G Galerien
by Nadine Oberste-Hetbleck
ZERO und die Galerien nach 1966 am Beispiel der Galerie Hubertus Schoeller
Die Kunstmarktforschung als verhältnismäßig junger, interdisziplinärer akademischer Bereich untersucht unter anderem die unterschiedlichen Einflüsse der Akteur*innen und Netzwerke im Kunstmarkt auf die Kanon-Bildung in der bildenden Kunst. Dazu zählen als eine relevante Gruppe auch Galerist*innen, die junge Künstler*innen häufig seit dem Beginn ihrer beruflichen Laufbahn begleiten: In Galerien werden ihre Werke oft erstmalig der Öffentlichkeit präsentiert und verkauft, es werden Ausstellungskataloge erarbeitet und produziert, großformatige Werke (vor-)finanziert und Kontakte zu Ausstellungseinrichtungen vermittelt. Galerist*innen arbeiten als Gatekeeper des Kunstmarktes. Der Soziologe Hans Peter Thurn verweist darauf, dass der „Galerist […] in das Gewand eines Öffentlichkeitsarbeiters“ für die Kunstschaffenden schlüpfe.[i] Dies bedeutet, dass Galerist*innen Ansprachen halten, Texte verfassen, Editionen herausgeben und weitere Aktivitäten verfolgen, um künstlerische Positionen bekannt zu machen und die jeweiligen Werke zu vermitteln. Um die Leistungen der einzelnen Akteur*innen und die Zusammenarbeit zwischen Künstler*innen und Galerist*innen sichtbar zu machen, bedarf es eingehender, quellenbasierter Studien. Das ZADIK | Zentralarchiv für deutsche und internationale Kunstmarktforschung mit seinem Spezialarchiv zum Kunstmarkt bietet mit Blick auf die Erforschung der ZERO-Bewegung reichhaltiges Archivmaterial zu verschiedenen, mit ZERO verbundenen Galerien, so beispielweise Rochus Kowallek, Frankfurt am Main (A 18), Galerie art intermedia (Helmut Rywelski), Köln (A 103) oder Galerie Schoeller, Düsseldorf (A 71).
Dank der Forschungsleistungen der letzten Jahre, so beispielsweise Thekla Zells äußerst fundierter Studie, gibt es bereits tiefere Erkenntnisse zur Zusammenarbeit einiger Künstler mit den Galerien in der für die Konstituierung von ZERO wichtigen Zeit vom Ende der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre. Noch eingehender zu beleuchten, bleibt aber der Blick auf die Jahre nach dem „offiziell“ deklarierten Ende der Zusammenarbeit im Kontext von ZERO durch die Künstler Heinz Mack (*1931), Otto Piene (1928-2014) und Günther Uecker (*1930) im Jahr 1966. Hierzu möchte der vorliegende Beitrag exemplarisch Impulse geben und zu weiterer Forschung animieren.
[i] Hans Peter Thurn, Der Kunsthändler. Wandlungen eines Berufes, München 1994, S. 124.
Bekannt ist, welche Bedeutung von Anbeginn die öffentlichkeitswirksamen Veranstaltungen für die Etablierung von ZERO hatten, begonnen mit den Abendausstellungen, die – um mit Thekla Zell zu sprechen – „im Sinne einer Proto-Galerie als Schleuse in die Öffentlichkeit“[i]fungierten. Zell führt weiter auch den kooperativen Gedanken der Künstler aus, die sowohl in der Galerie Schmela und Galerie 22 in Düsseldorf als auch in den Abendausstellungen ihre Werke präsentierten, und zeichnet den Übergang vom Atelier beziehungsweise den Abendausstellungen in die Galerie nach, der sich beispielsweise mit der dritten Ausgabe der Zeitschrift ZERO 3 im Jahr 1961 zeigte: Diese Ausgabe wurde nicht mehr im Atelier präsentiert, sondern in der Galerie Schmela[ii] und war gleichzeitig die erste umfassende Dokumentation sowie der Abschluss der ersten Konstituierungsphase von ZERO. Dazu gab es die Veranstaltung Zero Edition Exposition Demonstration: die erste, von Mack, Piene und Uecker organisierte Veranstaltung der neuen Bewegung, die unter der Bezeichnung ZERO stattfand.[iii] Nicht nur weil er gemeinsam mit seiner Frau Monika Schmela die ersten deutschen Galerieeinzelausstellungen von Mack, Piene und Uecker organisierte,[iv] waren Alfred Schmelas Aktivitäten zur Konstituierung und Etablierung von ZERO in Deutschland wesentlich. Dies führte auch zu Otto Pienes bekanntem Ausspruch „Zero war für ihn genauso wichtig, wie er für Zero.“[v], der in der 1993 erschienenen Publikation Zero. Mack, Piene, Uecker des Kunstkritikers Heiner Stachelhaus nachzulesen ist. Darüber hinaus gab es weitere wichtige Protagonisten wie Rochus Kowallek mit der d(ato) galerie oder Galerie d, Gerhard von Graevenitz und Jürgen Morschel mit der Galerie nota sowie Kurt Fried mit dem Studio f. Ihr Einsatz wurde ebenfalls bei Zell tiefergehend herausgearbeitet.
