O O=0 (Null)
by Anna-Lena Weise
4,3,2,1 – ZERO = Null, Nullpunkt, Nichts
In der Mathematik fungiert die Null als neutrales Element der Addition. Sie ist die einzige reelle Zahl, die weder positiv noch negativ ist. Vor ungefähr 5000 Jahren ritzte ein unbekannter Schreiber zur Unterscheidung von Zahlen wie 12 und 102 zwei schräge Pfeile in eine Tontafel. Aus diesem Zeichen für das Nichts hat sich in den folgenden drei Jahrtausenden unsere Zahl Null entwickelt. Sie ist zugleich Platzhalter, Lückenfüller, Ziffer, Chiffre und sieht dabei dem Buchstaben O zum Verwechseln ähnlich.[ii]
Bei der „Gruppe“ ZERO erhält die Null unterschiedlichste Verwendung: im Namen, auf Drucksachen, in Kunstwerken und mehr.
[i] In der deutschen Bezeichnung steckt noch die Redewendung „null und nichtig“, was bedeutet, dass etwas ungültig (ohne Wert) ist und was zugleich eine Doppelung enthält. Das Wort Null kommt auch in zahlreichen weiteren Redensarten vor. Zum Beispiel, dass „etwas bei null anfängt“ oder dass jemand, „fachlich gesehen eine Null sei“. Aus diesem Grund wird die Null zumeist eher mit einer negativen Konnotation versehen.
[ii] Uwe Springfeld, „Die Geschichte der Null“, in: Die unsichtbaren Dimensionen des Universums, Spektrum der Wissenschaft 10, 2000, S. 106, https://www.spektrum.de/magazin/die-geschichte-der-null/826879 (aufgerufen am 20.08.2023).
Der Name ZERO verweist bereits auf den von den ZERO-Gründern Heinz Mack (*1931) und Otto Piene (1928-2014) erstrebten Neuanfang nach dem Zweiten Weltkrieg. Als Metapher bezeichnet die „Stunde Null“ den Beginn der Nachkriegszeit in Deutschland.
Eleanor Gibson schreibt dazu:
„In the years immediately after the war, the term Stunde Nul – or ‚Zero hour‘ – was used to signify a desired or supposed break with Nazism, as well as with the defeat and destruction of the war. The term Zero also carried specific military associations: ‚air zero‘ being the explosion point of a bomb above the ground and ‚ground zero‘, first used in 1946 by the United States Strategic Bombing Survey, indicating the ground point directly below an aerial nuclear explosion.“[i]
[i] Eleanor Gibson, The Media of Memory. History, Technology and Collectivity in the Work of the German Zero Group 1957-1966, Diss. Yale, 2009, S. 18. – Die ZERO-Künstler wählten diesen Namen mit Sicherheit nicht im Zusammenhang mit der Atom-Bombe, sondern in Verbindung zum Kriegsende und dem sich daraus erhofften Neuanfang. Obwohl es diesen Neuanfang, den die „Stunde Null“ symbolisiert im Endeffekt nicht wirklich gab.
Die Formulierung „null Uhr“ bedeutet im Sprachgebrauch Mitternacht. Bei der Tageszeit ist 00:00 der Beginn eines neuen Tages. Heinz Mack scheint diese Formulierung wörtlich genommen zu haben. Denn zwei seiner Werke stellen regelrechte Null-Uhren dar. Von seinem Onkel, der Uhrmacher war, hatte Heinz Mack gelernt einen Wecker zu demontieren und wieder zusammenzusetzen. Der ZERO-Wecker, um 1964, entstanden, wurde von innen koloriert und auf das Ziffernblatt reduziert, sodass in das Uhrwerk hineingeschaut werden kann. Alle Ziffern wurden durch Nullen ersetzt.[i] Ein weiteres Mal beschäftigte sich Mack im Kontext des Mitternachtsballs im Rolandseck mit einer Uhr.
