F Feuer
by Sophia Sotke
Das Element Feuer in den Werken der ZERO-Künstler*innen
Den größten Wald- und Buschbränden in der Geschichte der Europäischen Union fielen in diesem Sommer über 174.000 Hektar Land in Griechenland zum Opfer.[i] Ebenso erlebte Kanada im Jahr 2023 die verheerendste Waldbrandsaison seit Beginn der Aufzeichnungen.[ii] Diese Katastrophen werden unter anderem bedingt durch Hitzewellen, durch die menschengemachte globale Erwärmung verstärkt, wobei die ökologischen Folgen für Flora und Fauna verheerend sind. In diesem Zusammenhang erleben wir in unserer hoch technologisierten Zivilisation das Feuer als überwältigende, elementare Naturgewalt, so wie es die Menschen in der Antike erlebt haben müssen. Auch die Christen nahmen das Naturelement über Jahrhunderte als „Strafe Gottes“ wahr, als Fegefeuer und Glut der Hölle.[iii] Gebändigt und gehütet ist das Feuer aber die Basis von Technik und Kultur: als Herd- und Schmiedefeuer und vor allem als Lichtquelle. Diese Duplizität im Charakter der Elemente beschrieb bereits Ovid (43 v. Chr.-17 n. Chr.) in den Metamorphosen (1. Jh. n. Chr.). Seine naturphilosophischen Betrachtungen beschreiben die Natur als
[i] Vgl. Seasonal Trend for European Union – Fires mapped in EFFIS of approx. 30 ha or larger, in: Copernicus. Europe’s eyes on Earth. https://effis.jrc.ec.europa.eu/apps/effis.statistics/seasonaltrend(6.10.2023).
[ii] Vgl. Dan Stillman, „This is Canada’s worst wildfire season on record, researchers say“, in: The Washington Post, 15. September 2023. https://www.washingtonpost.com/weather/2023/09/13/canada-wildfire-smoke-climate-change/(6.10.2023).
[iii] Gernot Böhme, Harmut Böhme, Feuer, Wasser, Erde, Luft. Eine Kulturgeschichte der Elemente, München 2014, S. 287.
Einer Generation angehörig, deren Aufwachsen auch von der Erfahrung des Zweiten Weltkriegs (1939-1945) bestimmt war, erlebten die ZERO-Gründer Heinz Mack (*1931) und Otto Piene (1928-2014) während ihrer Kindheit und Jugend das Element Feuer in seinen negativen Implikationen. So machte Mack ein Foto mit seiner „Ziehharmonika-Agfa“, als die Stadt Krefeld bombardiert wurde. Dies führte – unbewusst, so Mack – zur späteren Zeichnung Schwarze Strahlung, 1960, deren Kohleschraffuren wie die Lichtstreifen der Flakscheinwerfer in die Höhe ragen.[i] Und als Piene seine Lichtballette entwickelte, berief er sich auf seine Erfahrungen als jugendlicher Luftwaffenhelfer[ii]: „Wir haben es bisher dem Krieg überlassen, ein naives Lichtballett für den Nachthimmel zu ersinnen, wie wir es ihm überlassen haben, den Himmel mit farbigen Zeichen und künstlichen und provozierten Feuerbrünsten zu illuminieren.“[iii]
[i] Heinz Mack, Leben & Werk, Köln 2011, S. 54-55, hier S. 68.
[ii] Thomas Kellein: Zwischen Sputnik-Schock und Mondlandung. Künstlerische Großprojekte von Yves Klein zu Christo, Stuttgart 1989, S. 62.
[iii] Otto Piene, „Wege zum Paradies“, in: ZERO 3, hrsg. von Heinz Mack, Otto Piene, Düsseldorf 1961, o. S.