[i] Thekla Zell, EXPOSITION ZERO. Vom Atelier in die Avantgardegalerie, zur Konstituierung und Etablierung der Zero-Bewegung in Deutschland am Beispiel der Abendausstellungen, der Galerie Schmela, des studio f, der galerie nota und der d(ato) Galerie, Diss. Kiel 2018, Wien 2019, S. 131.
[ii] Vgl. Zell (wie Anm. 1), S. 127.
[iii] Vgl. Zell (wie Anm. 1), S. 134; Wiederholt wurde die Demonstration in der Galerie A in Arnheim, 09.-30.12.1961, siehe: „Chronologie“, in: ZERO – Internationale Künstler-Avantgarde der 50er/60er Jahre, hrsg. von museum kunst palast Düsseldorf, Ausst.-Kat. Ostfildern 2006, S. 276. Tiziana Caianiello, „Ein „Klamauk“ mit weitreichenden Folgen. Die feierliche Präsentation von ZERO 3“, in: 4 3 2 1 ZERO, hrsg. von Dirk Pörschmann, Mattijs Visser, Düsseldorf 2012, S. 510-526, hier S. 513 verweist darauf, dass es bereits vorher 1959 im Rotterdamse Kunstkring eine Ausstellung mit dem Titel Zero ohne Beteiligung der Düsseldorfer Künstler gegeben hatte.
[iv] Zell (wie Anm. 1), S. 133.
[v] Otto Piene, in: Heiner Stachelhaus, Zero. Heinz Mack, Otto Piene, Günther Uecker, Düsseldorf 1993, S. 155.
Auch wenn die gemeinsame Ausstellung ZERO in Bonn 1966 (25.11.-31.12.1966) mit dem ZERO-Mitternachtsball als begleitendes Fest unter dem Motto „ZERO ist gut für dich“ im Bahnhof Rolandseck (25./26.11.1966) mit rund 2.000 Besucher*innen[i] „offiziell“ als Ende der Kooperation von Mack, Piene und Uecker und damit von ZERO gilt, arbeiteten sowohl der ursprünglich engere Kern als auch jene, welche unter dem Begriff ZERO ausgestellt hatten, als einzelne Künstlerpersönlichkeiten weiter und es kam zudem zu weiteren gemeinsamen Aktionen von Mack, Piene und Uecker. Diese Aktivitäten sowie die Arbeit von Galerien, Ausstellungshäusern, Sammler*innen und Auktionshäusern waren wesentlich für die Rezeption sowie für die weitere und vor allen Dingen nachhaltige Etablierung dessen, was heute unter ZERO im kunsthistorischen Kanon verankert ist.
Beispielhaft werden dazu die Aktivitäten des Galeristen Hubertus Schoeller untersucht. Sein Archivbestand im ZADIK umfasst neben eigenen Einladungskarten, Pressezusammenstellungen und Korrespondenzen auch Unterlagen zu Ausstellungsvorbereitungen[ii], Katalogarbeiten[iii]sowie Festen. Wertvolle zusätzliche Hinweise gab das im Juli 2023 mit Schoeller geführte Interview, welches an verschiedenen Stellen herangezogen wird.[iv]
[i] Vgl. Thekla Zell, „Wanderzirkus ZERO“, in: ZERO, hrsg. von Dirk Pörschmann, Margriet Schavemaker, Ausst.-Kat. Martin-Gropius-Bau, Berlin,, Köln 2015, S. 19-178, hier S. 169.
[ii] Korrespondenzen über Leihgaben/Akquisition von verkäuflichen Werken, Hängepläne.
[iii] Dazu zählen Anfragen zur Veröffentlichungsgenehmigung, Bitten um Unterstützung bei der Erstellung der ZERO-Ausstellungslisten, Materialsammlungen zu den historischen Ausstellungen, Korrekturfahnen, Unterlagen zur Katalogdistribution.
[iv] Hubertus Schoeller im Gespräch mit Nadine Oberste-Hetbleck, Düsseldorf 11.07.2023.
