L Licht
by Marco Meneguzzo
Licht auf die Bühne! Oder die Eroberung des Immateriellen
„Und es ward LICHT.“ Während bei diesem LICHT in Großbuchstaben das Ereignis sich im Absoluten verliert, liegen die Zeitpunkte der Entstehung des Lichts, mit dem sich Künstler und Künstlerinnen befassen, weniger im Ungewissen, lassen die sich doch um das Jahr 1960 verorten, zu der Zeit als die Gruppe ZERO ihren größten Auftrieb erlebte und viel über das Licht zu sagen hatte.
Doch bevor wir uns analytisch in die luminöse Aktivität von ZERO begeben, dürfte es von Nutzen sein, bei der ganzen Reihe von Vorzeichen zu beginnen, die der nahezu gleichzeitigen, explosionsartigen Entstehung von Werken und Aktionen zum Thema Licht in ganz Europa vorausgingen.
Bekanntermaßen war das 20. Jahrhundert aufgrund des allgemein geteilten Willens, die Grenze zwischen Kunst und Leben auf ein Minimum zu reduzieren, für die Kunst radikal innovativ. Alle Avantgarden haben dafür gewirkt und der Begriff, der dabei am meisten in Mitleidenschaft gezogen wurde, war jener der „Darstellung“: Alle traditionellen Regeln der Kunstvokabulare (mit Ausnahme der Sonderstellung der Architektur) basierten auf dieser ideellen Säule, die in den ersten dreißig Jahren des 20. Jahrhunderts ausgehöhlt und eingerissen wurde, nur um festzustellen, dass das „Kunstgebäude“ auch ohne sie stehen blieb und, mehr noch, die Beseitigung der Säule das Ganze weiträumiger gemacht hatte. Genaugenommen wurde der Begriff der Darstellung nicht gänzlich abgeschafft, sondern hatte sich gewandelt, indem das traditionelle Darstellungsvokabular nurmehr zu einem Teil des erweiterten Repertoires von Bildern, Objekten und Ideen wurde, aus dem man schöpfen konnte, um Kunst zu machen. Der – minimale, aber wesentliche – Unterschied zwischen der Zeit vor und der Zeit nach dieser Revolution liegt in der Gegenüberstellung der Begriffe „darstellen“ und „in Szene setzen“, die gleichbedeutend sind und auch wieder nicht. Hier das dramatische Licht, das auf das Gemälde Guernica (1937) geworfen wird, dort das Neonlicht von Lucio Fontanas (1899-1968) riesigem Concetto spaziale („Raumkonzept“), das auf der Triennale von Mailand 1951 den gesamten Treppenaufgang ausleuchtete[i]: Das eine „stellt dar“, das andere „setzt in Szene“. Dazwischen liegt die Jahrhundert-Revolution des Kunstvokabulars, durch die jeder reale Gegenstand zum Kunstobjekt werden kann (ohne per se eines zu sein …).
Marcel Duchamp (1887-1968), Kurt Schwitters (1887-1948), László Moholy-Nagy (1895-1946), aber auch das Stück Spiegel im kubistischen Gemälde oder die Zeitung in Werken des Futurismus, haben bewirkt, dass durch die bewusste Handlung des Künstlers die Wirklichkeit mit der Kunst in eins fallen konnte.
[i] Nach einer Reihe von Ambienti, die mit den unterschiedlichsten Lichtquellen – etwa Wood-Lampen – erleuchtet wurden, realisierte Fontana 1951 für die IX. Triennale von Mailand die Raumdekoration der Ehrentreppe im in den 1930er Jahren vom Architekten Giovanni Muzio errichteten Palazzo, der fortan der Sitz der Kunstausstellung war. Diese bestand aus einer Reihe langer gewundener Neonröhren, die Spiralformen an die Decke warfen, ganz so, als wäre das Neonlicht das Zeichen bzw. die Geste des Künstlers, die in das neue Material übertragen wird. Eine autorisierte Rekonstruktion dieses Raumkonzepts ist dauerhaft im Museo del 900 in Mailand ausgestellt.
In dieser Situation bestand die erste Bemühung in der philosophischen Begründung der Erweiterung und möglichen Überlappung von Leben und Kunst, von Wirklichkeit und künstlerischer „Inszenierung“, indem der gesamte Kunstkontext, der bis dahin im Hintergrund geblieben war, einbezogen wurde; so ließ sich diese Ausdrucksmöglichkeit allein durch die Tatsache, in einem ganz bestimmten disziplinären Kontext eingebettet zu sein, begründen und unter den Begriff der „Kunst“ stellen. Duchamp erteilt eine Lehre. Der zweite konzeptionelle Schritt, der sich vom ersten ableitet und in gewisser Weise gedanklich „einfacher“ ist, bezog sich auf Objekte, Mittel und Konzepte, die von der Realität losgelöst und in das Kunstvokabular überführt wurden: die Ready-mades, die Realitätsfragmente von Kurt Schwitters und vor allem die Werke von László Moholy-Nagy. Tatsächlich war der ungarische Künstler der Vorläufer, der edle Vater der Verbreitung des Lichts in den 1950er und 1960er Jahren, hatte er doch mit seinem Licht-Raum-Modulator aus dem Jahr 1930 die Revolution „in actu“ plastisch und synthetisch vor Augen geführt: mit einer komplexen, von Motoren und Ketten angetriebenen und von unzähligen Glühbirnen beleuchteten „Maschine“, die in einem industriellen Spezialverfahren hergestellt worden war und das Aussehen eines Uhrwerks hatte.[i] Auf diese Weise gelang es ihm, die letzten Begriffe, die die engen Grenzen der Tradition und die möglichen Öffnungen der zukünftigen Kunst bestimmten, in einem einzigen Werk zu verdichten: Licht und Bewegung.
