wasserversion“, ein Aquapénétrable, bei dem tausende kleine Wasserstrahlen die transluzenten Röhren ersetzen sollten; er hatte auch eine Version mit Dampf im Sinn, ein Dampfpénétrable „für kalte Länder“(diese Werke wurden nicht realisiert, aber Skizzen von ihnen wurden 1969 in der Zeitschrift Robho abgedruckt).
„durch das Spiel der unterschiedlich geneigten Streifen erstaunliche Effekte einer ungleichen Schwerkraftverteilung, als ob jede Ebene der Atmosphäre eines anderen Planeten angehörte, als ob jede Streifenserie den Gesetzen der universellen Anziehungskraft auf andere Weise gehorchte […]. Ein Schritt zur Seite, und schon setzt sich ein komplettes Spiel divergierender Schwebezustände in Bewegung, welche das beunruhigende Gefühl vermitteln, in diesem Mikroraum würden synchron gegensätzliche physikalische Gesetze gelten, die Soto gekonnt in die Falle gelockt hat.“[i]
[i] Clay 1969 (wie Anm. 5).
Es geht also um die psychophysiologische (und nicht die imaginäre) Erfahrung einer monochromen Schwerelosigkeit, um ein Universum, durchdrungen von „nicht-euklidischen“ Kräften, die sich den physikalischen Gesetzen und insbesondere einem rationalen Verständnis entziehen.
Die Kunstschaffenden sahen sich gezwungen, mit ihren Werken auf dieses neue, multidimensionale Regime visueller Erfahrung zu reagieren. Ende der 1950er-, Anfang der 1960er-Jahre verschrieben sich viele Künstler*innen, die im Umfeld von ZERO ihre Kunst weiterentwickelten, ebendiesem Anliegen, und zwar nicht mehr auf der Ebene der Malerei und einer Welt der Bilder, sondern in der zeitlichen und räumlichen Wechselwirkung der lebendigen Erfahrung.
Doch diese Ausweitung ins Mehrdimensionale, die manche vielleicht als „barock“ bezeichnen würden, verlangt kontrapunktisch nach einer beispiellosen Reduktion, sowohl in Bezug auf die Farbe als auch auf das Trägermaterial. Oftmals entsteht das monochrome Phänomen auf der Oberfläche einer Leinwand, eines bemalten Holzbretts oder einer Metallplatte. Darüber hinaus steht das kinetische oder perzeptuelle Monochrom durch das unaufhörliche Pulsieren seines Blickregimes in einem einzigartigen Resonanzverhältnis zum Begriff des „Trüben“ bei Goethe.[i]In dessen Schriften ist zu lesen:
[i] Zur Frage der Übersetzung von Goethes Terminologie im Französischen vgl. Maurice Élie, Lumière, couleurs et nature. L’Optique et la physique de Goethe et de la Naturphilosophie, Paris 1993.
„Wenn nun die Trübe die verminderte Durchsichtigkeit und der Anfang der Körperlichkeit ist; so können wir sie als eine Versammlung von Ungleichartigem, d. h. von Undurchsichtigem und Durchsichtigem ansprechen, wodurch der Anblick eines ungleichartigen Gewebes entspringt, den wir durch einen Ausdruck bezeichnen, der von der gestörten Einheit, Ruhe, Zusammenhang solcher Theile, die nunmehr in Unordnung und Verwirrung gerathen sind, hergenommen ist, nämlich trübe.“[i]
[i] Goethes Naturwissenschaftliche Schriften, 5. Bd., I, Weimar 1897, S. 395f.
Maurice Élie weist darauf hin, dass Goethe diese trüben Mittel in jenem Kapitel seiner Abhandlung untersucht, das sich mit den physikalischen Farben der „ersten Klasse“ befasst, das heißt den Farben, die durch die Kombination von Licht und Dunkelheit, mittels Dunst, Nebel oder Rauch, entstehen.