In der ZERO-Kunst finden wir instabile und flüchtige Substanzen wie das Feuer, den Rauch, und darüber hinaus auch Eis, Wasser, Nebel, Wind und Licht, womit die Künstler eine „Immaterialisierung“ ihrer Werke anstrebten.[i] Sie erklärten die vier Elemente zu den Materialien ihrer Kunst, um das Verhältnis zwischen Mensch und Natur zu harmonisieren.[ii]Diese Absicht veranschaulichten Mack und Piene in der Publikation ZERO 3, deren erste Seiten Abbildungen der Sterne im Nachthimmel, der Sonne hinter einem Wolkenschleier, der Meeresoberfläche mit Reflexen des Sonnenlichts, einer geschlossenen Schneedecke sowie Sanddünen in der Wüste zeigten.[iii] Mack, Piene, Uecker und ihren Künstlerfreund*innen ging es darum, den gesamten Kosmos zu berühren, was ihre Werke, Texte und Projekte verdeutlichen.
[i] Ulrike Schmitt, Der Doppelaspekt von Materialität und Immaterialität in den Werken der ZERO-Künstler 1957–67, Diss. Köln 2013, S. 12.
[ii] Caroline de Westenholz, „ZERO ON SEA“, in: ZERO 5. The Artist as Curator. Collaborative Initiatives in the International ZERO Movement, 1957-1967, hrsg. von Tiziana Caianiello, Mattijs Visser, Ghent 2015, S. 271-395, hier S. 376.
[iii] Heinz Mack, Otto Piene (Hrsg.), ZERO 3, Düsseldorf 1961.
Ein in diesem Zusammenhang wichtiger Text ist das Sahara-Projekt von Heinz Mack, konzipiert 1958/59 und erstmals publiziert 1961 in ZERO 3. Mack entwarf darin einen Jardin Artificiel mit dreizehn Stationen, in denen seine skulpturalen Objekte mit dem Raum und dem Licht der Wüste interagieren. Das Projekt beruht auf der Überlegung, dass künstlerische Artefakte, die das Licht auf ihrer Oberfläche fangen, sammeln und potenzieren, in einem immensen, lichtdurchfluteten Raum wie der Sahara zu vibrierenden „Lichterscheinungen“ werden. Im Sahara-Projekt finden sich viele Vorschläge zur Integration von Feuer in den Jardin Artificiel: Raster aufsteigender Rauch- und Feuersäulen, Katapulte des Lichtes und künstliche Sonnen.[i]
[i] Vgl. Heinz Mack, Das Sahara-Projekt, 1959 (Archiv Mack).
In den Jahren nach der Konzeption seines Projektes reiste Mack mehrfach in die Sand- und Eiswüsten der Welt, um seinen Jardin Artificiel zu verwirklichen, wobei seine Expeditionen in die größten Sandmeere der Sahara, das Grand Erg Oriental sowie Occidental, besonders hervorzuheben sind. In Tunesien drehte er mit Hans Emmerling (1932-2022) und Edwin Braun 1968 Teile des vielfach ausgezeichneten Films Tele-Mack und 1976 fand die Expedition in künstliche Gärten nach Algerien statt, welche der Fotograf Thomas Höpker (1936-2024) für den Stern und in einem opulenten Bildband dokumentierte.[i]
[i] Tele-Mack, 1968, Regie: Hans Emmerling, Heinz Mack, Kamera: Edwin Braun, 45 Min., 40 Sek., Institut für Moderne Kunst Nürnberg, produziert von Telefilm Saar GmbH im Auftrag des Saarländischen Rundfunks und WDR/Westdeutsches Fernsehen; Axel Hecht, „Heinz Mack / Thomas Höpker. Expedition in künstliche Gärten“, in: SternNr. 45 (Jg. 29), 4.-10.11.1976, S. 36-56 (Archiv Mack); Henri Nannen (Hrsg.), Expedition in Künstliche Gärten, Hamburg 1977.