[i] Eine detaillierte Beschreibung aus der Feder des Künstlers selbst ist in dem nützlichen Band von Dieter Daniels und Rudolf Freiling (Hrsg.) wiedergegeben: Medien Kunst Netz / Media Art Net 2: Thematische Schwerpunkte / Key Topics, Springer Verlag, Wien und New York 2005, in Zusammenarbeit mit dem ZKM/Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe. Siehe http://www.medienkunstnetz.de/werke/licht-raum-modulator/ (26.10.2008).
An diesen beiden Ur-Begriffen – Licht und Bewegung – entzündete sich die gesamte intellektuelle Debatte über die Kunst des 20. Jahrhunderts. Bis zu Moholy-Nagy konnten diese Grundelemente des Sehens und der Welt nur mit den Mitteln der Darstellung wiedergegeben werden, die angesichts der neuen Technologien immer mehr an ihre Grenzen stießen, und obwohl die italienischen Futuristen das Problem aufgeworfen hatten, indem sie nach einer möglichen Lösung suchten (man denke beispielsweise an Giacomo Ballas (1871-1958) Bambina che corre sul balcone, 1912), wurden sie erst dank des ungarischen Künstlers zu den „realen“ und unbestrittenen Protagonisten einer neuen Phase der Kunst.
Die Chronologie dieses schwierigen Einbrechens der Realität – und insbesondere des Lichts – in die Kunstvokabulare zeigt unter anderem, dass die einzelnen Ausdrucksdomänen, die einzelnen Disziplinen noch nicht besonders durchlässig für andere Ausdrucksformen waren, die vielleicht auf bestimmten Feldern bereits Lösungen für Probleme erarbeitet hatten, mit denen benachbarte Ausdrucksformen mühsam zu kämpfen hatten. Im Theater war das Licht von einem technischen Problem zu einer Bühnenressource, wenn nicht sogar zum Kernelement der Bühnengestaltung geworden: Sowohl Futuristen als auch Bauhaus-Künstler – insbesondere wiederum Moholy-Nagy, mehr noch als Oskar Schlemmer (1888-1943) – hatten Thesen zur Lichtgestaltung formuliert, ohne auf nennenswerte begriffliche Widerstände zu stoßen, im Gegensatz zu dem, was dem Kunstvokabular widerfuhr.[i]
Licht und Bewegung also. Es ist kein Zufall, dass die Hälfte der Ausstellungen von ZERO, wie auch die meisten Ausstellungen über ZERO oder über andere Bereiche und Gruppen der kinetischen Kunst, in ihren Titeln einen expliziten Bezug zu diesen beiden Begriffen haben. Man denke, wenn wir uns auf die frühesten Jahre beschränken, an Ausstellungen wie die 8. „Abendausstellung“ mit dem Titel Vibration, an die Ausstellung Vision in Motion, Motion in Vision (ein expliziter Verweis auf Moholy-Nagy, der einen Text mit einem ähnlichen Titel verfasst hatte)[ii] 1959 in Antwerpen, die Ausstellung Reliefs lumineux von Heinz Mack (*1931) in der Galerie Iris Clert in Paris und die von Otto Piene (1928-2014) in Düsseldorf im selben Jahr, wo dieser neben Ölgemälden das Lichtballett schuf und die Lichtmodelle ausstellte, sowie schließlich die letzte der neun „Abendausstellungen“ im Jahr 1960 mit dem Titel Ein Fest für das Licht. Dessen ungeachtet werden wir nun, da dieses Abécédaire nach Stichworten geordnet ist, unser Augenmerk auf das Licht richten, wohl wissend, dass Licht und Bewegung fast untrennbar miteinander verbunden sind und auch als solche von den Künstlern gehandhabt wurden: Denn wenn Licht eine Schwingung ist, assoziieren wir instinktiv die Vorstellung von Bewegung damit – eines der wenigen Dinge, die Kunst und Wissenschaft bis heute verbindet.
