P Plakate
by Rebecca Welkens
Zur Plakatgestaltung der ZERO-Künstler*innen
Das Archiv der ZERO foundation bewahrt rund 200 Plakate auf. Eine kleinere Gruppe von 75 Plakaten kann als Kernsammlung bezeichnet werden. Diese sind in der ZERO-Zeit zwischen 1957/58 und 1967 entstanden und wurden meist von Heinz Mack (*1931), Otto Piene (1928–2014) oder Günther Uecker (*1930) selbst entworfen.[i] Als praktisches Medium der Information sowie der Kommunikation schlugen die Plakate im öffentlichen Raum eine Brücke zwischen den Künstler*innen und dem Publikum. Zusammen mit Einladungskarten und Ausstellungskatalogen, deren Designs oft korrespondierten, waren die Plakate Teil des multimedialen Vermittlungsapparats, der in großen Institutionen wie auch in kleineren Galerien ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Ausstellung war. Aufgrund ihrer Herstellung durch die Künstler*innen selbst wohnt den meisten Plakaten ein Werkcharakter inne, womit sie als Schnittstelle zwischen Kunst und Gebrauchsgraphik zu verstehen sind.
[i] Heinz Mack und Otto Piene waren Ende der 1950er-Jahre gelegentlich als Grafikdesigner tätig, Günther Uecker hatte eine Ausbildung zum Maler und Reklamegestalter. S. Heiner Stachelhaus, ZERO. Mack, Piene, Uecker, Düsseldorf, Wien, New York, Moskau 1993, S. 217, S. 229.
Im Folgenden wird die Rolle der Plakate innerhalb der ZERO-Bewegung untersucht und vor allem werden die Besonderheiten der Gruppe der ZERO-Plakate herausgestellt, außerdem Prozesse und Abläufe der Herstellung beleuchtet. Neben den Gestalter*innen werden auch die am Produktions- und Nutzungsprozess beteiligten Akteur*innen hervorgehoben, insbesondere Drucker*innen und Galerist*innen. Mithilfe der Dokumente, die sich im Archiv der ZERO foundation in Düsseldorf befinden, können Prozesse, Transaktionen, Preise aber ebenso künstlerische Findungsphasen in beinahe lückenloser Abfolge nachgezeichnet werden, was konsequenterweise nicht nur einen Einblick in den Künstler*innenalltag und den darin anfallenden Arbeiten gibt, sondern ebenso das Selbstverständnis von ZERO beleuchtet.
Ausstellungsplakate waren seit der Durchführung regelmäßiger künstlerischer Werkschauen essentieller Bestandteil der Veranstaltungen. Es handelte sich dabei meist um Schriftplakate. Da ein hoher Anteil der Bevölkerung bis zum Beginn des 19. Jahrhundert nicht lesen konnte, wurden bis dahin Ankündigungen öffentlich verlesen. Als sich dieser Bevölkerungsanteil jedoch sukzessive verringerte, wurden Ausstellungen hauptsächlich über die nach englischem und französischem Vorbild entworfene Säule von Ernst Litfaß (1816–1874) beworben.[i] Erste Plakate, die künstlerisch weiter ausgestaltet wurden und damit die Schriftplakate ablösten, fanden sich ab den 1870er Jahren in Frankreich.[ii] Um 1900 wurden die dort etablierten ornamentalen und allegorisch figurativen Gestaltungselemente des Ausstellungsplakats auch in Deutschland aufgegriffen.[iii] Das Plakat wurde in jener Zeit erstmals als Sammelobjekt betrachtet, was dazu führte, dass Museen Plakatsammlungen anlegten und schriftliche Abhandlungen zum Plakat verfasst wurden.[iv]
[i] We Want You! Von den Anfängen des Plakats bis heute, hrsg. von Museum Folkwang, Ausst.-Kat. Museum Folkwang Essen, Göttingen 2022, S. 14.
[ii] Künstlerplakate. Picasso, Warhol, Beuys…, hrsg. von Jürgen Döring, Ausst.-Kat. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Berlin 1998, S. 6.
[iii] Ausstellungsplakate 1882–1932. Die Nürnberger Plakatsammlung im Germanischen Nationalmuseum, hrsg. von Anja Ebert, Ausst.-Kat. Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Nürnberg 2013, S. 5.
[iv] Ebert (wie Anm. 5), S. 6–7.
[v] Ebert (wie Anm. 5), S. 12–13.
[vi] Ebert (wie Anm. 5), S. 12.
[vii] Ebert (wie Anm. 5), S. 12.
[viii] Anita Kühnel, „Werbegrafik in Deutschland seit 1945“, in: Schrift. Bild. Zeichen. Werbegrafik in Deutschland 1945–2015, hrsg. von ders., Dortmund 2016, S. 8–145, hier S. 60.
Die Entwicklung des Ausstellungsplakats ist eng an den Ausbau mechanischer Druckverfahren wie dem Offsetdruck zu Beginn des 20. Jahrhunderts geknüpft, die vor allem in der stetig wachsenden Werbebranche eine gesonderte Rolle einnahmen. Wesentlich war auch die Entwicklung der Gebrauchsgraphik als eigenständigem Berufsfeld, welches sich mit der Bereitstellung von Information und Werbung beschäftigte.[v]
Produktwerbung und künstlerischer Anspruch waren nicht per se miteinander vereinbar, jedoch überschnitten sich diese Interessen in der 1919 gegründeten Institution des Bauhauses.[vi] Daraus gingen zahlreiche Neuerungen für das künstlerische Tätigungsfeld sowie die Gebrauchsgraphik hervor, insbesondere im Bereich der Typographie.[vii] Beispielsweise entwickelte Paul Renner (1878–1956) im Jahr 1927 in Frankfurt am Main die Schriftart Futura, die als einfache, serifenlose Schrift auf das Wesentliche beschränkt war.[viii] Gemeinsam mit der um 1957 entstandenen Schriftart Helvetica wurde Futura auch mit Vorliebe von den ZERO-Künstler*innen für die Plakate genutzt. Die durch das Bauhaus reduzierte Formensprache wurde nach dem Zweiten Weltkrieg in der Plakatgestaltung von den ZERO-Künstler*innen aufgegriffen.