Aufgrund ihres Charakters als zwischengeschaltetes Mittel ist die Trübe gleichzeitig transparent und opak. Sie ist dazu fähig, ein Moment des Gleichgewichts zwischen Sein und Nichts, zwischen der vibrierenden Einheit des lichtchromatischen Feldes und der chaotischen Beweglichkeit seiner Elemente darzustellen. Zahlreiche Werke, die dieser dynamischen Interpretation des Monochroms entsprechen, vereinen auch die atmosphärischen Eigenschaften des Diaphanen in sich, wie sie Aristoteles in seinen Meteorologica formuliert:
„[…] wie die Sonne, die an sich weiß erscheint, durch Nebel und Rauch gesehen aber rot“.[i] In seinen Kleinen Schriften zur Naturgeschichte erfasst Aristoteles zudem sehr früh den schwebenden, vermittelten und zugleich körperlichen Charakter der lichtchromatischen Präsenz: „Die Natur des Lichts“, sagt er, „ist nun in einem unbegrenzten Durchsichtigen [Diaphanen]. Dass nun das Durchsichtige [Diaphane] in den Körpern ein Äußerstes haben muss, ist allen einleuchtend; dass dieses aber die Farbe sei, ist aus den Vordersätzen ergeblich. Denn die Farbe ist entweder in der Grenze, oder selbst die Grenze.“[ii] Bei Soto tritt die Einzelfarbe nur als unbestimmte Streuung auf, in die dann der Blick eintauchen kann. Wie in einem gedanklichen Vorgriff auf Sotos Reliefs, Volumen und Pénétrables stellt darüber hinaus der Maler Franz Marc in seinen Aphorismen (1914) einen Zusammenhang zwischen bestimmten optischen Erkenntnissen und der Kunst her, und er unterstellt dem modernen Blick eine ähnliche Fähigkeit, das Sichtbaren zu durchdringen, auch wo dieses vollkommen konkret und opak ist:
[i] Aristoteles, in der Übersetzung Goethes, in: Johann Wolfgang Goethe, Werke, Bd. XIV: Naturwissenschaftliche Schriften, Hamburg 2005, S. 26.
[ii] Aristoteles, in der Übersetzung Goethes, in: ebd., S. 25.
„Die kommende Kunst wird die Formwerdung unserer wissenschaftlichen Überzeugung sein. Wir zerlegen heute die keusche, immer täuschende Natur und fügen sie nach unserem Willen wieder zusammen. Wir blicken durch die Materie, und der Tag wird nicht ferne sein, an dem wir durch ihre Schwingungsmasse hindurchgreifen wie durch Luft. Stoff ist etwas, das der Mensch höchstens noch duldet, aber nicht anerkennt. Die alte Welt-Anschauung hat sich in Welt-Durchschauung verwandelt. Kein Mystiker erreichte in seinen entzücktesten Stunden, in denen er den Himmel offen sah, die vollkommene Abstraktion des modernen Denkens, sein Schauen durch und durch.“[i]
[i] Franz Marc, „Aphorismen“ (1914), zit. in: Georg Schmidt und Robert Schenk (Hg.), Kunst und Naturform, Basel 1960, S. 27.
Die begehbaren Installationen Sotos zeigen, dass er ein befreites Sichtfeld und zugleich ein freies Bewegungsmoment bevorzugt; mit einem Betrachtenden, der sich sein eigenes Szenario wählt, einem Tanzenden ohne Choreografie, der sich verliert – zumindest so lange, bis er eine solche dort sensorisch und sozial wiederfindet, das Objekt [die Installation] um sich vergessend.