Hubertus Schoeller stieg 1974 in die Düsseldorfer Galerie Ursula Wendtorf und Franz Swetec in der Bilker Straße 12 ein,[i] also zu einer Zeit als ZERO bereits zur „Geschichte“ gehörte. Die Galerie besaß zu diesem Zeitpunkt keinen spezifischen Programmfokus, wenngleich ZERO-Künstler in den fünf Jahren des Bestehens eine größere Präsenz hatten, wie anhand der Ausstellungseinladungen nachzuvollziehen ist.[ii]
Bereits im Folgejahr übernahm Schoeller die Galerie und zog später, im März 1980, mit dem geänderten Namen Galerie Hubertus Schoeller „in die neuen, von Nils Sören Dubbick kongenial zum Galerieprogramm gestalteten Räume in der Düsseldorfer Poststraße 2. Dort präsentierte er bis zu seiner letzten Ausstellung im August 2003 mehr als fünfzig Künstler:innen aus den USA, Argentinien, Brasilien, Russland und fast allen europäischen Ländern.“[iii]
[i] Schoeller führte nach der Übernahme zur Ausstellung 33 Sovak die Galerie zunächst unter dem Namen Galerie Ursula Wendtorf und Franz Swetec, Inhaber Hubertus Schoeller weiter. 1976 folgte die Umbenennung in Galerie Schoeller vorm. Wendtorf + Swetec.
[ii] Piene war mit drei Einzelausstellungen vertreten, auch Uecker hatte eine Einzelpräsentation. Mack trat erst in einer Gruppenausstellung Ende 1974 in Erscheinung. Darüber hinaus finden sich mit Hermann Bartels, Hermann Goepfert, Walter Leblanc, Oskar Holweck und Ferdinand Spindel weitere Künstler, die unter dem Begriff ZERO an anderen Stellen ausstellten.
[iii] Siehe Bestandsbildnerprofil des ZADIK zum Bestand A 71, https://zadik.phil-fak.uni-koeln.de/archiv/bestandsliste/a-71-schoeller-duesseldorf. (04.01.2024)
Wenn bisher und im Folgenden von Künstlern die Rede ist, dann auch vor dem Hintergrund, dass in der Galerie Schoeller fast ausschließlich männliche Künstler vertreten waren. Ausnahmen bildeten beispielsweise Aurélie Nemours oder Hannelore Köhler mit einer Einzelausstellung und einzelne Künstlerinnen in Gruppenausstellungen.[i] Insgesamt handelte es sich aber um ein stärker von männlichen Positionen geprägtes Programm, was auch die damalige Situation im Kunstmarkt widerspiegelte.
[i] Vera Molnar, Nelly Rudin, Dadamaino, Garcia Varsco waren in jeweils einer Gruppenausstellungsbeteiligung bei Schoeller zu sehen. In der Zeit, als die Galerie noch Ursula Wendtorf und Franz Swetec gehörte, tauchten im Programm die Künstlerinnen Gerlinde Beck, Rune Mields, Claudia Kinast, Mira Haberernova oder Karina Raeck auf.
Was vertrat die Galerie inhaltlich? Kurz zusammengefasst kann festgehalten werden, dass die „Reduktion auf das Wesentliche und die materielle Perfektion für Schoeller den Kern des von ihm vertretenen Kunstprogramms ausmachten“[i]. In den Jahren seit seinem Galerieeinstieg und besonders seit dem Umzug in die neuen Räume spezialisierte er sich auf die konstruktiv-konkrete und die Kunst der Gruppe ZERO.
[i] Siehe Bestandsbildnerprofil des ZADIK zum Bestand A 71 (wie Anm. 13).
Die Rolle, welche ZERO in der Galerie Schoeller spielte, lässt sich bereits am Ausstellungsprogramm mit Blick auf Mack, Piene und Uecker ablesen.[i] Hinzu kamen die Ausstellungsprojekte außerhalb der Galerie wie beispielsweise das Gemeinschaftsprojekt ZERO – eine europäische Avantgarde[ii] 1993, die Schoeller unterstützte, sowie die Kunstmessepräsentationen beispielsweise in Köln oder Basel. Schaut man über diese drei Künstler hinaus, finden sich viele weitere Künstler im Programm der Galerie, die im Kontext von ZERO ausgestellt haben. So wurden beispielsweise Christian Megert (*1936), Bernard Aubertin (1934-2015), Hermann Goepfert (1926-1982), Jef Verheyen (1932-1984), Hermann Bartels (1928-1989) und Walter Leblanc (1932-1986) oder Almir Mavignier (1925-2018), Jesús Rafael Soto (1923-2005), Dadamaino (1930-2004), Uli Pohl (*1935) sowie die Gruppe Nul mit Jan Schoonhoven (1914-1994), Armando (1929-2018), Jan Henderikse (*1937) und Henk Peeters (1925-2013) präsentiert.