[i] Heinz Mack, ZERO-Wecker, um 1964, 15 x 13 x 6 cm, Wecker mit Collage, Sammlung der ZERO foundation, Inv. Nr. mkp.ZERO.2008.12.
Die große ZERO-Bahnhofsuhr[i] wurde laut Wieland Schmied Ende 1967 entworfen, aber erst später realisiert.[ii] Auch bei dieser Uhr sind die Ziffern durch die Null ersetzt. Bei Heinz Mack schlagen somit alle Uhren die „Stunde Null“ und läuten eine neue Zeit (für die Nachkriegskunst) ein.
[i] Heinz Mack, ZERO-Zeit 220 Volt, 1961/2008, 210 x 62 x 62 cm, Metall, Glas, Elektrik, Sammlung der ZERO foundation, Inv. Nr. mkp.ZERO.2008.11.
[ii] Vgl. Wieland Schmied, „ZERO // ZERO. Mit Beiträgen von // with texts by Dieter Honisch, Anette Kuhn, Heinz Mack, Pierre Restany, Wieland Schmied und Renate Wiehager“, in: Mack. Leben und Werk / Life and Work. 1931–2011, Köln 2011, S. 110-161, hier S. 160.
Es existiert eine Vielzahl an Plakaten der ZERO-Künstler*innen, die sich der Zahl Null bedienen und diese in unterschiedlichsten Ausformungen zur Anwendung bringen. Das Plakat zur Ausstellung Mack + Klein + Uecker + Lo Savio = 0, Galleria La Salita, Rom, 1961[i], spielt mit der Zahl als Bestandteil einer ungewöhnlichen Addition. Die Namen von oben nach unten geschrieben und miteinander addiert ergeben in jeder Zeile gleich 0. Die Gestaltung des Buchstaben O und der Zahl 0 ist dabei identisch.
[i] Plakat zur Ausstellung Mack + Klein + Piene + Uecker + Lo Savio = 0, Galleria La Salita, Rom, 1961, Archiv der ZERO foundation, Vorlass Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.VII.44.
Sehr präsent ist die Null im Plakat zur Ausstellung Nul, Stedelijk Museum, Amsterdam, 1962.[i]Die schwarze Null ist hier groß und zentral über Werkabbildungen der teilnehmenden Künstler gelegt. Auf ihr liegt der Betrachter*innen-Fokus.
[i] Plakat zur Ausstellung Nul, Stedelijk Museum, Amsterdam, 1962, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.VII.47_1.
Das Plakat zur Ausstellung Mack, Piene, Uecker in der Kestner-Gesellschaft, Hannover, 1965,[i]ziert eine große, aus drei Farben zusammengesetzte Null. Von innen nach außen sind Rot, Silber und Schwarz eingelassen. Das Rot bildet innen die Ellipse einer Null, die durch Silber aufgefüllt und dann durch das Schwarz zur Kreisform erweitert wird. Die drei Farben sollen nach Wieland Schmied jeweils Piene (Rot), Mack (Silber) und Uecker (*1930) (Schwarz) repräsentieren.[ii] Die Null repräsentativ für ZERO im Gesamten, zudem aber auch für den letzten Buchstaben dieses Namens stehend, wird antizipiert. Es kommt zu einer Doppelung der Form, durch elliptische 0 und kreisrundes O.
[i] Plakat zur Ausstellung Mack, Piene, Uecker in der Kestner-Gesellschaft, Hannover, 1965, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv Nr. mkp.ZERO.1.VII.52(1).
[ii] Weitere Informationen dazu in Wieland Schmied, „Etwas über ZERO“, in: 4321 ZERO, hrsg. von Dirk Pörschmann, Mattijs Visser, Düsseldorf 2012, S. 9-17.