Es ist möglich, dass die Werke verwirrend wirken, da sie sich in ihrem Aufbau als gleichermaßen minimalistisch wie schwer greifbar erweisen, wenn man sich ihnen in vivo nähert. Das Auge – aber in Sotos Pénétrables manchmal auch der Körper – wird auf subtile Weise aufgehalten und kann endlos in den atomisierten Räumen umherirren, ständig zwischen Volumen und Ebene, Objekt und Bild oszillierend. Ein ZERO-Monochrom ist, um es mit Henri Bergson zu sagen, ein Objekt, das niemand je in seiner Totalität gesehen hat und oder sehen wird, da es in unseren Wahrnehmungsraum eindringt, ohne sich jemals vollständig erfassen zu lassen. Ob als Wandrelief, freistehende Skulptur oder Environment, dieses monochrome Stakkato lädt uns zu einer einzigartigen, bei jeder Betrachtung neuen Erfahrung ein: nämlich zu der Feststellung einer Unvollständigkeit, eines räumlich-zeitlichen Kontinuums, dessen getreue Schilderung und bildnerische Darstellung stets versagt bleiben.
Auf seiner Visitenkarte bezeichnet sich Heinz Mack als „Bildhauer und Maler“. Wichtig ist dabei die Reihenfolge der Begriffe: Sie gibt der Bearbeitung von Materie im Raum den Vorrang vor der Herstellung von Bildern auf der gemalten Oberfläche. Mit anderen Worten: Selbst die Leinwände, die der Künstler ab Mitte der 1950er-Jahre auf einen Keilrahmen spannte, lassen sich aufgrund des üppigen pastosen Materialauftrags dem kunsthistorischen Grenzbereich zwischen Malerei und Skulptur, dem Relief, zurechnen. Dieses manifestiert sich in einem unaufhörlichen Spiel mit der Wahrnehmung von Licht und gegebenem Raum. Das Spiel der Reflexionen scheint die Materie darin regelrecht zu verzehren, das Kunstwerk besteht allein aus einer gedoppelten Bewegung des Erscheinens und Verschwindens. Wir haben es hier mit einem Paradoxon zu tun, das sich zwischen der Evidenz der materiellen Gegebenheiten und der Komplexität ihrer Wirkungen entfaltet und das untrennbar mit der Geschichte der kinetischen und perzeptuellen Kunst verbunden ist, zu deren wichtigsten Akteuren Heinz Mack zählt. Eine ähnliche Spannung lässt sich auch bezüglich der Laufbahn des Künstlers konstatieren: Betrachtet man sie nur aus einem starren Blickwinkel oder aus einer Perspektive, wird man ihr nicht gerecht.
Die lyrische Abstraktion, mit der sich Mack Anfang der 1950er-Jahre näher auseinandersetzte, schien ihm damals wegen ihrer lebhaften Vielfarbigkeit und ihrer vermeintlich „freien“ Gestik zu sehr der Geschichte der Malerei verpflichtet zu sein. Bei den meisten mit ZERO verbundenen Künstler*innen tauchten immer wieder die Fragen des Reliefs und des „monochromen Ideals“ auf. Mack etwa zielt darauf ab, innerhalb des realen Raums und der realen Zeit eine einzelne Farbe zu entfalten. Mit anderen Worten: Mack knüpft an die älteste Definition des Wortes „Grisaille“ an, indem er sich jeweils auf nur eine Farbe beschränkt – vorzugsweise Weiß, Schwarz oder Grau, abwechselnd und in verschiedenen Wiederholungen –, ohne dabei jedoch ein Relief zu simulieren, sondern vielmehr auf illusionistische Weise, indem er die Möglichkeiten der Perspektive nutzt (Dynamische Strukturen) oder, was seltener vorkommt, andere Farbtöne wie Rot (Ohne Titel, 1957–1958), Blau (Vibration im Blau, 1959) oder Halbtöne (Ohne Titel, 1957–1958) einsetzt. Sein ästhetisches Projekt des Jahres 1958 ist äußerst präzise definiert: „Ich gebe der Farbe eine Vibration, d. h. ich gebe der Farbe eine Struktur, oder: Ich gebe der Farbe ihre Form. Von Formbildung im bisherigen Sinne kann keine Rede mehr sein.“[i]
[i] Heinz Mack, „Die neue dynamische Struktur“, in: ZERO 1, Düsseldorf 1958, o. S.