Die erste Frage, der wir uns stellen müssen, lautet: Von welchem „Licht“ sprechen wir? Worin besteht seine wesentliche Eigenschaft? In der doppelten Formulierung der Frage sind die ersten Antworten faktisch schon implizit enthalten. Am Anfang dieser Ausführungen wurde zwischen dem uranfänglichen „Licht“ und dem künstlerischen Licht unterschieden, um darauf hinzuweisen, dass es in der betreffenden Kunstsparte und den Künstlern nicht um die Transzendenz geht, die so oft durch „Licht“ symbolisiert wird. Das hat nichts – oder nur wenig – damit zu tun, was das „Licht“ seit jeher für alle Religionen oder auch nur für die kontemplative und mystische Haltung des Menschen repräsentiert. Dieses „Licht“, das im Lauf seiner Geschichte theoretische Disputationen gefüllt und den Weg für die mittelalterliche „Optik“ geebnet hat – übrigens die erste bedeutende Grundlage zukünftiger Wissenschaften –, hat nicht die geringste Ähnlichkeit mit dem Licht von ZERO und all derer, die um 1960 mit dessen Ausdrucksmöglichkeiten experimentiert haben (außer, wenn überhaupt, um sich im Nachhinein an eine transzendente Vorstellung des Licht-Elements anzulehnen …); andererseits haben wir, indem wir auf natürliche, instinktive Weise akzeptieren, über Fragen der „wesentlichen Eigenschaft“ des Lichts zu sprechen, auch den wissenschaftlichen Aspekt des Problems auf eine zweitrangige Position verwiesen: „Eigenschaft“ und „Wesen“ sind in der Tat keine wissenschaftlich anerkannten Definitionen, bestenfalls wird ihnen eine untergeordnete Rolle gegenüber Kategorien zugesprochen, die besser messbar und weitaus weniger interpretationsbedürftig sind. Kein Gott und keine Wissenschaft also im Licht von ZERO.
[i] Das von Moholy-Nagy in den Jahren des deutschen Bauhauses konzipierte Theater ging so weit, das Beziehungsgeflecht von Raum, Farbe, Licht, Gestalt, Bewegung und Handlung über den Menschen/Schauspieler zu stellen. Er nannte es „totales Theater“.
[ii] Das war nicht der offizielle Titel der Ausstellung, der weiterhin „ZERO“ lautete, sondern er wurde inoffiziell in Anlehnung an den gleichnamigen Essay von Marc Callewaert verwendet, einem der Kritiker, die eingeladen wurden, um über die Ausstellung zu schreiben, die die belgische Gruppe G58 vom 21. März bis zum 3. Mai 1959 im historischen Hessenhuis in Antwerpen zeigte. Der gleichnamige Text von Moholy-Nagy, der 1947 postum in Chicago erschien, ist die überarbeitete und erweiterte Fassung eines Textes aus dem Jahr 1938.
Auf dem Papier sieht es jetzt so aus, als bliebe nach diesem doppelten Ausschluss nichts mehr übrig, um die eigene Schöpfungskraft ausleben zu können, und doch ist da noch die ganze Welt, jener große Wirkungsraum, der das Leben des Menschen betrifft, zumal seinen Alltag, der aus diesen vielen, auch banalen Handgriffen besteht, mit denen unser Tag übersät ist. Der Ausgangspunkt des Künstlers ist – im Gegensatz zu dem des Wissenschaftlers – stets der Mensch, und ZERO macht hier nicht nur keine Ausnahme, sondern akzentuiert vielmehr mit seinem anarchischen Geist diesen Aspekt, der zu den Merkmalen der sogenannten Künstlerlegende gezählt werden kann (sogar die Bezeichnung „Ruinenatelier“ für das Atelier in der Gladbacher Straße 69 in Düsseldorf bestätigt diese im Grunde romantische Wertung). Wesensgleich mit dieser Wahl und dieser Lebenshaltung ist der Anspruch auf die unerlässliche Rolle des Künstlers, der weder im Dienst der Wissenschaft noch der Philosophie steht: Das Handlungsfeld der Kunst ist die Freiheit und sogar der Widerspruch (der den Selbstwiderspruch einschließt …), daher handelt es sich um ein eigenes Feld, dessen Regeln nicht einmal logisch folgerichtig sein müssen. Dieser Aspekt ist allen Künstlern gemeinsam, doch in der Einzigartigkeit jener Jahre und der Wahl der je eigenen Mittel war die Aktion von ZERO grundlegend für die Bekräftigung dieses Konzepts. Tatsächlich haben sich im Umfeld der kinetischen Kunst, zu dem ZERO nur am Rande gehörte, die sprachlichen Missverständnisse gehäuft, eben weil es über diesen Punkt – das Verhältnis zwischen Kunst und Wissenschaft – keine Klarheit gab. Das Licht stellt in diesem Zusammenhang das Urelement dar, auch wenn es nicht Hauptthema des Werkes ist: Fakt ist, dass Werke, die sich auf die visuelle Wahrnehmung, auf das „Wie sehen wir“ konzentrieren, an wissenschaftliche Demonstrationen grenzen und bestimmte philosophische Theorien rechtfertigen. Es kommt nicht von ungefähr, dass ZERO ausgerechnet in jenen Jahren empfänglich war für die Idee der „Messbarkeit“, die Max Bense (1910-1990) im Rahmen seiner Mikroästhetik formulierte;[i] der Philosoph wurde sogar eingeladen, den Einführungsvortrag für die Ausstellung Exposition dato ZERO 1961 im Dezember 1961 in der Galerie dato in Frankfurt am Main zu halten. Das Missverständnis, die Künstler dieser Generation, die der kinetischen Kunst anhingen oder ihr nahe standen – und noch vor ihnen die „konkreten“ Künstler – seien eine Art „ausführender Arm“ der Wissenschaft des Sehens gewesen, gründet eher in der Kunstkritik und der Kunstgeschichte als in deren Arbeiten oder Aussagen, allerdings schien die Idee einer Kunst „für alle“ und „von allen“ mit dem Tod der Kunst selbst zusammenzufallen, die sich in den „höheren Gefilden“ der Philosophie und der Wissenschaft verlor, wie viele Kritiker (und auch einige Künstler der Concept-Art) behaupteten, als ob ein Einvernehmen bei der anfänglichen Wahrnehmung nichts als ein Einvernehmen bei der finalen Ausarbeitung hervorbringen könne, gemäß einer wissenschaftlich-philosophischen „Faktizität“, die das Werk zum „Faktum“ oder bestenfalls zu einer Demonstration degradierte.