Die ZERO-Plakate bilden gestalterisch eine heterogene Masse. Übereinstimmungen in Größe, Farbigkeit und Ausgestaltung sind meist nur zu sehen, wenn es sich um Ausstellungsreihen, wie Pienes Fest für das Licht, oder aber um Wanderausstellungen handelte, wie ZERO-Avantgarde. Der Schriftzug „ZERO“, oder auch stellvertretend die „0“, wurden erst im Laufe der Jahre zu wesentlichen Bestandteilen der Plakate, mit deren Hilfe sich ZERO als Gruppe, Bewegung, Einheit oder auch künstlerischer Zusammenschluss in der Öffentlichkeit zu etablieren versuchte. Der verhältnismäßig späte Rückgriff für die Plakate verwundert, da der Schriftzug bereits 1958 für das Magazin ZERO 1 genutzt wurde. Im Folgenden soll deshalb ein Blick auf die Plakatentwicklung geworfen werden und herausgestellt werden, ab wann „ZERO“ auf den Plakaten als Synonym für die Gruppe auftaucht.
Eines der ersten Plakate, welches für eine ZERO-Ausstellung entworfen wurde, ist das Plakat zur Ausstellung dynamo 1, die im August 1959 in der Galerie Renate Boukes in Wiesbaden stattfand.
Der Entwurf stammt wohl von Otto Piene, wie eine in seinem Nachlass befindliche Entwurfszeichnung vermuten lässt.[i] Unterhalb einer großen Nummer „1“ erscheinen die Namen Bury, Holweck, Mack, Mavignier, Oehm, Piene, Rot, Soto, Spoerri, Tinguely und Yves jeweils mit dem Vorsatz „Dynamo“.[ii] Piene hielt dazu 2009 in einem Interview fest, dass die Ausstellung in Wiesbaden die erweiterte Gruppe ZERO repräsentierte. Erst danach benutzten Mack und er den Namen „ZERO“ als Titel für Gruppenaktivitäten sowie als Vorbereitung für ZERO 3, so schreibt er.[iii] Allerdings hatten sie den Schriftzug im Jahr 1958 für die Magazine ZERO 1 und ZERO 2bereits verwendet.
[i] Entwurfsskizze dynamo 1, o. D. (ca. 1959), Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.IV.99.
[ii] Tiziana Caianiello, „Ein ‚Klamauk‘ mit weitreichenden Folgen. Die feierliche Präsentation von ZERO 3“, in: ZERO 4 3 2 1, hrsg. von Dirk Pörschmann, Mattijs Visser, Düsseldorf 2012, S. 511–526, S. 518–519.
[iii] Dirk Pörschmann, „‚M.P.UE.‘ Dynamo for ZERO“, in: ZERO 5. The Artist as Curator. Collaborative Initiatives in the International ZERO Movement 1957–1967, hrsg. von Tiziana Caianiello, Mattijs Visser, Gent 2015, S. 17–58, hier S. 33.
Auf dem Plakat zur Veranstaltung ZERO. Edition, Exposition, Demonstration, die 1961 in und vor der Galerie Schmela in Düsseldorf stattfand und bei der das dritte und letzte ZERO-Magazin präsentiert wurde, erschien der Schriftzug auch auf dem Plakat.[i]
[i] Dirk Pörschmann, Evakuierung des Chaos. ZERO zwischen Sprachbildern der Reinheit und Bildsprachen der Ordnung, Köln 2018, S. 15.
Auf dem 84 x 58,5 cm großen Poster sind neben dem Schriftzug „ZERO“ im oberen Viertel in unterschiedlichen Schriftgrößen Namen einzelner Künstler*innen versammelt, die an ZERO 3 beteiligt waren. Gemeinsam mit mehrsprachigen Zitaten aus dem ZERO-Magazin wurde das Plakat zunächst als Collage gefertigt. Die Schriftgröße der einzelnen Namen variiert. Die Namen von Piene, Mack, Fontana, Mavignier oder Arman sind größer abgebildet als die von Uecker oder Tinguely. Ira Moldows Name ist auf dem Plakat kaum größer zu lesen als einige der Zitate. Weder Ort noch Uhrzeit der Veranstaltung sind auf dem Plakat vermerkt. Auf Fotografien des Präsentationsabends am 5. Juli 1961 ist das Plakat im Ausstellungsraum zwischen den Kunstwerken, aber auch zwischen Fragmenten einzelner Seiten aus dem Magazin sowie dem Magazin selbst aufgehängt zu sehen. Vermutlich wurde das Plakat nicht zu Ankündigungszwecken der Veranstaltung im öffentlichen Raum gefertigt, sondern zur Proklamation von ZERO 3 im Innenraum der Galerie Schmela, womit es zum gesamten Raumkonzept der collagenartigen Verbindung verschiedener Medien und künstlerischer Beteiligungen an dem Abend beitrug.[i]
[i] Pörschmann 2018 (wie Anm. 14), S. 39.
Für den Namen „ZERO“ als Marke oder Sammelbezeichnung für künstlerisch ähnliche Ansätze ist das Event bei Schmela und das damit verbundene Plakat dennoch als eine Art Initialzündung zu werten, denn ab diesem Zeitpunkt taucht „ZERO“ in Verbindung mit den immer selben Künstler*innennamen in unterschiedlichen Konstellationen auf Ausstellungsplakaten auf.
Das nächste Mal allerdings erst 1963 auf dem Ausstellungsplakat der Galerie Diogenes, zu welchem Anlass auch das ZERO-Manifest entstand und verteilt wurde. Als Titel wird „ZERO“ auch für die Schau in Gelsenkirchen im selben Jahr verwendet, die von Otto Piene gemeinsam mit Ferdinand Spindel (1913–1980) organisiert wurde.[i] Es folgten zahlreiche internationale Schauen, bei denen „ZERO“ als Titel für die Ausstellungen, aber auch zur Gestaltung der Plakate genutzt wurde, darunter in Den Haag oder London, vor allem aber für die Wanderausstellung ZERO-Avantgarde, die 1965/1966 von Nanda Vigo (1936–2020) kuratiert wurde und ZERO-Kunst in Italien bekannt machen sollte.
[i] Thekla Zell, „Chronologie“, in: Caianiello, Visser (wie Anm. 13), S. 429–485, hier S. 470.
An den Ausstellungen, die unter dem Namen „ZERO“ beworben wurden, nahmen nur in seltenen Fällen Mack, Piene und Uecker als einzige Künstler teil. Meist handelte es sich um größere Gruppenausstellungen für die verschiedene, internationale Künstler*innen angefragt wurden. Eine der ersten Ausstellungen, die unter dem Namen Group ZERO beworben wurde und an der lediglich Mack, Piene und Uecker teilnahmen, ist die Ausstellung bei McRoberts & Tunnard Gallery, London, 1964, die einige Monate später unter demselben Namen nach New York zu Howard Wise ging.