In Macks Metallreliefs oder Lichtreliefs ist die anhaltende Dialektik zwischen Ordnung und Chaos, Gitter und Wolke, Materie und Licht entschieden abstrakt. Wie übrigens auch in den Sandreliefs kommt in diesen Werken das Wirken der natürlichen Elemente – des Lichts, des Windes und des Regens in den Weiten der Gewässer oder Wüsten – zum Ausdruck. In diesem Zusammenhang ist die Verbindung von Heinz Mack und Yves Klein zentral. Nach ihrer ersten Begegnung im Jahr 1956 entwickelte sich eine intensive Freundschaft, und es ergaben sich zahlreiche Kooperationen, eine Verbundenheit, die erst mit Kleins Tod im April 1962 zu Ende ging. Kleins Beitrag zur Geschichte des Monochroms mit tragischem Ausgang fand in der Folge rasch Anerkennung. Macks Beitrag zu dem Genre hingegen, der zwar aus der gleichen Zeit stammt, sich aber auch deutlich von Kleins Ansatz unterscheidet, erhielt von der Kunstgeschichtsschreibung lange Zeit nicht die Aufmerksamkeit, die ihm gebührt. In seinen schwarzen Bildern, deren Materialität mit dem Licht spielt, etwa Ohne Titel (1957–1958), versuchte Mack, die Variation eines sich wiederholenden Rhythmus auf die Malschicht zu übertragen. Unzählige Zufälle und Unregelmäßigkeiten, Offbeats ähnelnd, sind Teil dieses Stakkatos, wo Klein eine Art kontemplative Beständigkeit bevorzugte. Diese zahlreichen Mikro-Brüche gehen auf den freihändigen Schaffensprozess zurück, den Mack für notwendig hält, um das Ornament zu vermeiden. Diese radikale Serie – die im Übrigen die Outrenoirs von Pierre Soulages vorwegnahm, mindestens aber zeitgleich mit diesen entstand – steht seinen Sandreliefs nicht fern, welche mit einer regelmäßigen Abfolge von Vertiefungen und Vorsprüngen sowie einer körnigen Oberfläche versehen sind – Spuren eines einfachen Stiftes oder eines gezackten Lineals, von denen der Künstler übrigens mehrere Modelle hergestellt hat, je nach Format des Werks und des Rhythmus, den er diesem aufprägen wollte. Man denkt bei derartigen Werkzeugen üblicherweise an Skulpturen, hier kommen sie allerdings als Ersatz für Malerpinsel und -messer zum Einsatz.
Das Gesamtergebnis dieses Vorgehens erinnert natürlich an die pulvrige Oberfläche der IKB-Monochrome Kleins oder an die plissierten und dann bemalten Textilien von Piero Manzonis Achromes Aber durch ihren dynamischen Anteil, das Spiel mit Licht und Schatten, unterscheiden sich Macks Arbeiten, ebenso wie durch die Rolle, die er dem Zufall zugesteht, wie zum Beispiel in einem eigentümlichen horizontalen Relief mit dem Titel Sahara-Sandtisch (1972).
Dieses Werk besteht einfach aus trockenem Sand, den der Künstler von einem Aufenthalt in der Wüste mitgebracht und dann in einen Plexiglaskasten gefüllt hat, dessen Aussehen sich mit jeder Verlagerung und jeder Kippbewegung verändert. Es stellt nicht nur ein offenbar in den Bereich der Kunst überführtes Fragment der Wüste dar, sondern zugleich die nie enden wollende Wandelbarkeit der Gestalt dieser Wüste.
Neben dem feinsinnigen Verweis auf die Wüste, deren Sand-Entnahme das Werk materiell ausmacht, stellen auch die Aluminiumarbeiten einen wichtigen Schritt dar in Macks Auseinandersetzung mit der Monochromie. Dabei prägt der Künstler das Aluminium händisch mit Stift und Lineal – anschließend wird das Blech zum Stabilisieren auf einer Holzplatte befestigt.