1997 realisierte Mack weitere Stationen des Sahara-Projektes in der Wahiba-Wüste des Oman. Er installierte dort eine 14 Meter hohe Lichtstele aus 21 Aluminiumreflektoren, die durch dünne Nylonseile verspannt und gehalten wurden. Er positionierte die Stele auf dem Kamm einer hohen Sanddüne und wartete die Abenddämmerung ab, um das perfekte Foto zu machen. Während des Sonnenuntergangs, der in der Wüste nur wenige Minuten dauert, gelang es Mack, eine unverwechselbare, einmalige Lichterscheinung fotografisch festzuhalten. Die untergehende Sonne wurde in jedem der 21 Reflektoren als roter Lichtball vielfach multipliziert, während Himmel und Sand sich im gleichen Ton einfärbten.[i] In ihrer Bezogenheit auf das rote Abendlicht steht auch die Große Lichtstele, wie Mack sie in der Wahiba Wüste fotografierte, im Zusammenhang mit dem Element Feuer, mit der Glut der Sonne, die den Rhythmus von Tag und Nacht bestimmt, die Leben, Licht und Farbe auf unserem Planeten bedingt.
[i] Uwe Rüth: „Heinz Mack und sein Sahara-Projekt“, in: MACK – Licht der Wüste, Licht des Eismeers, hrsg. von ders., Marl 2001, S. 17-62, hier S. 34.
Das Foto der Großen Stele in der Wahiba-Wüste bringt ferner den medialen Aspekt des Sahara-Projektes zum Vorschein. Mack brachte die Spiegelreflektoren in die Wüste, installierte dort seine Lichtstele und fotografierte sie. Danach deinstallierte er die Stele und transportierte das Material in Einzelteilen zurück ins Atelier.[i] Die Lichtstele wurde lediglich für einen kurzen Zeitraum in der Wahiba-Wüste zur visuell erfahrbaren Realität, während die Rezeption der Betrachter*innen allein über die fotografische Wiedergabe erfolgt.
[i] Sophia Sotke, Mack – Sahara. Von ZERO zur Land Art – Das Sahara-Projekt von Heinz Mack, 1959-1976, München 2022, S. 104.
Als 1969 Tele-Mack im Westdeutschen Rundfunk ausgestrahlt wurde, plädierte Mack, der Filmsei keine Reportage über eine Kunstausstellung, sondern der Film selbst sei die Ausstellung: „Premiere und Ausstellungsdauer sind identisch.“[i] Es ginge darum, Kunstwerke ausschließlich und nur einmalig im Fernsehen zu zeigen. „Alle Objekte, die ich in dieser Ausstellung zeigen werde, können nur durch das Fernsehen dem Publikum bekanntgemacht werden und werden auch von mir wieder zerstört“[ii], so Mack.
[i] Mack zit. n. Eo Plunien, „Silberstelen in der Sahara“, in: Unbekannt, 23.1.1969 (Archiv Mack).
[ii] Mack zit. n. Barbara Hess, „Abendschau. Drei Filme über Kunst“, in: Ready to Shoot. Fernsehgalerie Gerry Schum, hrsg. von Ulrike Groos u. a., Köln 2003, S. 9-21, hier S. 19.