[ii] Glücklicherweise ist die anarchische Seele von ZERO dieser Gefahr nicht nur stets entronnen, sondern hat auch ein Beispiel dafür gegeben, wie die Dinge sich eben nicht nach diesem Verfahren entwickeln, während sie ihre Erkundung der Grundelemente des Sehens von Welt fortsetzte. Das Wort „Erkundung“ lässt einen unweigerlich an einen schlüssigen und also logisch deduktiven Weg denken, der mit der freiheitlichen Idee der Regellosigkeit wenig zu tun hat, und erst recht nicht mit der Bejahung der vollkommenen Freiheit des Menschen, auch der, sich selbst zu widersprechen, sodass es besser wäre, von der „Intuition“ der Grundelemente des Sehens von Welt zu sprechen. Tatsächlich scheinen sich die ZERO-Künstler und ihre europäischen Kollegen als einzige Regel die Regellosigkeit gegeben zu haben, auch sich selbst gegenüber, daher kommt eine intuitive statt einer deduktiven Vorgehensweise diesem Konzept unendlich viel näher als jedem anderen. Die andere, grundlegende Komponente der „mobilen“ Gruppe, die uns der Frage des Lichts augenblicklich näherbringt, ist die „Entmaterialisierung“ der Kunst – auf einer Linie auch mit dem vitalistischen, verhaltensorientierten und performativen Aspekt von ZERO, der in den „Abendausstellungen“ hervorgehoben wurde.
[i] Die Schriften des deutschen Philosophen Max Bense (1910–1990) erfreuten sich Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre unter den Mitgliedern der Kinetischen Neoavantgarde großer Beliebtheit. Durch sie – vor allem Aestethica (II). Aestetische Information (1956) und Aestethica (IV). Programmierung des Schönen. Allgemeine Texttheorie und Textästhetik (1960) – und die darauffolgende Verbreitung stellte sich das Konzept der „Mikroästhetik“ in seiner Reduktion auf die Möglichkeit der Kombination von Technologie und Philosophie sowie auf die Hypothese der wissenschaftlichen „Messung“ elementarer Zeichenkombinationen als unzweifelhafter Schlüssel zum Verständnis der Kunst von Gruppierungen der Op-Art, der konkreten und der kinetischen Kunst dar.
[ii] Diese nachvollziehbare Zuspitzung ergibt sich aus der übertriebenen Vereinfachung der Begriffe und der daraus folgenden Syllogismen: Werden der Kunst die Regungen individuellen Empfindens zugeschrieben, gerät die Erzeugung von Werken, die physiologisch von allen gleich wahrgenommen werden, zu einer wissenschaftlichen Demonstration; sie sind dann kein Erzeugnis mehr, das vom Betrachter gedeutet werden kann, und können auch nicht mehr mit den eigenen, persönlichen Erfahrungen „angereichert“ werden. Diese Argumentation lässt außer Acht, dass die gemeinsame Wahrnehmung nur der Ausgangspunkt, nicht aber der Endpunkt des Sehens und des Geistes ist, der sich dahinter verbirgt.
In unserem Fall bedeutet „Entmaterialisierung“ nicht nur Demontage der traditionellen Mittel des Kunstmachens, sondern auch Eroberung des „Immateriellen“, das heißt das Ersetzen des Materiellen, das bis dahin das Immaterielle darstellte, mit einem Minimum an materiellen Eingriffen, um dieses einzufangen. In diesem Sinne ist das Werk eine Art „Falle“ für das Immaterielle als eigentlichem Protagonisten des künstlerischen Gestus: Die Rakete Polaris[i], die sich in den ZERO-Himmel erhebt – eines der ikonischsten Bilder der Gruppe[ii] –, das ist gewiss nicht die Technologie, mit der sie gebaut wurde, oder der Treibstoff und das Metall, das in ihr steckt, sondern das ist Bewegung, Dynamik, „Gespanntheit nach oben“, Geschwindigkeit, extreme Geste, und fast alle Realisierungen von ZERO und Partnern sind so. Das Licht ist, wie eingangs zwischen den Zeilen gesagt, das immaterielle Urelement, das die Entfaltung einer neuen Haltung zur Wirklichkeit – und damit eine neue Art zu sehen und folglich zu denken … – ermöglicht, aber es ist auch das am schwersten handhabbare, sobald es nicht mehr um Pinselstriche in leuchtenden Farben im Verhältnis zu anderen in dunkleren Tönen geht. Aber nicht nur das: „Licht zu sehen geben“ ist wie „Luft zu sehen geben“, mithin ein schwieriger Vorgang, der angesichts des Offenkundigen (Licht und Luft sind überall) zunächst fast überflüssig zu sein scheint, bevor uns gleich darauf ein Lächeln über die Lippen huscht und uns klar wird, dass dies ein wichtiges Anliegen ist und der Beginn eines revolutionären Projekts, welches das Kunstvokabular von Zero an – und von ZERO – zu erneuern trachtet.