[i] Von den drei ZERO-Kernkünstlern erhielt Piene nach der Galerieübernahme durch Schoeller 1976/77 als erster eine Einzelausstellung – es folgten sechs weitere Einzelpräsentationen (1980, 1984, 1987/88, 1991, 1995, und 2000) und zusätzlich drei Gruppenausstellungen (1977/78, 1978/79, and 1988). Macks Werke wurden in drei Einzelausstellungen (2001, 98, 93/94) und fünf Beteiligungen an Gruppenausstellungen (1977/78, 1978/79, 1981/82, 1986, und 1988) präsentiert. Uecker war an drei Gruppenausstellungen (1978/79, 1981/82, and 1988) beteiligt.
[ii] Die Ausstellung wurde an drei Stationen – Galerie Neher Essen, Galerie Heseler München und dem Mittelrhein-Museum Koblenz – gezeigt und durch einen Katalog begleitet.
Schoeller selbst sieht sich in Düsseldorf nach Alfred Schmela und seinem Kollegen Hans Mayer, der den Boden für die konkrete Kunst und ZERO nach dem Ende der Kooperation der drei Künstler Mack, Piene und Uecker 1966 geebnet hatte, als Solitär in der nachhaltigen Galerie-Repräsentanz von ZERO in Deutschland:
„Es gab welche, die Mack oder Uecker ausgestellt haben, aber als Einzelkünstler und das, was sich kommerziell verkaufte. Aber die Künstler, die nicht in vorderster Front standen, wie Hermann Bartels aus Düsseldorf oder Uli Pohl oder Hermann Goepfert, da bin ich der einzige [Galerist] gewesen, der sie ausgestellt hat und versucht hat, ZERO in der Breite und Vielzahl seiner Künstler systematisch zu dokumentieren und aufzuarbeiten. […] Aber posthum, nach der ZERO-Zeit.“
Das vom ZADIK bereits im Rahmen von zwei themenmonografischen Ausstellungen in Ansätzen aufgearbeitete Wirken Schoellers soll im Folgenden vertieft werden. Im Zentrum steht ein Projekt von Schoeller, welches in seinem Einsatz für die Sichtbarmachung von ZERO herausragte und zunächst mit einer Ausstellung begonnen hatte, die anlässlich der 700-Jahr-Feier der Stadt Düsseldorf im Rahmen einer „parallel“-Aktion der Düsseldorfer Galerien zum Thema Düsseldorfer Künstler präsentiert wurde.[i] Unter dem Titel Gruppe Zero zeigte Schoeller vom 16. September bis zum 16. November 1988 insgesamt 42 Arbeiten von 32 Künstlern, alle Werke datierten aus der Zeit 1957-60.
[i] Ute Grundmann, „Die Kunst im Kontrast“, in: NZR (Neue Rhein/Ruhr Zeitung), Nr. 217, 16.09.1988: „Seit 1983 begleiten sie [parallel-Aktionen] große Ausstellungen mit einer gemeinsamen Aktion.“.
Schoeller sprach dazu vorbereitend unter anderem auf den Messen wie in Basel mit Besitzer*innen von Werken aus der Zeit – Sammler*innen, Künstler*innen – und bemühte sich um Exponate, die auch verkäuflich sein sollten. Unterstützt wurde er insbesondere von Piene, der unter anderem das Plakat zur Ausstellung gestaltete[i] und auch als Leihgeber für Exponate fungierte. Der Blick auf die Leihgeber*innenliste zeigt, dass grundsätzlich ein größerer Teil der Werke von Künstlern geliehen wurden – teilweise die eigenen Werke, aber teilweise auch Arbeiten von den Künstlerkollegen, die sie besaßen. Ferner unterstützte das städtische Museum Leverkusen Schloss Morsbroich mit einer Leihgabe. Die Werke selbst stammten nicht nur aus der Zeit, sondern hatten oft auch konkrete historische Bezüge: Almir Mavigniers Verschiebung eines Zentrums (Störung) war ebenso wie Yves Kleins rotes, rundes Keramikobjekt o.T.[ii] auf der 7. Abendausstellung 1958 ausgestellt gewesen, Verheyens Bild ohne Titel auf der Biennale Sao Paulo 1967, Ueckers Skulptur Dancer of New York war in Amsterdam bei der Ausstellung Null 1965 und in der bereits thematisierten Ausstellung von Mack, Piene und Uecker in Bonn 1966 zu sehen gewesen.
[i] Brief von Hubertus Schoeller an Otto Piene, Düsseldorf, 09.08.1988; mit handschriftlicher Antwort von Piene an Schoeller, 16.08.1988. Das Plakat wurde für 15,- DM – signiert für 50,- DM – in der Galerie verkauft.
[ii] Leihgeber des letzteren Werks war niemand anderes als Architekt Werner Ruhnau, wie die Presse kommunizierte, siehe Helga Meister, „Aus der Jugend der ZERO-Stars“, in: WZ (Westdeutsche Zeitung), 05.11.1988.