Neben dem Schriftzug „ZERO“ wurde synonym oder nebeneinander gestellt ab 1961 auch die Zahl „0“ in der Gestaltung verwendet. In dem von Francesco Lo Savio (1935–1963) designten Ausstellungsplakat für die Ausstellung Mack + Klein + Piene + Uecker + Lo Savio = 0 in der Galleria La Salita, Rom, 1961 wird die „Null“ als primäres Gestaltungselement eingesetzt. Die fünf Namen der teilnehmenden Künstler sind vertikal ausgeschrieben und erinnern an die Gestaltung des dynamo 1-Plakats in der Galerie Renate Boukes. Horizontal gelesen ergeben die Buchstabenreihen keinen logischen Sinn, enden jedoch jeweils mit dem Zusatz „= 0“.
Ein weiteres markantes Beispiel für die „0“ als Gestaltungselement ist das Plakat der Nul-Ausstellung im Stedelijk Museum Amsterdam, 1962. Für die Gruppenausstellung an der auch Mack, Piene und Uecker beteiligt waren, wurden mehrere Plakate angefertigt, darunter eine typographische Collage mit Ausschnitten aus verschiedenen Manifesten, auf deren Rückseite eine fotografische Werkzusammenstellung der teilnehmenden Künstler*innen zu sehen war.[i]Das Plakat wurde gefaltet in einem Umschlag als Begleitbroschüre während der Ausstellung ausgegeben. Für den öffentlichen Raum wurde die Zusammenstellung der Werkabbildungen als Vorlage verwendet, auf die eine große schwarze Null aufgetragen wurde. Am oberen sowie unteren Rand wurden die Angaben zur Ausstellung ergänzt, was ein simples sowie eindrückliches Design ergab. Die Null wurde, wie auch der ZERO-Schriftzug, auf dem Plakat der Bonner Abschlussausstellung von Mack, Piene und Uecker verwendet, war aber ansonsten ebenso Gestaltungselement für größere Gruppenausstellungen, oft auch im Zusammenhang mit der niederländischen Nul-Gruppe.
[i] Johan Pas, „The Magazine is The Message. ZERO im Zine-Netzwerk der Neo-Avantgarde 1958–1963“, in: Pörschmann, Visser (wie Anm. 12), S. 469–486, hier S. 482.
Mack, Piene und Uecker entwarfen zahlreiche der Ausstellungsplakate selbst, wie es zu diesem Zeitpunkt ein übliches Vorgehen war. Bis Uecker zur Gruppe dazustieß, wechselten sich Mack und Piene regelmäßig in der Gestaltung ab, was wohl neben den pragmatischen Gründen der Zeitersparnis auch darauf zurückzuführen ist, dass beide Künstler Spaß am Design der Plakate hatten.
So schrieb Mack im Rahmen der Poster-Gestaltung für die Ausstellung Integratie 64, Arena-Centrum Deurne, Antwerpen, 1964 an Paul de Vree (1909–1982):
„Ich mache gerne Plakate und habe auch manchmal Glück dabei“.[i] Als Beleg für seine Leidenschaft des Plakat-Designs fügte Mack hinzu: „Ich bin auch bereit, das Plakat ohne Honorar zu machen; die 100,- (hundert) DM, die Sie anbieten, möchte ich dennoch annehmen, damit ich meinen Entwurf von einem Berufsgraphiker druckfertig auslegen lassen kann, weil ich für diese Arbeit keine Lust und Zeit habe.“[ii]
Aus Korrespondenzen geht hervor, dass beispielsweise der Museumsdirektor Udo Kultermann (1927–2013) sowohl Piene als auch Mack für die Entwürfe von Gruppenausstellungen anfragte. Piene sollte im April 1960 das Plakat zur Ausstellung Monochrome Malerei in Leverkusen entwerfen, wofür er ein Honorar von 350 DM einforderte. Zwei Jahre später bot Kultermann Mack die Gestaltung eines Plakats für die Gruppenausstellung Konstruktivisten in Leverkusen an. Mack vermerkte im Kostenvoranschlag ein im Vergleich zum regulären Durchschnittsgehalt aus dem Jahr 1960 großzügiges Honorar von 500 DM.[i]
Üblich war das Honorar für die Gestaltung von Plakaten jedoch nicht. Oft ging es in den Korrespondenzen mit den Gallerist*innen um kleinteilige Kostenaufteilungen für die Werbemittel und die Transportkosten. So notierte Piene am 4. Februar 1960 zur Ausstellung Piene. Ölbilder. Rauchzeichnungen. Lichtmodelle. Lichtballett in der Galerie Diogenes in Berlin auf der Rückseite eines Kostenvoranschlags der Druckerei Firma Knoche, dass er mit dem Galeristen Günter Meisner (1926–1994) telefoniert habe, der ihm die finanzielle Übernahme der Kataloge und Einladungskarten zugesichert habe, er selbst zahle die Plakate.[ii] Die Übernahme der Kosten für Drucksachen war Verhandlungssache, wie auch durch die Korrespondenz mit Ursula Ludwig, die für die Galerie Diogenes arbeitete, aus dem Jahr 1962 belegt werden kann. Nachdem Piene im November desselben Jahres für die vom 30. März bis 30. April 1963 in Berlin stattfindende Ausstellung Zero der Galerie Diogenes die Kosten für Plakate und Einladungen übertragen möchte, schrieb Ludwig:
[i] Das durchschnittliche Monatsgehalt eines*einer Lohnarbeiter*in betrug im Jahr 1960 508,42 DM (https://www.gesetze-im-internet.de/sgb_6/anlage_1.html).
[ii] Druckerei Fr. Knoche an Otto Piene, Solingen, 3. Februar 1960, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.264.
„Nicht gut ist, daß [sic] wir die Kosten für Einladungen, Kataloge und Plakate alleine tragen sollen; ehrlich gesagt ist uns das zuviel [sic] – wie wäre es mit einem Kompromiß [sic]?“
und wartete auf Pienes Entgegenkommen.[i] Anscheinend konnte man sich einigen, denn sowohl Plakat als auch Einladungen und Katalog erschienen im Rahmen der Ausstellung im Frühjahr 1963. Die Wiener Galerie St. Stephan sicherte Piene wiederum für eine Ausstellung direkt die Übernahme der Druckkosten für das Plakat bis zu 300 DM zu, alles was darüber gehe, müsse er aber selbst zahlen. Die Hälfte der Transportkosten übernahmen sie allerdings auch.[ii]
[i] Galerie Diogenes an Otto Piene, Berlin, 8. Dezember 1962, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.1485.