Wir sehen uns also mit zwei in der Realität der Werke untrennbaren Aspekten konfrontiert, die aber von der Kritik analysiert werden können: die Seite des Ausdrucks und die existentielle Seite. Der große Beitrag von ZERO – wie der von Azimuth sowie eines Teils der italienischen Gruppen T und Enne, während die Franzosen der Gruppe GRAV „kartesianischer“ daherkommen[iii] – besteht gerade darin, zwei ansonsten weit entfernte Komponenten der Kunst und des Künstlers miteinander verbunden zu haben. Genau das ist es, was ZERO von Meistern wie Moholy-Nagy unterscheidet. Die Licht-Werke des Ungarn verströmen den Duft der Provokation gegenüber den traditionellen Regeln der Kunst und des Künstlers (noch offenkundiger in der berühmten Aktion der telefonischen Bestellung eines Kunstwerks[iv]) zu einer Zeit, als die konzeptionelle Debatte über die Ausweitung der Möglichkeiten der Kunst auf die Wirklichkeit als Ganzes noch in vollem Gange war und daher die Schaffung eines „Exempels“ – eben den Licht-Raum-Modulator – eine plastische Demonstration der neuen Ausdrucksmöglichkeiten darstellte, die fortan nicht mehr in Frage gestellt werden konnten. Moholy-Nagys Sieg wäre dann wie ein Sieg in einem wissenschaftlichen Disput, bei dem die Logik der Argumentation und der erwiesene Beweis des physisch existierenden Werks die Legitimität des neuen künstlerischen Handlungsfeldes absolut zweifelsfrei sanktionieren. Eine wohl durchdachte, rationale, eiskalte, unsentimentale Strategie, um eine entscheidende Schlacht zu gewinnen. Mehr noch, das Werk des Ungarn – und tendenziell aller Künstler seiner Generation, die sich mit „realem“ Licht und Bewegung in der Kunst beschäftigten – stellt sich immer noch als „Mechanismus“, als eine „Maschine“ dar, die dem Erbe der heroischen Epoche der Mechanik noch verhaftet ist und bestenfalls vom augenzwinkernden Hauch der Junggesellenmaschine der Dadaisten gestreift wurde. Das ist, mit anderen Worten, fast noch eine „positivistische“ Haltung der möglichen Kontrolle über das Ungreifbare. Was sind dagegen die Bedingungen und die Haltung im Vorgehen von ZERO? Einerseits war in den 1950er Jahren der konzeptionelle Weg bereits gefestigt und die Wirklichkeit konnte mit der Kunst in eins fallen, andererseits war dieses Konzept dreißig Jahre nach Moholy-Nagys „Provokation“ von den Menschen kaum verinnerlicht, war es noch kein gemeinsames Gefühl, keine natürliche Haltung, und hier schaltete sich ZERO mit seinem höchst eigentümlichen „Exempel“ ein, das sich, noch bevor es sich in Werken niederschlug, im Leben der Mitglieder der Gruppe verwirklichte. Zu wissen und mehr noch „zu fühlen, im Licht zu leben“ – und in der Bewegung –, war in jedem Moment der eigenen Existenz, die man als Künstler mit der übrigen Welt teilen wollte, präsent. Das ist der existentielle Aspekt, der die in den 1920er Jahren begonnene Erkundung harmonisch abrundete: Jeder Augenblick, jeder Moment im Leben der ZERO-Mitglieder war inspiriert von der vitalistischen Überraschung der neuen Realität, die neuer Mittel bedarf, um ausgedrückt und gelebt zu werden. Daher die stetige Verehrung von ZERO für Lucio Fontana. Der italienische Künstler hatte diesen Aspekt vor der Zeit erkannt und ihn auf natürliche Weise in schlichten, absoluten Werken umgesetzt: keine Mechanismen und Motoren mehr, sondern Gesten und Zeichen, die ausschließlich aus Materialien der Zukunft, einer (fast) immateriellen Zukunft, gemacht sind. Fontana hatte den künstlerischen Neoavantgarden ein Element unterbreitet, das noch entmaterialisierter war als Neonlicht: Leichtigkeit. Leichtigkeit als Haltung gegenüber der Welt, Leichtigkeit als formales Resultat. Fast wie eine unbewusste Bestätigung dieser Haltung erscheinen das fotografische Zeugnis und die Erinnerung an die Abende im Ruinenatelier, wo alles Leichtigkeit ausdrückt, angefangen bei der Versammlungs- und Mitwirkungsfreiheit bis hin zur Verwendung von Objekten und Bildern, deren Hauptmerkmal die „Gespanntheit nach oben“ war, wie bei einem Kinderluftballon oder einer Rakete, die die Schwerkraft überwindet: Im Flug zu schweben, bedeutet für den Menschen ursprünglich „leicht zu sein“. So sind die Veranstaltungen und Happenings der „Abendausstellungen“ sichtbarer Ausdruck des Bewusstseins, von einer „neuen Welt“ zu leben und sich auf die Suche nach einem neuen Alphabet und einer neuen Syntax zu machen, um diese zu beschreiben und zu erleben, etwas, das weder der romantischen Seele, die in der gesamten deutschen Kunst durchscheint, noch den existentialistischen Ansätzen – in einem philosophischen Sinne – der jüngsten informellen Periode fremd war, allerdings ohne die Dramatik, die Tragödie des Lebens. So tragen sogar Pienes Lichtballette, die dem Modulatorvon Moholy-Nagy doch sehr ähneln, jenen immersiven Aspekt in sich, der eine Metapher für die totale Einbeziehung der Sinne und Gefühle ist, nicht bloß geistige Schau eines neuen Ausdrucks.