Die lokale Presse lobte die Schau als „museumsreife Ausstellung“[i], es war von einem „Andrang […] auf die „Zero“-Ausstellung der Galerie Schoeller“[ii] die Sprache. Schoeller hatte bewusst die Kooperationsveranstaltung der Düsseldorfer Galerien gewählt, um möglichst viel Aufmerksamkeit für seine Ausstellung zu erhalten. Im Anschluss an das positive Echo entschied er sich, nachträglich einen Katalog zum Ausstellungsprojekt zu veröffentlichen. Auch hier spielte Piene eine Rolle, wie Schoeller sich erinnert:
[i] Meister (wie Anm. 20); ebenso o.V., „Von Galerie zu Galerie. Die goldenen Jahre der Avantgarde“, in: Düsseldorfer Hefte, Nr. 19, 01.10.1988.
[ii] b.m., „Auftrieb bei ‚parallel‘“, in: Rheinische Post, Nr. 218, 19.09.1988.
„Ich hatte die ZERO-Ausstellung gemacht und dann fand Piene sie so wichtig, dass er sagte, ich müsste den Katalog noch dazu herausgeben. Das habe ich dann auch gemacht. Ohne Piene wäre der ganze Katalog nicht entstanden. Die Zusammenarbeit war sehr eng, er hat mich viel unterstützt und ich ihn auch, das war wechselseitig. Es gab den Vorteil, dass die Katalogkonzeption posthum nach der Ausstellung war und ich Zeit hatte zu arbeiten. Was man heute mittlerweile schnell über das Internet herauskriegen kann, war damals grundsätzlich sehr schwierig zu ermitteln und ging nicht so schnell.“
In der Tat lässt sich anhand der Archivalien bestehend aus Korrespondenz mit Galerien, Museen, Sammler*innen und Wissenschaftlicher*innen nachvollziehen, dass Schoeller mehr als ein halbes Jahr intensive Recherche, Konzeption und Redaktion betrieben hat.[iii] Charakteristisch für den Katalog Schoellers ist sein Anspruch über eine reine Dokumentation der Ausstellung hinauszugehen: Neben der Reproduktion der ausgestellten Werke und Installationsfotos enthielt er Statements der drei ZERO-Künstler[iv] zum damals gegenwärtigen Stand von ZERO, eine archivarische Dokumentation mit Einladungen aller Abendausstellungen[v], den Covern der ZERO-Hefte mit Inhaltsverzeichnissen und historischen Fotos aus der ZERO-Zeit. Darüber hinaus – und hier war der arbeitsintensive Einsatz gefragt – hatte Schoeller ein chronologisch sortiertes „Verzeichnis der Ausstellungen der Gruppe Zero“ erstellt. Daraus überführte er dann die Künstler*innen in ein alphabetisch sortiertes Verzeichnis, aus dem zu entnehmen ist, an welchen ZERO-Ausstellungen sie in chronologischer Reihenfolge teilgenommen hatten. Wieso kam es dazu? Schoeller erinnert sich:
[iii] Vgl. ZADIK, A 71, VIII: Zero-Katalog, Zero Ausstellung 1959-1996: Hier sind Schreiben für den Zeitraum vom 19.04. bis 28.09.1989 gesammelt. Notizen auf den Schreiben zeigen, dass viele Informationen auch mündlich bzw. telefonisch eingeholt wurden.
[iv] Schoeller 2023 (wie Anm. 10): „Und dann hatte ich Mack, Piene, Uecker gebeten, ihre Sicht der Dinge zu ZERO heute wiederzugeben. Piene schreibt dann ganz klar: ZERO ist heute noch gültig, Mack sagt, das war eine wichtige Periode, aber es ist vorbei und Uecker geht gar nicht darauf ein, was auch eine Antwort ist.“.
[v] Schoeller 2023 (wie Anm. 10): „Ferner waren alle 9 Einladungen der Abendausstellungen enthalten, die ich von Piene erhalten hatte.“.