Im Film Tele-Mack wird ein weiteres Werk von Mack gezeigt, das gleichsam die lichtvolle und destruktive Kraft des Feuers nutzte. Erstmals 1963 für die Messe Foire de Paris entworfen, bestand das Feuerschiff aus einem Floß mit einem dachstuhlartigen Holzgerüst, das auf dem Wasser in Aktion geriet. Es verband die Elemente Feuer und Wasser, wobei das Wasser zur Reflexionsfläche des Feuers wurde. Auf dem Holzgerüst waren Feuerwerkskörper montiert, an den Streben waren mit Phosphor getränkte Elemente angebracht und auf dem First wurden Wannen voller Benzin zu einem Feuerkamm entzündet. Mack hatte eine Choreografie des Feuers vorbereitet, die er mittels Fernsteuerung präzise bestimmte. Auf einem Baggersee nahe Mönchengladbach inszenierte Mack das Feuerschiff für den Film Tele-Mack, indem er es an einer Schnur auf einen See gleiten ließ, um die Pyrotechnik darauf stündlich zu entzünden. „Aber es war ein feuchter Abend, und die Fernzündung funktionierte nicht“, erinnerte sich Hans Emmerling. „So mussten wir das Schiff wieder an Land ziehen und mit einer Fackel anzünden. Als alles brannte, haben wir es mit drei Kameras aufgenommen.“[i] Als Konstruktion, die zunächst ein Lichtspektakel aufführte, um sich schließlich selbst zu zerstörten, ist das Feuerschiff ein immaterielles Lichtereignis, welches die Materialität des Werks überwindet.[ii] „Obwohl es so scheinen mag, dass ich meine Arbeit ausschließlich dem Licht gewidmet habe“, schrieb Mack 1966, „so muss ich jedoch erklären, dass es allein meine Absicht stets war und noch immer ist, Gegenstände zu machen, deren Erscheinungsweise immateriell ist […].“[iii] Neben Licht und Bewegung dient ihm hierzu das Feuer.
[i] Hans Emmerling im Gespräch mit Annette Bosetti, in: Jürgen Wilhelm (Hrsg.), Mack im Gespräch, München 2015, S. 55-62, hier S. 60.
[ii] Das Feuerschiff wurde 1968 für den Film Tele-Mack auf einem Baggersee nahe Mönchengladbach aufgezeichnet, weitere Aufführungen fanden 1979 bei Lichtfesten in Duisburg und Stuttgart, sowie 2010 im Düsseldorfer Medienhafen statt.
[iii] Heinz Mack, Licht ist nicht Licht, 1966 (Archiv Mack), S. 1.
1960 veranstaltete Mack eine Hommage à Georges de La Tour in der Galerie Diogenes, Berlin. Ein Bild des Barock-Künstlers, in dessen Malerei das Kerzenlicht omnipräsent ist, wurde an die Wand projiziert.[i] Mack zeichnete die Konturen der dargestellten Kerze nach und malte sie mit phosphoreszierender Farbe aus. Nach der Eröffnungsrede schaltete er die Projektion des Bildes aus, sodass nur noch das phosphoreszierende Wandbild der Kerze in der Dunkelheit zu sehen war. Darüber hinaus stellte er 200 brennende Kerzen in strenger, serieller Ordnung auf einen zwei Quadratmeter großen Spiegel im Souterrain der Galerie. „Am Abend der Vernissage füllten etwa ebenso viele Menschen die Souterrain-Räume und es entstand bald eine große Wärme“[ii], erinnerte sich Mack. Mittels eines weißen Tischtuchs, das zwei junge Frauen zunächst in eine Wasserschale tauchten, wurde das Fakir ähnliche „Feuerbrett“ gelöscht, indem sie das Tuch über die wabernde, vibrierende Feuerfläche spannten, um es dann in dem Moment fallen zu lassen, als Mack beim Countdown „ZERO“ ausrief. „In der so unvermittelt eintretenden Dunkelheit projizierte unser inneres Auge ein irreales Nachbild.“[iii] Die Kerzeninstallation wiederholte Mack in abgewandelter Form 1966 in der Galerie Schmela in Düsseldorf.
[i] Das Werk „Die Auffindung des Heiligen Sebastian“, um 1649, ist eine Kopie des Werkes von Georges de la Tour in der Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin.
[ii] Heinz Mack, „Kommentar zur ‚1. Hommage à Georges de la Tour‘ in der Galerie Diogenes, Berlin 1960“, in: MACK. lichtkunst, Köln 1994, hrsg. von Kunstverein Ahlen e.V., S. 180-181, hier S. 181.
[iii] Mack (wie Anm. 21).