[ii] Galerie St. Stephan an Otto Piene, Wien, 11. Dezember 1960, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO. 2.I.44.
Die Kostenkalkulationen für die Drucksachen einer Ausstellung waren also eng bemessen und wie aus den zahlreichen Briefen mit Galerien und Institutionen hervorgeht, wurde darüber streng verhandelt. Wenn Piene und Mack die Plakate selbst entwarfen, sparten die Galerien oder Institutionen die Kosten für Entwerfer*innen ein, und gleichzeitig war sichergestellt, dass die Plakate den individuellen Wünschen der Künstler*innen entsprachen. Die Künstler*innen selbst profitierten ebenfalls von den abgeschlossenen Deals, denn die Kunsteinrichtungen übernahmen im Gegenzug die Kosten für Transporte und weitere anfallende Druckkosten.
In Bezug auf das Zeitmanagement kann anhand der Archivmaterialien nachgezeichnet werden, dass die Entwürfe in der Regel zeitlich knapp angefertigt wurden. Die Korrespondenzen belegen, dass der Zeitrahmen für die Ausführung der Entwürfe und deren Auslieferung an die jeweilige Druckerei meistens nur eine Woche bemaß, dementsprechend zur Ausarbeitung und Umsetzung der Werbematerialien nur wenig Zeit einkalkuliert wurde – sowohl von Seiten der Institutionen als auch der Künstler*innen selbst. Dennoch sollten die fertigen Plakate möglichst schnell an Galerien und Institutionen weitergeleitet werden, um frühzeitig für die Ausstellungen zu werben. Dieser Vorgang, der stets in Zeitdruck, verspäteten Abgaben und unpünktlichen Aushängen der Plakate mündete, schien sich von Ausstellung zu Ausstellung zu wiederholen, wie anhand der Datierungen der Briefe abzulesen ist. Im Rahmen des Entwurfs für das Poster der Konstruktivisten-Ausstellung in Leverkusen drängte Mack in seinem Brief vom 8. Juni 1962 an Udo Kultermann beispielsweise auf eine rasche Entscheidung bezüglich seines Entwurfs, denn er brauche Zeit für seine „besondere Plakatidee“[i]. Die offizielle schriftliche Bestätigung erreichte Mack jedoch nicht vor dem 15. Juni. Die Ausstellung sollte allerdings am 22. Juni eröffnen, was Mack offiziell eine Woche Zeit ließ für die Konzeption, die er auch einhielt, wie aus der Rechnung geschlossen werden kann.[ii] Dies war jedoch nicht immer der Fall, wie ein Brief von Paul de Vree an Mack zeigt. Obwohl die Ausstellung Integratie 64 erst am 26. September 1964 eröffnen sollte, ließ de Vree Mack bereits am 7. August einen Brief zukommen, aus dem hervorging, dass Mack zu spät dran sei. Er wies Mack darauf hin, dass es bereits Anfang August sei und sie dringlichst mit der Werbung für die Ausstellung beginnen müssten, für die das Plakat essentiell sei.[iii] Die Dringlichkeit, mit der auf die Schnelligkeit bei der Plakatgestaltung hingewiesen wurde, hing sicherlich auch von der Größe der Ausstellung sowie der ausrichtenden Institution ab. Geworben wurde schließlich durch Aushänge an Plakatsäulen, über die Versendung von Plakaten an wichtige Institutionen zum Aushang sowie über die Verteilung an Freund*innen und Bekannte. Oft aber auch erst nach der Eröffnung, was die Folge des immerwährenden Problems des Zeitmanagements war.[iv]
[i] Heinz Mack an das Städtische Museum Leverkusen Schloss Morsbroich, Düsseldorf, 8. Juni 1962, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.I.1398.
[ii] Korrespondenz zwischen Heinz Mack, Düsseldorf, und dem Städtischen Museum Leverkusen Schloss Morsbroich, Leverkusen, Mai/Juni 1962, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.I.1397–1400.
[iii] Paul de Vree an Heinz Mack, Antwerpen, 7. August 1964, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.I.639.
[iv] Engelbert Eckert und Rochus Kowallek an Heinz Mack, Frankfurt am Main, 10. Juli 1961, Archiv der ZERO foundation VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.I.173; Heinz Mack an Städtisches Museum Leverkusen Schloss Morsbroich [Briefentwurf], Leverkusen, o. D., Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.I.1400; Otto Piene an Studio f [Briefentwurf], Düsseldorf, 24. April 1960, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.159.
Piene und Mack arbeiteten in Bezug auf die Plakatgestaltung eng mit der Druckerei Fr. Knoche in Solingen-Wald nahe Düsseldorf zusammen, wie Rechnungen aus der Zeit ab 1957 im Archiv belegen. Die Zusammenarbeit erfolgte aus persönlichen Gründen, da Pienes Freund, Walter Kirschbaum, den er im Kriegslazarett kennengelernt hatte, der Schwager des Firmeninhabers war.[i] Aus den Korrespondenzen mit der Druckerei Fr. Knoche lassen sich Preise und Druckangaben für die Plakate in der Zeit ablesen. Eine der ersten dokumentierten Plakatrechnungen stammt aus dem Jahr 1959 – Piene gab 200 Plakate DIN A1 im Offsetdruck bei Knoche in Auftrag, was ihn 209 DM kosten sollte.[ii] Bei Kostenübernahmen seitens Dritter tauchten jedoch nicht selten Probleme auf – meist, wenn eine Galerie die ausstehenden Rechnungen nicht zahlte. So erhielt Mack im Februar 1962 einen Brief von Werner Knoche, in dem er berichtete, dass die Galerie Dato in Frankfurt am Main die Kosten von 29 DM für insgesamt 82 Plakate für Die Ruhe der Unruhe trotz dreimaliger Mahnung nicht gezahlt habe.[iii] Aufgrund der nicht gezahlten Rechnung von Dato verlangte Knoche auf anwaltlichen Rat hin von Mack die Rückgabe der Papiere, womit er wohl die Plakate meinte. Erst im Oktober 1962 (Anm.: die ursprüngliche Rechnung wurde von Knoche am 26.7.1961 gestellt) wurde die Rechnung von der Galerie beglichen.[iv] Die Zusammenarbeit mit Knoche wurde trotz dieser gelegentlichen Zahlungsprobleme nicht beeinträchtigt, denn bis 1966 arbeiteten die ZERO-Künstler mit der Druckerei zusammen.[v]
[i] Dirk Pörschmann, „ZERO bis unendlich. Genese und Geschichte einer Künstlerzeitschrift“, in: Pörschmann, Visser(wie Anm. 12), S. 424–442, hier S. 437.