[i] Heinz Mack, ZERO-Rakete, Fotocollage für ZERO 3, 1961, ZERO foundation, Düsseldorf.
[ii] Das Bild tauchte erstmals 1961 in der dritten Ausgabe der Zeitschrift ZERO auf, der letzten Nummer der historischen Reihe.
[iii] Die französischen Künstler der GRAV – Groupe de Recherche d’Art Visuel – zeichnen sich bei ihren visuellen Erkundungen durch größere „wissenschaftliche“ Strenge aus und anders als bei ZERO und den italienischen Gruppen T und Enne finden sich bei ihnen keine Spuren des Vermächtnisses von Dada.
[iv] Gemeint ist EM2 (Telephone Picture) aus dem Jahr 1923.
Das Licht von ZERO ist damit auch ein weiterer Ausdruck jenes „Nullpunkts“ der Kunst, den manche historische Avantgarde – und alle Neoavantgarden der 1960er Jahre – während ihres Bestehens angestrebt haben: für ZERO ohne jeden Selbstzweck, das heißt nicht Zwecken der selbstreferentiellen Sprache, die ihn hervorgebracht hat, dienend, sondern „Nullpunkt“ als Keim, Erzeuger, Ausgangspunkt, um das eigene Leben adäquat, also in Übereinstimmung mit den neuen „menschlichen Räumen“, zu leben.
Da aber der Künstler jeden Moment gezwungen ist, sich selbst durch das Werk auf die Probe zu stellen, muss das Licht zum Werk werden, zum „A“ des neuen Alphabets (eine Position, die, zur Erinnerung, das Stichwort „Bewegung“ ständig gefährdet …), auf dem er Mal um Mal die „Inszenierung“ der Welt aufbauen muss. Das Problem ist bloß, wie.
Ganz anders als für die Wissenschaft ist das Licht in seiner „humanen“ Ausführung höchst veränderlich. Licht ist keine Wellenlänge, die durch das Universum wandert, sondern das, was unsere Tage erhellt, und als solches wird es auch in der Kunst und insbesondere von ZERO aufgefasst. So ähnelt die „Licht-Falle“ mehr einem schamanischen Gegenstand als einem Spektroskop, mehr einer geheimnisvollen Form als einer technischen Vorrichtung.[i] Im Übrigen ist, wie auch immer im Kunstbereich agiert wird, der formale Aspekt in jedem Fall von großer Bedeutung, auch wenn es nicht darum geht, dem Licht eine Form zu geben, sondern darum, seine Anwesenheit mit Hilfe eines „Attraktors“ zu evozieren, dessen Aussehen oder Funktionsweise dem Licht gleichen und der zugleich eine eigene Identität besitzt, so wie bei dem magischen Objekt einer Ethnie, das in deren Angesicht von dieser als solches erkannt wird.
Das Schwierige dabei ist die Realisierung, weit mehr als die Idee, so wie es weitaus schwieriger ist, eine Rakete zu bauen, die auf den Mond fliegen kann, als den Wunsch und die Hoffnung zu hegen, dorthin zu gelangen … In der embryonalen, militanten, aggressiven und zugleich produktiven, dynamischen, innovativen Underground- und Off-Zeit von ZERO – die in etwa den ersten drei Jahren ihrer Aktivität entspricht – waren alle Ideen über das Licht schon vorhanden, aber die geeignetsten Mittel noch nicht gefunden, um ihnen Ausdruck zu verleihen; ihre Form fanden diese Ideen ab 1960/1961, was bestätigt, dass die Sprache recht lahm der Idee hinterherhinkt. Nicht anders als seit Beginn des 20. Jahrhunderts bei allen Avantgarden wie auch bei allen Neoavantgarden geschehen, wurde auch hier die Poetik des Anfangs in Erwartung einer Sprache, die den neuen Ideen besser entsprechen würde, mit den Mitteln der bereits vorhandenen Sprache ausgedrückt: Die Entwicklung des künstlerischen Ausdrucks hin zu den neuen Formen erfolgt selbst angesichts der kompromisslosesten Aussagen nicht unmittelbar, sondern verläuft Schritt für Schritt und nahtlos von den bekannten zu den neuen Regeln. Diesen Weg haben auch die radikalsten Künstler von ZERO durchschritten, indem sie im Wesentlichen von der Malerei zu einer „Gegenständlichkeit“ übergingen, die anfangs eine Art Mittelpunkt zwischen Malerei und Skulptur setzte (um sich daraufhin zur Installation umzuwandeln).
[i] In den Werken von ZERO mit Bezug zum Licht sind, wie auch in den anderen Werken, keine besonderen technischen Hilfsmittel zu finden, es gibt fast nie Motoren oder Mechanismen, außer sehr kleinen, die sich zum Beispiel zum Aufblasen von Formen oder zum Drehen von Gegenständen eignen. Alles, was evoziert wird, ergibt sich aus den Eigenschaften des verwendeten Materials und dem Auftreten zufälliger äußerer Faktoren, wie einem Windstoß.