„Ich sah nämlich nicht mehr das Metallrelief, sondern stattdessen eine flirrende, vibrierende Rasterstruktur aus Licht“, so der Künstler, „und diese Struktur schien über dem Metallrelief zu schweben, sie hob sich von ihm ab, so wie bei starker Sonneneinstrahlung die Lichtreflexe auf dem Meer zu zittern beginnen wie ein Lichtteppich aus tanzenden Lichtreflexen.“[i]
[i] Heinz Mack, zit. in: Yvonne Schwarzer, Das Paradies auf Erden schon zu Lebzeiten betreten. Ein Gespräch mit dem Maler und Bildhauer Heinz Mack, Witten 2005, S. 15.
Diese Schilderung zeugt wie viele andere von der außerordentlichen Faszination des Künstlers für das Licht, das der Kunsthistoriker Dieter Honisch als vollwertigen Protagonisten ansieht. Er führt diese Metallreliefs genealogisch auf den Impressionismus und Neoimpressionismus zurück und stellt in diesem Zusammenhang fest:
„Er [Mack] malt das Licht nicht ab, sondern er zwingt es, sich selbst darzustellen, mitzuwirken an der Herstellung einer bestimmten optischen Qualität. In diesen Lichtreliefs scheint das Licht gebündelt, konzentriert, verstärkt, überhöht, intensiviert, kurzum: von einer sonst nicht wahrnehmbaren Faszinationskraft.“[i]
[i] Dieter Honisch, Mack. Skulpturen 1953–1986, Düsseldorf und Wien 1986, S. 12.
Um es anders auszudrücken: Mack zielt darauf ab, die wellenförmige, rhythmische und vibrierende Essenz des natürlichen Phänomens Licht durch eine Matrix zu verstärken, die allerdings sehr physisch, materiell und konkret ist. Während László Moholy-Nagy den raumzeitlichen Einsatz seines Licht-Raum-Modulators (1922–1930) noch als Komposition auffasste, führt Mack seine Skulptur an die Grenzen der Vereinfachung, der formalen Reduktion, hin zu einer paradoxen Form der Derealisation. Das Auge verfängt sich in den geheimen Windungen des Dispositivs, verstrickt sich in dessen optischen Netzen. Denn Mack beschränkt sich nicht nur auf den Einsatz von Einzelfarben, beziehungsweise der „Nichtfarben“ Schwarz, Weiß und Grau, deren Verwendung Piet Mondrian eingefordert hatte, da diese, wie er meinte, neben allen Farbwerten bestehen könnten.
In einigen früheren Arbeiten, wie der erstaunlichen Zeichnung auf Papier, die Mack in seinem ersten Jahr an der Kunstakademie Düsseldorf angefertigt hat (Ohne Titel, 1950) und die lediglich aus einer horizontalen Abfolge gezackter Linien besteht, manifestiert sich bei Mack erstmals die monochromatische Struktur, die der Künstler von da an vielfach weiterentwickeln sollte. Mit diesem eigentümlichen Anklang an die Grisaille skizziert Mack ein Stakkato-Motiv, in dem sich seine Kombination aus formaler Reduktion und phänomenaler Entfaltung eines monochromen und zugleich „offenen“ Werks bereits ankündigt, welche bald in ein Kontingenz- und Abhängigkeitsverhältnis zu einem variablen Kontext – etwa den sich wandelnden räumlichen Bedingungen und Lichtverhältnissen oder der unvorhersehbaren Fortbewegung der Betrachter*innen – treten sollte. Diese Entwicklung eines veränderlichen Erscheinungsbildes geht bei Mack mit ausgeprägten Landschaftsanklängen, einer Suche nach dem Erhabenen und einer nicht zu leugnenden romantischen Haltung einher. Mit dieser Haltung scheint der Künstler an Piet Mondrians frühe Experimente aus den 1910er-Jahren anzuschließen, die diesen vom Landschaftsbild zu einer radikalen Abstraktion geführt hatten, insbesondere in Komposition 10 in Schwarz und Weiß – Pier und Ozean (1915). Darauf ist eine luftige Form mit unklaren Konturen zu erkennen, die überwiegend aus feinen, im Himmel angeordneten horizontalen und vertikalen Strichen besteht. Diese Dialektik zwischen essentialistischer Geometrie und atmosphärischer Entropie findet sich auch in Macks Metallreliefs ab 1958 wieder, wie zum Beispiel in seinem Lamellen-Relief oder dem ziemlich explizit betitelten Das Meer I – Licht-Relief, beide aus dem Jahr 1963. Die Steigerung und die nicht vorhersehbare Veränderung ihrer Lichtreflexe sorgen dafür, dass diese Werke wechselweise wie materielle Objekt und dann wieder buchstäblich wie schimmernde Wolken anmuten, wodurch jene Motive, die der niederländische Maler einst in Öl auf Leinwand gemalt hat, in eine im wörtlichen Sinne „phänomenale“ und verräumlichte Dimension überführt werden.