[ii] Druckerei Fr. Knoche an Otto Piene, Solingen, 29. Juni 1959, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.434.
[iii] Druckerei Fr. Knoche an Heinz Mack, Solingen, Februar/März 1962, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.I.325–326.
[iv] Korrespondenz zwischen Druckerei Fr. Knoche, Solingen, und Heinz Mack, Düsseldorf, Oktober 1962, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.I.327–328.
[v] Druckerei Fr. Knoche an Otto Piene, Solingen, 4. April 1967, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.2451.
Im Nachlass von Otto Piene in der ZERO foundation befinden sich zahlreiche Unterlagen zur Vorbereitung von Plakaten, darunter einige Entwurfszeichnungen und Skizzen.[i] Es handelt sich dabei meist um Ideenskizzen, anhand derer grobe Gestaltungsmuster erprobt wurden, wie beispielsweise für das Plakat zur Ausstellung dynamo 1, Galerie Renate Boukes, Wiesbaden, 1959, oder für das Plakat zu Pienes Ausstellung Sensibilité prussienne, die 1961 in der Frankfurter Galerie Dato stattfand. Während die 10,5 x 14,9 cm kleine Skizze für die letztgenannte Ausstellung mit Kugelschreiber auf einem einfachen Blatt Papier ausgeführt wurde, nahm Piene für die mit Füllfederhalter ausgeführte dynamo 1-Skizze die Vorder- und Rückseite seines Briefentwurfs an Oskar Holweck (1924–2007) aus dem Jahr 1959 zur Hand, die er kurzerhand überzeichnete.[ii]
[i] Ruth Magers, Rebecca Welkens, „Entwurf und Skizze im Nachlass von Otto Piene“, in: Die Entwurfszeichnungen und Skizzen von Otto Piene im Archiv der ZERO foundation, hrsg. von der ZERO foundation, Düsseldorf 2023, S.11–15.
[ii] Entwurfsskizze dynamo 1, o. D. (ca. 1959), Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.IV.99; Plakatentwurf zur Ausstellung Sensibilité prussienne, o.D. (ca. 1961), Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr..ZERO.2.IV.14.
Die spätere Plakatausführung ist auf der Vorderseite bereits zu erahnen – in schneller Kritzelei brachte Piene die durchnummerierten Namen der Teilnehmenden auf das Papier. Der zweite Entwurf ist im Vergleich mit dem ausgeführten Plakat fast deckungsgleich, abgesehen davon, dass es sich um einen querformatigen Entwurf handelt und das Plakat später im Hochformat ausgeführt wurde. Neben den Namen im mittleren Bereich sind am oberen sowie unteren Blattrand die Ausstellungsdetails vermerkt – allerdings strich Piene die Skizze durch, sodass von einer ersten Idee ausgegangen werden muss, die nicht an die Druckerei weitergereicht wurde.
Anders mutet der Kugelschreiberentwurf für das Plakat Sensibilité prussienne an. Mit spontaner, skizzenhafter Linienführung umriss Piene das als Hochformat auszuführende Plakat, auf welchem er am oberen Ende seinen Namen und den Ausstellungstitel vermerkte, mittig eine Kreisform andeutete und am unteren Ende den Namen der Galerie sowie deren Adresse anführte. Diese passte nicht ganz auf die klein angelegte Skizze von Piene, weshalb er über den Rand hinausschrieb, diesen Teil aber ebenfalls nachträglich einrahmte. Oberhalb der kleinen Skizze fügte er die Worte „A1 Auflage 500“ hinzu, was klar als Druckanweisung gelesen werden kann. Die Ausführung des Plakats erfolgte dem Entwurf entsprechend – auf die Nennung von Laufzeit und Öffnungszeiten der Ausstellung wurde tatsächlich auch auf dem Plakat verzichtet, weshalb es sich bei der Skizze um einen konkreten Vorentwurf handeln muss.[i] Generell gab Piene aber auch detailliert ausformulierte Anweisungen an den Drucker weiter, was in einigen Fällen Entwurfsskizzen sogar hinfällig werden ließ.[ii]
[i] Es ist davon auszugehen, dass zahlreiche Entwurfsskizzen für Plakate in den Druckanstalten verblieben und nicht mehr an die Entwerfer*innen zurückgesendet wurden. Ein Beispiel für diese Annahme ist ein Briefentwurf von Otto Piene an die Druckerei Fr. Knoche, in der Piene konkret eine Entwurfszeichnung benennt, die dem Brief wohl beigelegt wurde, im schriftlichen Nachlass von Piene aber nicht mehr aufzufinden ist. Eine Recherche nach dem Nachlass der Druckerei Fr. Knoche blieb bisher erfolglos. Vgl. Otto Piene an Druckerei Fr. Knoche [Briefentwurf], Düsseldorf, 1. Mai 1960, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.498.
[ii] Otto Piene an Druckerei Fr. Knoche [Briefentwurf], Düsseldorf, 26. April 1960, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.503.
Günther Uecker nutzte die Collage-Technik als Gestaltungselement für das Plakat Sintflut der Nägel, welches in Zusammenarbeit mit dem Verleger Hans Möller, dem die Hofhauspresse in Düsseldorf gehörte, im Jahr 1963 entstand.[i] Uecker beteiligte sich häufiger an Collagen, die als künstlerische Kollaborationsprojekte entstanden. Eines dieser Beispiele ist die bereits erwähnte Collage zur Nul-Ausstellung 1962 in Amsterdam. Für das Sintflut-Plakat griff Uecker auf zwei Collagen zurück, die er im selben Jahr wie das Plakat – 1963 – kurz zuvor gefertigt hatte.[ii] Auf einer 60,5 x 35,0 cm großen Pressspanplatte brachte Uecker neben Zeitungsausschnitten der Skyline von New York und einem blauen Wellenornament Fotografien des oberen Teils eines Atompilzes, seines eigenen Kopfes und des nach vorne gebeugten unteren Teils eines unbekleideten Körpers an. Mit weißer Farbe schuf er den Hintergrund für die New Yorker Skyline und mit dünnen Nägeln benagelte er Konturen der Abbildungen sowie größere Dunkelflächen der Fotografien für die erste Collage Sintflut Manifest – Überflutung der Welt. TRANSGRESSION. Den Titel vermerkte Uecker gemeinsam mit Signatur und Datum im unteren Drittel der Pressspanplatte mit Bleistift.