Auch Otto Piene, dessen „Feueratelier“ sich in der ZERO foundation befindet, nutzte die destruktive Kraft des Feuers als Strategie künstlerischer Kreation. 1957 hatte er begonnen, Schablonen mit gestanzten Löchern zu verwenden, um Farbe auf die Leinwand aufzutragen.[i]An diese Rasterbilder knüpften ab 1959 seine Rauchzeichnungen an, für die Piene den Rauch eines Kranzes von Kerzen oder Petroleumlampen durch Raster auf das Papier „siebte“. Der durch die Löcher schwelende Rauch hinterließ eine punktförmige Struktur auf der Oberfläche, die ein seriell strukturiertes Spiel von Licht und Schatten evozierte. Piene verwendete darüber hinaus eine Technik des Gelierens der Farbe auf der Leinwand mithilfe von Feuer. Er entzündete auf die Leinwand aufgetragene Lacke, um eine dichte schwarze Oberfläche mit subtilen Farbvariationen und manchmal figurativen Formen zu schaffen. Seine Feuerbilder zeigen die Krusten und Blasen, welche die Hitze auf der Leinwand hinterließ, und werden häufig von runden Formen dominiert, die an die Sonne oder den Mond erinnern. Poetische Titel wie Die Sonne brennt (1966) nehmen Bezug auf die Gestirne und die Elemente.[ii]
[i] Vgl. Edouard Derom: „The New Definition of Painting”, in: ZERO. Countdown to tomorrow, 1950s-60s, hrsg. von Solomon R. Guggenheim Museum, New York 2014, S. 88.
[ii] Vgl. Susanne Rennert, Stephan von Wiese (Hrsg.), Otto Piene, Retrospektive, 1952-1996, Ausst.-Kat. Museum Kunstpalast, Köln 1996, S. 51; vgl. auch Edouard Derom: „Burning, Cutting, Nailing”, in: Solomon R. Guggenheim Museum (wie Anm. 23), S. 142.
Manfred Schneckenburger (1938-2019) bezeichnete Piene als „Magier“ der Elemente Feuer, Luft und Licht. Piene sei „der präziseste künstlerische Stratege für die diversen Kreuzungen des Tafelbildes mit den neuen Verfahren, Licht, Feuer und Rauch […].“ Seine Bilder seien „Manifestation der Elemente selbst“, denn Piene erkunde die natürlichen Schmelzprozesse von Pigment, Rauch, Fixativ und Feuer. Daraus entstünde eine Malerei, in der das Fließen, Strömen, Gelieren, Absterben und die Blasenbildung noch im Moment ihrer Gerinnung angehalten werden. Damit verwandele Piene das Tafelbild in ein Instrument zum Einfangen, Strukturieren und Nuancieren einer immateriellen optischen Energie.[i]
[i] Manfred Schneckenburger, „Die schiere Schönheit und der Wolkenzug“, in: Otto Piene, hrsg. von Ante Glibota, Paris, Hong Kong 2011, S. 87-89, hier S. 87-88.
Die beiden ZERO-Gründer Mack und Piene waren nicht die einzigen, welche die Destruktion durch Feuer zur Kreation ihrer Kunstwerke nutzten. Besonders die Mitglieder der Nouveaux Réalistes, die sich 1960 um den Kritiker Pierre Restany (1930-2003) zusammentaten, wie Arman (1928-2005) und Niki de Saint Phalle (1930-2002), verwendeten Feuer und Destruktion als Strategie künstlerischer Schöpfung.[i] Der Schweizer Daniel Spoerri (*1930) fügte dem Magazin ZERO 3 eine Pyromanische Anleitung hinzu. Auf der letzten Seite der Publikation wurden die Leser*innen dazu aufgefordert, das Heft mit einem beigefügten Streichholz zu verbrennen. Nachdem detailliert erklärt wurde, wie man ein Streichholz anzündet, hieß es dort:
[i] Arman collagierte einen explodierten Feuerwerkskörper auf Papier oder sprengte in einer spektakulären Aktion einen Sportwagen, den er dann als quasi-zerstörtes Readymade an der Wand präsentierte (White Orchid, 1963). Einen ähnlich destruktiv-kreativen Ansatz verfolgte Niki de Saint Phalle ab 1960 mit ihrer Serie der Tirs, vgl. Pierre Restany, „Die Beseelung des Objekts“ (1961), in: ZERO und Nouveau Réalisme. Die Befragung der Wirklichkeit, hrsg. von Stiftung Ahlers Pro Arte, Kestner Pro Arte, Hannover 2016, S. 57-64.