Dieser Umgang mit der Null erfährt auch in dem Plakat zur Ausstellung ZERO: An Exhibition of European Experimental Art, Washington Gallery of Modern Art, Washington D.C., 1965, eine Anwendung. Dieses beruht auf einem Entwurf des US-Künstlers Robert Indiana (1928-2018). Indiana fertigte das Motiv speziell für die Ausstellung und das Plakat an. Die weiße Null, in der Plakatmitte, wird von einem weiteren runden Kreis eingeschlossen.[i] Der Kreis aufgrund des Fehlens eines Anfang- und Endpunkts auch als Symbol der Unendlichkeit bezeichnet, schließt die Null in sich ein. Was die Interpretation, dass ZERO für immer/ewig ist/sein soll, nach sich ziehen kann.
[i] Plakat zur Ausstellung ZERO: An Exhibition of European Experimental Art, Washington Gallery of Modern Art, Washington D.C., 1965, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.VII.110.
Auch in einer Collage von Heinz Mack ist das O zugleich als 0 lesbar, was einen Rückbezug zu dem englischen Begriff „zero“ darstellt.[i] An einem Ballon hängt das Wort ZERO. Die Null ist in weiß von den anderen schwarzen Buchstaben abgesetzt. Zudem ist ihr Schriftschnitt größer, wodurch sie eine zusätzliche Betonung erfährt.
[i] Heinz Mack, ZERO-Ballon, Fotocollage, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, mkp.ZERO.1.V.4.
Bei mikro nul zero, Galerie Delta, Rotterdam[i], wird die Zahl wiederum anders genutzt. Die schwarze Null ist auch hier in die Mitte gesetzt. Durch ihre Mitte verläuft eine unsichtbare Trennlinie, die zu einer Spiegelung der Typografie führt. Die teilnehmenden Künstler*innen flankieren die Null, während der Ausstellungstitel in diese platziert wurde. Die namentliche Verbindung von ZERO und der Gruppe Nul aus den Niederlanden kommt besonders gut im Plakat der Ausstellung ZERO-0-Nul, Gemeentemuseum Den Haag, 1964[ii], zur Geltung. Das verbindende Glied – die Null – ist wieder mittig platziert, während die Namen der Künstler von ZERO und Nul diese von vier Seiten einschließen. Auch der Katalog ist zweigeteilt. Die Vorderseite gehört den Nul-Künstlern, die Rückseite den ZERO-Künstlern. Auf jeder Seite ist die Hälfte einer Null abgebildet, die sich nur im Zusammenspiel beider Seiten als Ganzes präsentiert.
[i] Plakat zur Ausstellung mikro nul zero, Galerie Delta, Rotterdam, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.VII.116.
[ii] Plakat zur Ausstellung ZERO-0-Nul, Gemeentemuseum Den Haag, 1964, Archiv der ZERO foundation, VL Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.1.VII.51(1). Mehr zu der Ausstellung in Thekla Zell, „Wanderzirkus ZERO“, in: ZERO, hrsg. von Dirk Pörschmann, Magriet Schavemaker, Köln 2015, S. 19-178, hier S. 79.
Als Nullnummer wird auch die Ausgabe einer Zeitschrift oder Zeitung bezeichnet, die vor der eigentlichen Neueinführung des Mediums erscheint. Schon früh sind Schritte unternommen worden, Zeitschriften über die neuen Tendenzen in der Kunst entstehen zu lassen. Otto Piene und Heinz Mack bringen 1958 im Zuge der 7. Abendausstellung Das rote Bild die Zeitschrift ZERO 1 heraus, welche noch zwei weitere Ausgaben erhalten sollte. Der Name der neuen Kunstrichtung wurde somit zugleich zum Programm gemacht. In ZERO 3 wird bis „unendlich“ gedacht, indem dieses Zeichen aus zwei Kreisen (Nullen) nebeneinander angedeutet wird.[i]
[i] Zu den ZERO-Magazinen s. Pörschmann, Visser (wie Anm. 9).