[i] Plakat Sintflut der Nägel, 1963, Archiv der ZERO foundation, Bestand 0, mkp.ZERO.0.VII.93.
[ii] Beide Arbeiten wurden 2023 durch den Freundeskreis der ZERO foundation angekauft und befinden sich in der Sammlung der ZERO foundation Düsseldorf.
Nach Fertigstellung fotografierte Uecker Teile der Collage und fügte diese im selben Jahr gemeinsam mit verschiedenen schwarz-weißen Werkfotografien zu einer weiteren Collage, Sintflut (Die Engel fliegen), zusammen, die mit 89 x 62,5 cm deutlich größer ist als die Arbeit auf Pressspan. Mit schwarzem Filzstift ergänzte er an den Rändern einzelne Wörter und kurze Sätze wie „die Engel fliegen“ oder „sich ausbreitender Unsinn“. Neben den fotografischen Kopien der ersten Collage fanden Werke wie seine aus demselben Jahr stammende Sonnenüberflutung – Transgression mittig in der oberen Hälfte der Collage ebenfalls als fotografische Reproduktionen Platz. Dazwischen sind Fotografien benagelter Tische sowie andere Alltagsgegenstände zu sehen. Ein Foto von Uecker selbst am unteren Rand sticht gemeinsam mit dem Kopf einer Frau heraus. Der Frauenkopf ist das einzige Element der Collage, welches aus einer Zeitung ausgeschnitten wurde und nicht auf Fotopapier gezogen wurde. Beide Figuren befinden sich auf einer gemeinsamen Vertikalen und suggerieren eine Verbindung im ansonsten chaotisch anmutenden Übereinander und Nebeneinander. Die Reproduktionen von Ueckers benageltem Kopf stechen aufgrund des starken Hell-Dunkel-Kontrastes deutlich heraus. Ihre vielfache Verwendung für die Collage hebt sie als motivische Konstanten hervor.
Die zweite Collage bildete schließlich die Vorlage für das Plakat Sintflutmanifest. Mit der Hilfe von Hans Möllers Hofhauspresse wurde die Sintflut-Collage kopiert und auf eine druckfähige Größe, in diesem Fall DIN A2, reduziert.[i] Auf dem fertigen Druckplakat wurden dann rote Stempel mit der Aufschrift „SINTFLUT DER NÄGEL“ am oberen linken sowie mittleren rechten Rand angebracht. Ein weiterer Stempel mit den Worten „hofhaus presse“ wurde in blauer Farbe am unteren Rand hinzugefügt. Wo und wie das Manifest verbreitet wurde, ist unklar, doch als Uecker mit William E. Simmat (1926–1993) aus der Galerie d im August 1963 bezüglich der Ausstellung Sintflut der Nägel in Kontakt tritt, schreibt er, ob es möglich sei, seine Plakate, er habe noch 500 Stück, als Einladung zu verwenden. Sie müssten, so notiert er, dann rot mit Namen und Galerie d bedruckt werden – und fügt sogleich eine Skizze in den Brief mit ein.[ii] Eine weitere Skizze auf dem gestempelten Plakat, die Uecker ebenfalls an Simmat schickte, zeigt mit blauem Kugelschreiber an, wie er sich die Einladungskarte vorstellte.[iii] Uecker handelte pragmatisch, denn so wurde der Kosten-Nutzen-Aufwand für die Werbemittel zur Ausstellung besonders gering gehalten. Dennoch fand ein wohlüberlegtes und anspruchsvolles Collagenwerk weitere Verwendung.
[i] Vgl. Brief Heinz Mack an Paul de Vree (wie Anm. 18). Hieraus geht hervor, dass Hans Möller wohl nur bestimmte Größen Offset drucken konnte.
[ii] Günther Uecker an William E. Simmat, Düsseldorf, 15. August 1963, Archiv der ZERO foundation, Nachlass William E. Simmat, Inv. Nr. mkp.ZERO.7.I.22.
[iii] Entwurf für die Einladungskarte für die Ausstellung Sintflut der Nägel in der Galerie d, Frankfurt am Main, 1963,Archiv der ZERO foundation, NL Simmat, Inv. Nr. mkp.ZERO.7.IV.2.
In leicht veränderter Form und mit einem zusätzlichen Schrifttext wurde das Manifest später tatsächlich als Einladungskarte versendet, allerdings ohne die roten und blauen Stempel der Hofhauspresse. Im September 1963 eröffnete die Ausstellung, in der Uecker primär benagelte Alltagsgegenstände zeigte, mit einem Event: Bazon Brock (*1936) las einen Text vor und Günther Uecker benagelte diesen gleichzeitig zu Brocks Füßen.
In der Gestaltung der ZERO-Poster findet sich häufig die Verwendung von fotografischen Elementen, meistens Werkfotografien zur Illustration und Konkretisierung der in der Ausstellung zu erwartenden Inhalte. Neben den Plakaten, auf denen Werke stellvertretend für die teilnehmenden Künstler*innen gezeigt wurden, gibt es in der Gruppe der ZERO-Plakate einige Exemplare, für deren Design abstrakte Fotografien gewählt wurden. Dazu gehören beispielsweise die Plakate zu den Gruppenausstellungen Konstruktivisten, Museum Morsbroich, Leverkusen, 1962, sowie Integratie 64, Arena-Centrum Deurme, Antwerpen, 1964. Für beide Ausstellungen entwarf Mack das jeweilige Plakat und in beiden Fällen verwendete er eigene Werke als fotografische Vorlagen.
Kultermann hatte im Mai 1962 bei Mack angefragt, ob dieser das Plakat für die Konstruktivisten-Ausstellung entwerfen würde und Mack sagte kurze Zeit später zu.[i] Für das Plakat sowie den Ausstellungskatalog verwendete er zur Illustration eine von ihm gefertigte Experimentalfotografie.[ii]
[i] Städtisches Museum Leverkusen Schloss Morsbroich an Heinz Mack, Leverkusen, 30. Mai 1962, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.I.1397.