„Mich hatte immer gestört, dass, wenn Sie Mack, Piene, Uecker fragen, wer gehört zu ZERO, Sie drei unterschiedliche Antworten erhalten. ZERO war ja nie eine feste Gruppe, sondern ein Freundeskreis, wie Piene immer sagte. Insofern kann man nicht sagen, das und das gehört zu ZERO, sondern: Das war der enge Kern, das war der mittlere Bereich und das war der Außenbereich. Um das einmal auf eine etwas objektivere Basis zu stellen, hatte ich ermittelt, wer an den ZERO-Ausstellungen teilgenommen hat und das dann umgegliedert: Man kann so sehen, an wie vielen ZERO-Ausstellungen ein Künstler teilgenommen hat. Das ist das einzige objektive Kriterium für die Frage, welchen Künstler man in welchem Umfang zu ZERO zählt. Man kann nicht nummerisch vorgehen und sagen, wer viermal teilgenommen hat gehört dazu und wer dreimal nicht. Es ist eine sachliche Grundlage.“
Mit zeitlicher Distanz zum Projekt reflektiert Schoeller: „Es war ein Anhaltspunkt, wobei ich es heute anders machen würde. Ich habe damals nur die Ausstellungen aufgenommen, die ZERO auch im Titel hatten. So fielen einzelne, wie die Antwerpener Ausstellung [Vision in Motion – Motion in Vision, 1959 im Hessenhuis, NOH], raus und Adolf Luther ist nicht drin – das würde ich heute mitaufnehmen.“ Dieses ambitionierte Vorhaben benötigte eine umfangreiche Recherche und die Mithilfe zahlreicher Personen und Einrichtungen. Schoeller fragte nach Bestätigung der Durchführung der jeweiligen Ausstellungen, den Künstlerlisten, erbat die Zusendung von Flyern oder Einladungen oder um Kauf des zugehörigen Katalogs – dies hat zu einer reichhaltigen Materialsammlung von Ephemera aus der historischen Zeit von ZERO im Bestand Schoeller geführt, ein richtiger Quellenfundus, der gleichzeitig auch bereits damals die geografische Ausdehnung physisch veranschaulichte.[vi] Nicht umsonst gestaltete Schoeller anknüpfend an eine Idee von Heinz Mack eine Weltkarte der ermittelten ZERO-Ausstellungen, welche direkt auch für den Galeristen einen neuen Erkenntniswert hatte, da die veranstalteten ZERO-Ausstellungen eine dominante Nord-Süd-Ausdehnung sichtbar machten. Die geografische Visualisierung beispielsweise von Ausstellungen oder Kunstmessen ist eine Methodik, die in den letzten Jahren dominanten Eingang in die Ausstellungsforschung gefunden hat, oft mit Unterstützung der Digital Humanities. Schoeller hat diesen Ansatz avant la lettre fruchtbar gemacht und hält selbst fest: „Das ist mehr ein Katalog zum Forschen und Arbeiten als ein Bilderkatalog gewesen.“ Für 76,- DM vertrieb die Galerie dann den in Eigenregie in einer Auflage von 1.500 Exemplaren produzierten Katalog. Das Erscheinen der Publikation wurde mit einem ganz der ZERO-Tradition verpflichteten Fest am 9. Dezember 1989 gefeiert. Dazu berichtet Schoeller:
[vi] Vgl. ZADIK, A 71, VII.
„Der Katalog kam nach der Ausstellung raus, deshalb musste dann eine Präsentation gemacht werden und das war das ZERO-Fest. Die ganzen Ideen dazu waren von Piene. […] Ich habe vier Wochen nur für dieses Fest gearbeitet, es war ein Highlight in meiner Laufbahn. Und nur mit persönlicher Einladung kam man rein. Piene hatte schwarz-weiß als Motto für das Fest vorgegeben. Ich bin aber ein Gegner allen Mottos und Zwangsvorgaben. Also habe ich die Einladung ohne das Motto gedruckt. Piene hat das dann aber verlangt, und so wurde das Motto nachträglich schräg oben drüber gedruckt. Es kamen auch alle in schwarz-weiß, Uecker hatte die Hälfte schwarz, die andere weiß. Der Einzige, der sich nicht darangehalten hat, war Piene selbst. Ich muss sagen – insofern pater, peccavi –, das hat er mir nachher erzählt: Das war sein Anzug, den er zu seiner ersten ZERO-Vernissage getragen hat. Es war im Wesentlichen auch Pienes Idee, eine Prozession über den Maxplatz mit Wunderkerzen und sonstigen Geschichten zu realisieren. Sein Assistent, Günter Thorn, hat hierzu 100 Tonpapier-Zylinder gemacht. Da war dann auch alles dabei, was zu ZERO gehörte, an Sammlern wie an Künstlern. […] Das war wieder wie zu der Zeit damals: Es geschah eigentlich nichts Besonderes und trotzdem viel. Denn sich einen Zylinder aufzusetzen, ist ja keine große Geschichte, aber es hatte seinen eigenen Charakter und seine eigene Note.“
Der von Schoeller beschriebene und von Werner Raeune in einer Videosequenz gefilmte festliche ZERO-Abend fand am besagten Datum von halb neun Uhr bis Mitternacht in der Galerie Schoeller statt. Tatsächlich knüpfte das Motiv des schwarzen Pappzylinders an Vergleichbares in der ZERO-Geschichte an: Auf der Expositie Demonstratieim Dezember 1961 in der Galerie A in Arnheim waren bereits schwarze Pappröhren mit weißen ZERO-Schriftzügen getragen worden.[vii] Am 10. Februar 1964 waren Mack, Uecker und Piene im Düsseldorfer Karneval beim Rosenmontagsumzug mitgezogen und hatten dort ebenfalls schwarze, hohe Papphüte getragen.[viii] Ergänzt wurde dieses bereits im Einsatz gewesene Element mit den Wunderkerzen. Auffällig ist die Wertschätzung, die die Beteiligten den Requisiten beim Fest zukommen ließen: Erkannt als Sammelobjekt ließen sie sich die Hüte von den Künstlern signieren, ebenso den Katalog.