Dieser Dialog zwischen einer dauerhaften Struktur und der wechselhaften Dynamik der natürlichen Elemente entspricht dem Landschaftsgenre. Allerdings handelt es sich hier nicht um Landschaft im klassischen Sinne mit Bäumen und Menschen, wie wir sie von der flämischen Malerei des 17. Jahrhunderts kennen, sondern um eine Landschaft ohne Orientierungspunkte, um wüstenartige Weiten – bestehend aus Wasser oder Mineralien, in arktischen Gefilden oder in der Sahara –, Letzteres ein Projekt, mit dem sich der Künstler ab 1959 auseinandersetzte. Jene unwirtlichen Flecken Erde, die von den Kräften der Natur geformt werden – aufgetürmte Dünen, Gletscher und durchscheinende Eisberge –, machte der Künstler kurzerhand zu einer Art Rahmen für die Präsentation seiner Werke, wodurch er ein Wegbereiter für die amerikanische Land-Art im Allgemeinen und für einen Künstler wie Robert Smithson im Besonderen wurde.[i] Ähnliches gilt für die faszinierenden Fotocollagen Macks, die an die aus der gleichen Zeit stammenden Werke von Archigram oder von Hans Hollein denken lassen. In diesen überträgt der Künstler die Abbildungen seiner eigenen Skulpturen in eine natürliche Umgebung, wobei er mit den Maßstäben spielt und zugleich die Spuren seiner „Fälschung“ deutlich sichtbar belässt, etwa in seinem Entwurf für eine Lichtpyramide (1964), auf dem eine Edelstahlskulptur zu sehen ist, bestehend aus sechs Dreiecken, die einfach in der Mitte gefaltet und von klein nach groß hintereinander angeordnet sind. Die eingesetzten Mittel sind so dürftig, wie der Zweck im ursprünglichen Sinne des Wortes phänomenal ist: Licht und Reflexionen werden von der Skulptur eingefangen und zurückgeworfen, wodurch diese fast verschwindet, während sich die Pyramiden, die wie Messer geschliffen scheinen, zugleich majestätisch und bedrohlich im Raum entfalten. Wie bei seinen Stelen, die mit ihren fein geprägten Oberflächen mit dem Sonnenlicht spielen – etwa den mit gelbem Blattgold überzogenen Stelen von The Sky Over Nine Columns (2013) oder der mit Weißgold verkleideten Silber-Stele (2012–2014) –, bietet Mack dem beweglichen Blick ein Modell dynamischer Monumentalität. Hier gewinnt das Wort „DYNAMO“, das ab 1957 immer wieder in den Ausstellungstiteln und Veröffentlichungen von ZERO auftauchte,[ii] eine besondere Bedeutung: Das Werk soll nicht nur „dynamisch“ sein, das heißt von einer inneren Kraft angetrieben, sondern auch „dynamogen“: Es soll beim Betrachter visuell eine motorische Reaktion hervorrufen und seine Wahrnehmungsmechanik in Gang setzen.
[i] Robert Smithson (1934–1973), von dessen Arbeiten in diesem Zusammenhang etwa die Yucatan Mirror Displacements (1969) zu erwähnen sind, machte mit Heinz Macks Werk höchstwahrscheinlich bereits 1964 Bekanntschaft, als im New Yorker Museum of Modern Art die Ausstellung The Responsive Eye vorbereitet wurde (das geht aus seinen Briefen an William Seitz, den Kurator der Ausstellung, hervor, die im Archiv des Museums hinterlegt sind).