Die Zeitschrift Nul = 0. Tijdschrift voor de nieuwe konseptie in de beeldende kunst, Band 1, herausgegeben von Armando (1929-2018), Henk Peeters (1925-2013) und Herman de Vries (*1931) erscheint ein halbes Jahr nach ZERO 3. Auch sie dient als Sprachrohr zeitgenössischer Künstler. Die Herausgeber hatten die Idee, regelmäßig Beiträge von Künstlern sowie Informationen zu aktuellen Ausstellungen zu veröffentlichen. Das Cover ist bis auf den ungefüllten Kreis in der rechten oberen Ecke leer. Die Null rückt in den Fokus der Betrachtung.Die Herausgabe von Nul = 0 diente als Werbemaßnahme für die von Henk Peeters für das Jahr 1962 geplante Ausstellung Nul im Stedelijk Museum, Amsterdam. Im April 1963, zwei Jahre nach der ersten Ausgabe, erscheint die zweite Nummer der Zeitschrift. Das Heft ist den verstorbenen Yves Klein und Piero Manzoni gewidmet. Das Titelblatt zeigt die vergrößerten Fingerabdrücke Manzonis, die der Form einer Null ähneln sowie eine prägnante rote Null in der oberen rechten Ecke.
Die Hand von Heinz Mack, mit einer Null gestempelt, anstelle einer Eintrittskarte. Die Idee wurde verwendet für das ZERO-Abschiedsfest im Bahnhof Rolandseck, Remagen bei Bonn, 1966. Zudem wurde ein ZERO-Teller, im Kontext der Eat-Art und in Bezug auf das Fasten nach Karneval, als Idee für das Fest entwickelt. Dieser trägt auf weißem Grund eine schwarze Null demonstrativ in seiner Mitte.
Günther Uecker hatte 1961 die Idee, einen weißen Ballon vor der Galerie Schmela aufsteigen zu lassen. Eine große weiße Null, die Günther Uecker dann ein Jahr später in differenzierter Form wiederholen sollte. Seine auf den Boden gemalte kreisrunde „Weiße Zone ZERO“ wurde bei der ZERO-Demonstration auf den Rheinwiesen, 1962, von Livemusik und einem tanzenden Publikum begleitet. Außerdem trugen Mädchen Gewänder aus schwarzem Karton mit aufgemalten weißen Nullen und sogar die in den Himmel aufsteigenden Luftballons glichen dieser Zahl.
Anlass zu der Demonstration lieferten Filmdreharbeiten von Gerd Winkler für den Hessischen Rundfunk. Der daraus entstandene Film 0 x 0 = Kunst. Maler ohne Pinsel und Farbe wurde am 27. Juni 1962 zum ersten Mal im Fernsehen ausgestrahlt.[i] Das ZERO-Kleid spielte bei den ZERO-Demonstrationen der 1960er-Jahre eine wichtige Rolle. Es war integraler Bestandteil der Performances[ii], was viele dokumentarische Fotos und die Entwurfszeichnung von Günther Uecker beweisen.[iii]
[i] Mehr zu Gerd Winklers Film in Pörschmann, Schavemaker (wie Anm. 13), S. 91 ff.
[ii] ZERO-Kleid, 1961/2008, 100×60 cm, Sammlung der ZERO foundation, Inv. Nr. mkp.ZERO.2008.10.
[iii] Günther Uecker, Entwurf ZERO-Kleid, 2006, 60,6×43,2 cm, Bleistift, Acrylfarbe und Tonpapier auf Papier, Sammlung der ZERO foundation, Inv. Nr. mkp.ZERO.2019.02.
Dieses Zitat aus dem ZERO-Manifest: Zéro der neue Idealismus, welches 1963 aus einer Laune heraus entstanden sein soll,[i] deutet auf die von den ZERO-Künstler*innen des Öfteren verwendete runde Form der Null hin. Das Manifest ist bereits in einen Kreis eingeschrieben.
Kreisrund ist der Buchstabe O. O wie Otto Piene, und wie Null. In einigen Briefen unterzeichnete er nur mit O. Mit diesem O, welches zugleich einen Buchstaben und eine Zahl darstellt. Der Kreis umschließt seine Signatur, was auf seine hohe Identifikation mit ZERO schließen lässt.
[i] Vgl. Schmied (wie Anm. 6), S. 160.