[vii] Foto 29.2 in: 4 3 2 1 ZERO, hrsg. von Dirk Pörschmann, Mattijs Visser, Düsseldorf 2012, S. 510-526, hier S. 454.
[viii] Caianiello (wie Anm. 4), S. 510-526 beschäftigt sich eingehend mit den ZERO-Präsentationen und ihren Verbindungen zu vergangenen Avantgarden wie Dada und insbesondere Futurismus. Sie zeigt hier S. 521 f. ebenso die Verbindung der drei Düsseldorfer Künstler zu karnevalistischen Elementen auf.
Beachtlich war die Resonanz zum Fest: Bereits visuell im Film und auf den Fotografien zeigt sich eine große Menschenmenge. Eine Notiz auf einem Bierdeckel im Archivbestand bestätigt, dass 410 Personen angemeldet waren und schließlich 350 kamen.
Schoeller selbst bewertet die Bedeutung für die Sichtbarkeit für ZERO hoch:
„Da ist, würde ich sagen, ZERO dann das erste Mal wieder auferstanden. Denn das erste Mal, soweit ich mich erinnere, machte das Kunsthaus Zürich [Zero: Bildvorstellungen einer europäischen Avantgarde 1958-1964, 01.06.-05.08.1979, NOH][i] [nach dem offiziellen Ende der Bewegung, NOH] eine sehr gute ZERO-Ausstellung, dann war eine Pause.“
[i] Laut Ursula Perucchi-Petri gab die Ausstellung „zum ersten Mal einen historischen Rückblick auf das Phänomen Zero“, in: Zero. Bildvorstellungen einer europäischen Avantgarde. 1958 – 1964, hrsg. von Ursula Perucchi-Petri, Ausst.-Kat. Kunsthaus Zürich, Zürich 1979, S. 6. Darin enthalten waren neben kunsthistorischen Texten zu den Künstlern der Ausstellung einzelne historische Fotos, Textauszüge unter anderem aus vergangenen Katalogen, Interviews und 20 Künstlerbiografien.
„Akribisch ist hier aufgelistet, was für diese Künstlergruppe charakteristisch ist: […] Weil dies zum erstenmal [sic] und so komplett geschieht, hat Galerist Schoeller damit das längst überfällige, jetzt umso nachdrücklicher hervorzuhebende Handbuch und Nachschlagewerk vorgelegt.“[v]
[v] Kur, „Schoeller, Düsseldorf“, in: Handelsblatt, Nr. 26, 06.02.1990. S. 26.
Tatsächlich gab es zum Ende der 1980er Jahre eine gewisse Bewegung in der Sichtbarkeit für ZERO. Eine Rolle spielte dabei die Privatsammlung Lenz Schönberg, die zu mehreren Orten weltweit tourte.[ii]Für die damalige Rezeption hielt Armin Zweite aber 1988 im zugehörigen Katalog noch fest: „Trotz vielfältiger Bemühungen läßt sich freilich kaum sagen, daß die Ziele von ZERO einen größeren Stellenwert im Bewußtsein der kunstinteressierten Öffentlichkeit gewonnen hätten.“[iii] Mit Blick auf die kunsthistorische Bearbeitung sind deshalb Projekte von Bedeutung, die mit wissenschaftlichem Anspruch die Historie aufarbeiteten, wie die Promotionsschrift von Anette Kuhn[iv] 1988 und auch Schoellers Publikation. Die Presseberichte zeigten sich dementsprechend von seiner Dokumentation beeindruckt: „Akribisch ist hier aufgelistet, was für diese Künstlergruppe charakteristisch ist: […] Weil dies zum erstenmal [sic] und so komplett geschieht, hat Galerist Schoeller damit das längst überfällige, jetzt umso nachdrücklicher hervorzuhebende Handbuch und Nachschlagewerk vorgelegt.“[v] Mit dieser Einschätzung sollte der Autor recht behalten: Schoeller schuf mit seiner Publikation ein wichtiges Nachschlagewerk, das sicher die Grundlage für einige in der Folge durchgeführte Museumsausstellungen gewesen ist. Günter Herzog bewertete sie 2006 zurückblickend als „eine der bis dahin vollständigsten Dokumentationen zur Geschichte der Bewegung“.[vi]
[ii] Nach einer frühen Präsentation im Frankfurter Städel 1974/75 war die Sammlung bereits 1985 in größerem Umfang in einem Kinosaal der Salzburger Innenstadt gezeigt worden und dann kurz nach Schoellers Eröffnung der Ausstellung Gruppe Zero Ende September 1988 in der Städtischen Galerie im Lenbachhaus in München. Vgl. ZERO. Vision und Bewegung. Werke aus der Sammlung Lenz Schönberg, hrsg. Städtische Galerie im Lenbachhaus, Ausst. Kat., München 1988. Schoeller (wie Anm. 10) erinnert sich 2023 auch an die internationalen Präsentationen: „In den 90er Jahren war es dann die Sammlung Lenz, die als Ausstellung durch die Welt lief – Madrid, Moskau.“ Vgl. Sammlung Lenz Schönberg: eine europäische Bewegung in der bildenden Kunst von 1958 bis heute, hrsg. von Hannah Weitemeier, Ausst.-Kat. Zentrales Künstlerhaus am Krimwall Moskau, Stuttgart 1989.