[ii] Vielen Dank an das Atelier Mack, insbesondere Heinz Mack und Sophia Sotke, die mir großzügige Auskünfte in Bezug auf die Plakatentstehung erteilten.
Im Vergleich mit Macks Oeuvre aus der Zeit fallen zahlreiche Überschneidungen zwischen der Fotografie und seiner Werkreihe der Dynamischen Strukturen auf. Auf schwarzem Grund ragen aus einer trichterförmigen weißen Fläche weiße zacken- oder strahlenförmige Linien heraus. In der Mitte des Hochformat-Posters wird die Fläche durch einen schwarzen Streifen mit der Beschriftung „Konstruktivisten“ getrennt, darunter spiegelt sich der obere Teil der Fotografie. Die abgebildeten Strukturen erinnern im weitesten Sinne an Visualisierungen von Ton- und Stimmbildern. Zahlreiche ähnliche Beispiele sind im malerischen und zeichnerischen Oeuvre von Mack zu erkennen, der sich seit den frühen 1950er-Jahren mit der Darstellung von rhythmischen Strukturen in Anlehnung an Musikalität beschäftigte. Andere Beispiele für ähnliche Darstellungen der Dynamischen Strukturen von Mack finden sich auch in ZERO 3, was die für das Plakat verwendete Experimentalfotografie zu einem für Mack markantem Werk machte.[i]
Für das Poster von Integratie 64 wählte Mack eine Fotografie des Sahara-Reliefs, welche 1960/1961 als Arbeit für den öffentlichen Raum geschaffen wurde und die Fassade der Mathilden-Schule in Leverkusen bekleidete.[ii] Auf dem Plakat ist die Fotografie einer der in Untersicht fotografierten Fassade zu sehen, die den Blick auf eine horizontale Zick-Zack-Struktur freigibt.
[i] Magdalena Zorn, „Das Klingen sehen. Musikalität im Werk von Heinz Mack“, in: Heinz Mack, Köln 2021, S. 58–73, S. 58–61; Fotografie des Werks Dynamische Struktur von Heinz Mack, 1961, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.V.106.
[ii] Die Reliefs bestehen heute nicht mehr und wurden von der Fassade entfernt. Sophia Sotke, „Das Sahara-Projektvon Heinz Mack im internationalen Kontext von ZERO und Land Art, 1959–1976“, Diss. Köln 2020, S. 65–66.
Die Lamellen variieren in ihrer Anordnung, was für die Betrachter*innen den Effekt unterschiedlicher Licht- und Schatteneinfälle je nach Standortwechsel erzeugte.[i] In einem Brief an Paul de Vree, einem der drei Organisatoren der Ausstellung, schrieb Mack detailliert auf, was er für die Plakatgestaltung plante:
[i] Sotke (wie Anm. 45), S. 65–66.
„[…] ich möchte die Rasterwirkung meiner Sahara-reliefs [sic] – als graphisches Raster übersetzt – für das Plakat verwenden, weil m.E. damit eine großzügige, plakative Wirkung erreicht werden kann, die auch ihren inneren Sinn hat: eine Integration von architektonischen und plastischen Strukturen. Selbstverständlich werde ich allein einen Ausschnitt der Reliefs wählen, der sich möglichst anonym präsentiert; d.h., natürlich soll der Betrachter nur die freie graphische Struktur sehen, wobei er Architektur und Plastik und Technik assoziiert, nicht aber meinen Namen, beziehungsweise die gegebenen Reliefs.“[i]
[i] Heinz Mack an Paul de Vree [Briefentwurf] (wie Anm. 18).
Der Brief bezeugt Macks Anliegen mit seiner Plakatgestaltung so eng wie möglich am Ausstellungsthema zu arbeiten und visuell in die Verbindung von Kunst, Technologie und Architektur einzuleiten. Neben dem Wunsch nach einem treffenden Entwurf, geht Mack darauf ein, dass er eine graphische Ausgestaltung seines Reliefs für das Poster plane – umgesetzt wurde jedoch eine Fotografie, die nur wenig abstrahiert wurde. Aus weiterer Korrespondenz mit de Vree geht hervor, dass Mack am Ende die Frist zur Gestaltung nicht einhielt – es lässt sich nur mutmaßen, dass die Verwendung der Fotografie eventuell auch auf Zeitgründe zurückzuführen ist. Dies hatte zur Folge, dass die versprochene Abstraktion, und damit die Anonymität Macks, aus heutiger Sicht kaum erfüllt wurde: Macks Relief muss zumindest für Kenner*innen sogleich als solches ersichtlich gewesen sein, denn es handelte sich um ein Werk im öffentlichen Raum, aber viel wichtiger noch war, dass es schon in ZERO 3 abgedruckt worden war.[i] Mack platzierte in beiden besprochenen Beispielen seine eigenen Werke durch den Wiederabdruck auf Plakaten zu Gruppenausstellungen geschickt im öffentlichen Raum.
[i] ZERO 3 hatte mit 1225 gedruckten Exemplaren eine höhere Reichweite als ZERO 1 (400 Exemplare) und ZERO 2(350 Exemplare). Vgl. Pörschmann, Visser (wie Anm. 12), S. 403–404.
Dass die Werke einzelner Künstler*innen über die Plakate als solche zu identifizieren waren, mag vor allem auch der Ausbildung eines eigenen wiedererkennbaren Stils geschuldet gewesen sein. Als einer der wenigen Berufsgraphiker*innen aus dem ZERO-Kreis bildete Almir Mavignier (1925–2018) einen unverkennbaren Personalstil aus, der sich in den 1950er- und 1960er-Jahren oftmals am Punktraster orientierte. Anders als bei den anderen ZERO-Künstler*innen bedingten sich bei Mavignier Plakatgestaltung und künstlerische Tätigkeiten, denn nicht selten entstand aus den Plakat-Designs eigenständige Graphik, was die Grenzen zwischen Kunstwerk und Gebrauchsgraphik bei Mavignier fließend werden ließ.[i]
Nach seinem Malerei-Studium in Rio de Janeiro kam Mavignier nach Europa und studierte von 1953 bis 1958 an der Hochschule für Gestaltung in Ulm „Visuelle Kommunikation“.[ii] Über Piene und die Teilnahme an der 7. Abendausstellung stieß Mavignier zu den ZERO-Künstler*innen dazu und stellte bis 1963 regelmäßig mit ihnen aus.[iii] Neben den Kunstwerken, die er schuf, fertigte Mavignier in dieser Zeit über 200 Plakate an, dabei handelte es sich bei den meisten um Kulturplakate, beispielsweise für das Museum in Ulm, die er als Auftragsarbeiten ausführte.[iv] In Ulm entwickelte Mavignier auch erstmalig seine sogenannten Modulplakate für das Museum, die für jede neue Ausstellung angepasst werden konnten, im Grunde aber stets einem ähnlichen Aufbau folgten. Einzelne Module wurden für jede Ausstellung neu angeordnet – so ergab sich ein serieller und zusammenhängender Charakter, der einen Wiedererkennungswert in der Öffentlichkeit hatte, dennoch ließen sich die Arbeiten individuell gestalten. Mavignier war es besonders wichtig, innerhalb der Gestaltung der Plakate möglichst frei zu sein, dazu zählten vor allem die graphische Gestaltung, die Farbwahl sowie auch die Überwachung des Drucks.[v]
[i] Axel von Saldern, „Almir Mavignier“, in: Mavignier. Plakate, hrsg. von ders., Ausst.-Kat. Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg/Deutsches Plakat Museum Essen, 1981, S. 46–47.