Fast alle Künstler im Umkreis von ZERO, die das Licht zum Thema ihrer Tätigkeit gemacht haben, haben rund um die Konzepte von Transparenz, Schwingung und Schatten gearbeitet: Während die beiden erstgenannten die im engeren Sinne luminöse Seite stützen, wirkt das dritte als Gegenbeweis, indem die Lichtlosigkeit – der Schatten – genutzt wird, um die Existenz des Lichts zu demonstrieren. Diese Konzepte wurden in Objekten konkretisiert, deren Bestandteile fast immer Glas, Spiegel, Dunkelheit, Rauch und natürlich leuchtende Vorrichtungen waren, die als Lichtquelle fungieren (sie waren oft präsent, aber eben nicht immer). Sie wurden zu individuellen „Markenzeichen“ für ebenso viele Künstler, die sie zu den einzigen oder zumindest wesentlichen und stets präsenten Arbeitsmitteln ihres Werks machten, ähnlich wie dies Yves Klein (1928-1962) in ebenjenen Jahren getan hatte, als er sein Blau als IKB (International Klein Blue) „patentieren“ ließ. Doch obwohl viele dieser konstitutiven Elemente sich in nuce bei fast allen ZERO-Künstlern wiederfinden, haben nur wenige sie zum zentralen Motiv ihrer Arbeit gemacht, indem sie sich explizit auf das Licht bezogen und eine an den verwendeten Materialien erkennbare „Chiffre“ schufen. Davon geben wir nun einige signifikante Beispiele, wohl wissend, dass sie nicht erschöpfend sein können, und laden ein, die Experimentatoren, die sich mit diesem Thema befasst haben, das in jener kurzen historischen Zeitspanne grundlegend war, in einem weiter gefassten künstlerischen Panorama zu sehen. Die Schwingung zum Beispiel ist innerhalb von ZERO das Kennzeichen und die Erfindung von Heinz Mack, der ausgehend von angehobenen Flächen, dünnen Lamellen aus Metall, die aus der Oberfläche ragen und das auftreffende Licht einfangen, feine farbige Lichtvariationen im Einklang mit den Lichtveränderungen der Umgebung und der kaum wahrnehmbaren Schwingung der Lamellen erhielt. Im gleichen Zeitraum arbeiteten Künstler, die ZERO nahestanden und zuweilen in Ausstellungen von ZERO vertreten waren, wie Francesco Lo Savio (1935-1963), Enrico Castellani (1930-2017), Agostino Bonalumi (1935-2013) oder Jan Schoonhoven (1914-1994), mit derselben Methode der gekräuselten und verschäumten, freien oder modularen Oberfläche, um mit Hilfe von Licht eine konstante Variabilität der Wahrnehmung zu erhalten. Letztlich hat aber der andere Gründer von ZERO, Otto Piene, wohl noch mehr als sein Freund Mack, mit der Immaterialität des Lichts interagiert, einmal durch die Serie Lichtballett, aber auch mit den Rauchbildern. Die einen wie die anderen verwenden das Konzept des Schattens, um die Schwingung des Lichts sichtbar zu machen, doch während dies bei den Lichtballetten offenkundig wird, sogar in der Verschiedenartigkeit der Installationen, scheint die letztendliche Bedeutung des Lichts in den Rauchbildern weniger klar zu sein, die oftmals – und dies, ehrlich gesagt, nicht ganz zu Unrecht – als bloße „Malerei ohne Malerei“ gedeutet wurden, als quasi alchemistisches und allemal gestalterisches Experiment im Gefolge der zeitgleichen Versuche der Peintures de feu von Yves Klein, die spektakulärer und performativer waren. Aber das Feuer ist auch das erste künstliche Licht des Menschen, und dieses Licht erzeugt die Schwärze des Rauches, mit der Piene auf Flächen malte. So sind die „Gitter“ der Lichtballette und die Flecken der Rauchbilder miteinander verwandt: Die Gitter zeigen die Formen dank des hindurchscheinenden Lichts und des dadurch entstehenden Schattens als Negativ, während der Ruß auch die Erinnerung an das Feuer ist, dem leuchtenden Element schlechthin.