[iii] Armin Zweite, „Vorwort“, in: Städtische Galerie im Lenbachhaus (wie Anm. 30), S. 7-8, hier S. 7.
[iv] Kuhn hat sich in ihrer Promotionsarbeit Zero und Yves Klein. Aspekte einer deutschen Avantgarde der sechziger Jahre bei Eduard Trier in Bochum als eine der Ersten intensiv auf wissenschaftlicher Ebene mit ZERO beschäftigt.
[v] Kur, „Schoeller, Düsseldorf“, in: Handelsblatt, Nr. 26, 06.02.1990. S. 26.
[vi] „ZERO ist gut für dich“, in: sediment – Mitteilungen zur Geschichte des Kunsthandels, hrsg. von Zentralarchiv des internationalen Kunsthandels, Heft 10, Nürnberg 2006, S. 7.
Die enge Verbindung zwischen Schoeller und ZERO ließe sich für die weiteren Jahre noch ausführlicher darstellen, weitere Projekte könnten beleuchtet werden. Immer wieder bot seine Galerie Präsentationen rund um ZERO eine Plattform – so auch für die gemeinsame Vorstellung der bereits erwähnten Monografie Zero. Mack, Piene, Uecker von Heiner Stachelhaus mit dem Econ-Verlag am 12. Mai 1993.[i]
[i] Im Vorwort seiner Publikation konstatierte Stachelhaus (wie Anm. 6) zur damaligen Resonanz für ZERO: „Ein zusätzliches Motiv [diese Publikation zu verfassen, NOH] ist das Interesse der Sammler, Museen und Galerien für Zero, das in den letzten Jahr peu à peu zugenommen hat.“
Der nachhaltige Einsatz von Hubertus Schoeller für ZERO und die konstruktiv-konkrete Kunst allgemein zeigte sich aber auch über die Galerietätigkeit hinaus: Im Jahr der Schließung seiner Galerie gründete er 2003 die am Leopold-Hoesch-Museum in Düren ansässige Hubertus-Schoeller-Stiftung, die seine Sammlung konstruktiv-konkreter Kunst umfasst. 2006 war er Mitinitiator der im Museum Kunstpalast unter der Generaldirektion von Jean-Hubert Martin gemeinsam mit Heike van den Valentyn und Mattijs Visser kuratierten Ausstellung ZERO. Internationale Künstler-Avantgarde der 50er/60er Jahre: Impulse zu Letzterer wurden in einem Gespräch mit Otto Piene und Jean-Hubert Martin in der Galerie Schoeller entwickelt.[i] Im Kontext dieser Ausstellung wurden auch die schwarzen Pappzylinder des Schoeller´schen ZERO-Festes wieder aufgegriffen. Die international ausgerichtete Retrospektive war zudem wesentlicher Anstoß für die Gründung der ZERO foundation 2008[ii], deren Freundeskreis Schoeller lange Zeit als Vorsitzender vorstand. Die fortwährende Verbundenheit zwischen Galerist und Künstlern spiegelt sich auch im Folgenden von Hubertus Schoeller erinnerten Ausspruch wider:
[i] In dieser Zeit lassen sich auch weitere Ausstellungprojekte rund um ZERO erkennen: Die Sammlung Lenz Schönberg wurde im Salzburger Mönchsberg vom 21.01.-26.03.2006 gezeigt, dann fand die Ausstellung des ZADIK Zero ist gut für dich auf der Cologne Fine Art vom 15.-19.02.2006 statt.
[ii] Vgl. www.kunstpalast.de/de/programm/sammlung/zero-foundation (04.01.2024), siehe auch www.zerofoundation.de (04.01.2024).
„Und das sagte Piene auch ganz klar: ‚Die Galerie Schoeller wäre ohne ZERO nicht denkbar und ZERO ist ohne die Galerie Schoeller nicht denkbar.‘“