[ii] Von Saldern (wie Anm. 49), S. 46–47.
[iii] Otto Piene an Almir Mavignier [Briefentwurf], Düsseldorf, 5. März 1958, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.854; Almir Mavignier an Heinz Mack, Ulm, 28. April 1963, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.I.809.
[iv] Von Saldern (wie Anm. 49), S. 46.
[v] Von Saldern (wie Anm. 49), S. 46.
Eines der prägnanten Beispiele seiner innovativen Herangehensweise an die Plakatgestaltung zeigte sich im Rahmen der Ausstellung Mavignier. Bilder + Plakate, Galerie Nota, München, 1961.[i]
[i] Es handelte sich dabei um eine Ausstellungsreihe. Die Mavignier-Ausstellung war die vierte Ausstellung. Zuvor gab es bereits Ausstellung von Morellet sowie Mack und Piene in der Münchner Galerie Nota. Antje von Graevenitz, “Gerhard von Graevenitz as Curator”, in: Caianiello, Visser (wie Anm. 13), S. 275–292, S. 284–287.
Zwei große weiße Kreise sind jeweils am oberen und unteren Ende des vertikal ausgerichteten Siebdruck-Plakats zu sehen, in denen oben Mavigniers Name und unten in kleiner Schrift – eines der gestalterischen Markenzeichen von Mavignier – der Ausstellungstitel sowie die weiteren Angaben zur Ausstellung genannt werden. Die zwei weißen Kreise sind Teil eines Rasters aus ansonsten schwarzen Kreisen auf blauem Grund, die, abgesehen von dem mittleren Kreis, jeweils durch den Plakatrand geteilt beziehungsweise beschnitten werden. Mavignier verfolgte damit eine spezifische Strategie für den Außenraum.[i] Es sollten mehrere Plakate vertikal sowie horizontal nebeneinander angebracht werden, sodass sie zusammen ein großes Rasterbild ergaben. Die Plakatgestaltung unterlag also einem logischen Gesamtkonzept, das sowohl im Einzelnen als auch in der größeren Menge funktionierte und den Außenraum sowie die öffentliche Wahrnehmung mitbedachte.
[i] von Graevenitz (wie Anm. 54), S. 287.
Für die besprochenen ZERO-Künstler, Mack, Piene, Uecker und Mavignier, war die Ausgestaltung von Plakaten essenzieller Teil ihrer Arbeit, der sich formal an der Schnittstelle von Kunst und Gebrauchsgraphik angliederte, oftmals aber inhaltlich eine intensive künstlerische Ausgestaltung aufwies, wie die einzelnen Beispiele anschaulich gemacht haben. Die Plakate erfüllten neben der generellen Funktion– der Erzeugung von öffentlicher Aufmerksamkeit für die jeweils beworbenen Ausstellungen – auch individuelle Aufgaben. Während sich Piene komplett dem ZERO-Gedanken verschrieben hatte und dies auch in seinen Entwürfen für die Plakate deutlich wurde, verwendete Mack die Poster auch, aber sicher nicht ausschließlich, zur Aufmerksamkeitsgenerierung für seine eigenen Werke. Für Uecker hatten die Poster weniger einen werbestrategischen als einen ideellen, aber vor allem künstlerischen Wert und für Mavignier erfüllten sie stets die Doppelfunktion zwischen künstlerischem Ausdrucks- und Werbemittel, die ihm auch zur Sicherung seiner Existenz dienten. Die eingangs erwähnte Heterogenität der Plakate im ZERO-Archiv findet sich also nicht nur in der motivischen, sondern auch in ihrer funktionalen Ausgestaltung wieder, die letztlich auf das individuelle Verständnis des Plakats als Gestaltungsmedium der besprochenen Künstler hindeutet.
Am Beispiel des Dokumentationsraums der 1966 stattgefundenen Ausstellung Zero ist gut für dich in Bonn wird noch einmal besonders deutlich, dass Mack, Piene und Uecker dem Plakat auch für ihre gemeinsame Tätigkeit einen hohen Stellenwert beimaßen. Die Wände des Raums wurden mit zahlreichen Plakaten aus der ZERO-Zeit regelrecht tapeziert. Vor den Wänden aufgestellte Vitrinen beinhalteten korrespondierend die Kataloge, Manifeste und Einladungskarten aus der Zeit von 1957/1958 bis 1966. Die Ausstellung wurde durch den Dokumentationsraum betreten und sollte die Besucher*innen über die Geschichte von Mack, Piene und Uecker informieren und in den Ausstellungskontext einführen.[i] Die Künstler, die diesen als den einzigen Raum gemeinsam gestaltet hatten, strebten über die Inszenierung der Plakate und der anderen Werbemittel eine Form der Selbstdarstellung an, die einerseits der eigenen Historisierung diente, andererseits auch die gemeinsamen Tätigkeiten visualisieren und aufwerten sollte. Das Plakat wurde trotz aller individuellen künstlerischen Positionen als gemeinschaftliches Produkt nach außen getragen, womit auch der weitgreifend internationale Erfolg von den Düsseldorfer ZERO-Künstlern konstatiert wurde.
[i] 1964 hatte Mack einen ähnlichen Raum in London konzipiert. Thekla Zell, ”’The ship ZERO is casting out its anchor, and the voyage is over.’ ZERO in Bonn and a final Midnight Ball”, in: Caianiello, Visser (wie Anm. 13), S. 397–428, hier S. 403.