Der Schatten ist auch eine Begleiterscheinung der Schwingung (und umgekehrt), und was diese Verwendung betrifft, sind alle Künstler zu nennen, die bereits im Zusammenhang mit Letzterer erwähnt wurden: Lo Savio, Castellani, Schoonhoven (bei Bernard Aubertin (1934-2015) führte der Gebrauch des Feuers zu regelrechten Zeichnungen ohne Bleistift[i]) fingen das Licht anhand des Schattens ein, den dieses verursacht. Doch erst mit Christian Megert (*1936) und Nanda Vigo (1936-2020) nahm der Diskurs über das Licht einen radikal einfachen Ausdruck an. Megerts Annäherung an ZERO erfolgte ab Mai 1960 (Ausstellung Monochrome Malerei in Leverkusen) und intensivierte sich ab 1962.[ii] Sein Mittel der Wahl war der Spiegel, ein zerbrochener meist, der den Raum, der sich in ihm widerspiegelt, bricht und neu zusammenfügt, wobei dieser erst durch das auftreffende Licht zerfällt und sich zu neuen Formen zusammensetzt. Wenn der Spiegel der Auslöser einer neuen räumlichen Realität ist – welche, ist irrelevant, sie ist nur eine von unendlich vielen Möglichkeiten –, dann ist das Licht, das darauf fällt und reflektiert wird, der „Big Bang“ der Potenzialität. Nimmt man noch die Bewegung dazu – wie der Künstler das tat, indem er seine spiegelnden Bruchstücke in der Luft schweben ließ, sodass das Licht in immer neuen Winkeln auftraf –, dann wird einem klar, dass die beiden Elemente auch diesmal untrennbar miteinander verbunden sind und der Raum im Grunde eine Folge des Lichts ist. Nanda Vigo hingegen kommt in ihrer Zeit mit ZERO – die wegen des „chauvinistischen“ Widerstands ihres Lebensgefährten Piero Manzoni spät, nämlich 1964 begann, sich aber derart entwickelte, dass zwei exklusive Ausstellungen mit Werken der drei Gründer von ZERO und der italienischen Künstlerin zustande kamen und sie 1965 die große ZERO-Ausstellung in Mailand, Venedig und Turin kuratierte[iii] – noch radikaler daher als Megert, wenn das überhaupt möglich ist. Tatsächlich beschränkte sie sich in ihren Cronotopidarauf, Industrieglas mit unterschiedlichen Narbungen und Gitterrastern – wie sie auch Grazia Varisco (*1937) verwendete, allerdings zu anderen Zwecken – einzurahmen und wie ein Bild an die Wand zu hängen oder auf Sockel zu platzieren: Nur Licht scheint durch oder darauf, nichts weiter (die Hinzufügung von Lichtquellen erfolgte erst einige Jahre später). Die Wirkung ist kaum wahrnehmbar und das Objekt wirkt geheimnisvoll, solange das geistige Auge nicht nach den Gründen fragt, die in der minimalen Reduktion ihrer physikalischen Wahrnehmbarkeit ausgedrückt werden. Das Licht in Vigos ZERO-Werken stößt auf so gut wie keinen Widerstand und manifestiert sich daher nicht mit Gewalt oder als Offenkundiges, aber es ist da, und es ist der absolute Protagonist, während das Glas nur das Relikt einer langsamen Epiphanie ist.
[i] Im Gegensatz zu Piene und auf eine in gewissem Sinne mechanischere Weise, aber näher an Yves Klein, inszenierte Aubertin die Gewalt des Feuers und dessen Folgen, die sich absolut konsequent aus dem Anfangsakt des Feueranzündens ergeben. Auch Klein inszenierte, wie gerade erwähnt, die Aktion des Feuers, man denke an das Foto, wo er mit dem Flammenwerfer die Oberfläche bearbeitet, während im Hintergrund ein Feuerwehrmann bereitsteht, um eine etwaige – heraufbeschworene – Gefahr abzuwenden.
[ii] Megert ist auf den Ausstellungen Nul=Zero in Arnheim, Nieuwe Tendenzen in Den Haag (18. Januar bis 16. Februar 1962), Forum in Gent (5. Mai bis 3. Juni 1962), Zero in Bern, Galerie Schindler (9. bis 30. Juni 1962), ZERO in der Galerie Diogenes in Berlin (30. März bis 30. April 1963), Mikro-Nul/Zero, einer Wanderausstellung in Holland 1963, und dann im Großen und Ganzen in allen späteren Kollektiven vertreten.
[iii] Nach Aussage der Künstlerin, die mehrfach interviewt wurde, wollte Manzoni, mit dem sie von 1962 bis zu dessen Tod zusammenlebte, nicht, dass sie sich als eigenständige Künstlerin präsentierte („wir sind nicht das Ehepaar Curie“, soll er wiederholt gesagt haben), obwohl sie ihm auf seinen Reisen durch Europa folgte. Erst nach seinem Tod (im Februar 1963) konnte Vigo ihre Werke präsentieren. Siehe Kapitel „W like Women (Frauen)“ in dieser Publikation.
Das „offizielle“ Ende von ZERO im Jahr 1966 fiel mit dem Ende der Erkundungen zur Schaffung eines neuen Alphabets für eine neue Welt zusammen: Einerseits begnügten sich die Experimente der Pop-Art mit dem Gegenwärtigen, andererseits begünstigte das soziale und politische Engagement, dass eine populärere und daher weniger radikale Vorstellungswelt bedient wurde, doch die Saat war gestreut. Eben weil die Erkundungen zum Licht von ZERO – und zu den anderen Grundelementen der Wahrnehmung von Welt – absolut zweckfrei waren und sich der Feststellung dessen verschrieben hatten, was ist – das Licht stellt in unserem Fall nicht die Sonne der Zukunft dar und erhellt auch nicht unsere Alltagsprodukte, sondern existiert einfach –, waren sie langlebiger und standen jedem zur Verfügung, der sie nutzen wollte, aus welchen Beweggründen und zu welchen Zwecken auch immer, aber unter Verwendung dieser neuen Art des „Zeigens“, die danach üblich, anerkannt, akzeptiert wurde. Das neue Alphabet der Gleichzeitigkeit hat auch hier seinen Anfang genommen.[i]
[i] Ich möchte Massimo Ganzerla ganz herzlich für seine wertvollen und zahlreichen Hinweise zu Katalogen, Zeittafeln und Beteiligungen danken.
Dieser Text wurde von Caroline Gutberlet aus dem Italienischen ins Deutsche übersetzt.