[ii] Soto/Renard 1974 (wie Anm. 2).
Um 1870 versuchte sich Hippolyte Taine an der Beschreibung einer Grenze von Formwahrnehmung, die insbesondere bei übergroßer Anstrengung der Augen erreicht wird und an der Vorstellung und Wahrnehmung auseinanderfallen. Im Rahmen einer Untersuchung über die visuellen Bedingungen im Wahrnehmungsprozess und nachdem er ein „allgemeines Gesetz“ der Aufmerksamkeit umrissen hat, bezeichnet der Philosoph den Effekt, der durch eine „optisch-muskuläre“ Beeinträchtigung der Bewertung und räumlichen Zuordnung von Seheindrücken ausgelöst wird, als „Bewusstseinstäuschung“.[i] Seiner Meinung nach wird dann das Unsichtbare und das Flüchtige sichtbar, wenn die Anordnung der Elemente innerhalb des Gesichtsfeldes gestört ist. Taine führt seine Überlegungen am Beispiel einer Partitur aus, die vor dem geistigen Auge eines Musikers im Nachhinein zu einem „schwarzen Durcheinander“ wird: „[deren] Zeichen sind verschwunden, die Töne sind geblieben“.[ii] Diese „Töne“, die „geblieben sind“ und die vom Bewusstsein erzeugt (und eben nicht registriert) werden, entsprechen zu großen Teilen dem zerstreuten und wellenartigen Charakter der monochromen kinetischen Bilder. Es ist bemerkenswert, dass, würde man aus diesen Bildern nun wie aus einer Partitur Töne herleiten, der resultierende Klang an die zu jener Zeit aufkommende repetitive und serielle Musik erinnern würde. Das sensorische Erlebnis bleibt bei Mack nie nur Absichtserklärung oder bloßes Konzept. Der Wunsch des Künstlers, die Dynamisierung und Fragmentierung der modernen raumzeitlichen Erfahrung zu vermitteln, ist bei ihm in die konkrete Realität der Materialien eingeschrieben, in die unzähligen Spuren eines entschieden manuellen und handwerklichen Herstellungsprozesses, vom Pinselstrich bis zum Zuschnitt des Edelstahls. Ein anderer, möglicherweise primitiverer Aspekt der oben erwähnten „dynamogenen“ Qualität hat mit einem unerschütterlichen Glauben der „ZERO-Künstler*innen“ zu tun: dem Glauben, dass sich die physische Handlung, durch die das Werk entstanden ist, auf die Betrachtenden überträgt. Wenn diese visuelle Dynamik Macks gesamtes Werk durchzieht und oft mit jener verwechselt wird, die für eine kurze Zeit kennzeichnend für ZERO war, so deshalb, weil sie aus den Trümmern des Zweiten Weltkriegs hervorgegangen ist, aus der zwingenden Notwendigkeit, eine neue, anders geartete Welt aufzubauen als jene, die ihr vorausging. Dieser entmystifizierte und zugleich lichte Realitätsbezug befragt mit seinen eigenen Mitteln eine Moderne, die von dem manchmal überwältigenden Gefühl einer Intensivierung des Informations- und gesellschaftlichen Austauschs und einer Beschleunigung des Lebensrhythmus beherrscht ist. So drängt sich die Beschäftigung mit dem vibrierenden Monochrom, die mit ZERO begann, heute förmlich auf, weil es mit seiner anhaltenden Oszillation zwischen Bewegungslosigkeit und Beschleunigung, Materialität und Flüchtigkeit weiter unbeirrt eine kritische Haltung verkörpert.
[i] Hippolyte Taine, Der Verstand, Bonn 1880, S. 55.
[ii] Ebd., S. 55f.
Dieser Text wurde von Michael Ammann aus dem Französischen ins Deutsche übersetzt.