„Unterwerfen Sie die vorliegende Zeitschrift Zero 3 demselben Prozeß, indem Sie die vorhandene Hitze ausnützen. Dazu müssen Sie das flache Stäbchen nah genug an die Broschüre halten, die bewußt aus einem Material hergestellt wurde, das demselben Verwandlungsprozeß unterliegt.“
Darüber war ein Sonnenblumenkern geklebt und mit dem Hinweis versehen: „Jean Tinguely empfiehlt Ihnen, diesen Sonnenblumenkern in gute Erde zu pflanzen, bevor Sie folgende Anleitung befolgen.“[i] Die destruktive Geste des einen wird hier durch den kreativen Impuls des anderen Künstlers wieder aufgehoben.
[i] Daniel Spoerri, „Pyromanische Anleitung“, in: Mack, Piene 1961 (wie Anm. 10), o. S.
Ähnlich wie Macks Feuerschiff zeigen die selbstzerstörenden Installationen von Jean Tinguely (1925-1991) die Kraft des Feuers und der Explosion als ephemeres Kunstereignis. 1960 veranstaltete er im Garten des Museum of Modern Art die aufsehenerregende Homage to New York, bei der sich eine kinetische Skulptur von monumentaler Größe in einem automatisierten Prozess selbst zerstörte.[i] Nach dem Erfolg in New York wurde das amerikanische Fernsehen auf Tinguely aufmerksam und produzierte in der Wüste von Nevada einen Film über seine Study for an End of the World, No. 2,1962. Gemeinsam mit Niki de Saint Phalle versammelte er Trümmer, Schrott, Sperrmüll, Feuerwerkskörper und Dynamit auf dem Jean Dry Lake in Nevada. Der Aufbau der Skulptur sowie ihre spektakuläre Explosion wurden von dem Sender NBC aufgezeichnet.[ii] Wie bei Macks Feuerschiff aus dem Film Tele-Mack erfolgt die Rezeption dieses Werks ausschließlich über die filmische Wiedergabe. Anders als das ephemere, eindrückliche Lichtereignis, das Mack bezweckte, verstand Tinguely seine „Studie zum Weltuntergang“ aber als soziopolitischen Kommentar zu einer Welt der überflüssigen und entsorgten Konsumgüter.[iii]
[i] Vgl. Tiziana Caianiello, „Between Media: Connections between Performance and Installation Art, and their Implications for Conservation“, in: Beiträge zu Kunst und Kulturgut 1/2018, S. 102-110, hier S. 103-104.
[ii] Die erste Study for an End of the World fand 1961 im Louisiana Museum, Humlebæk, Dänemark, statt, vgl. Emily Eliza Scott, „Desert Ends“, in: Ends of the Earth, Land Art to 1974, hrsg. von Philipp Kaiser, Miwon Kwon, München, London, New York 2012, S. 67-91, hier S. 68.
[iii] Vgl. Scott (wie Anm. 29), S. 76.
Während Tinguely und Saint Phalle die Explosion zelebrierten, nutze Yves Klein (1928-1962) das Feuer zur Fertigung von Malerei, Skulptur und Architektur. Sein erstes Experiment mit dem Feuer war das Tableau de feu blue d’une minute (1957), eine blau bemalte Holztafel, auf der er sechszehn bengalische Feuer entzündete. Bei dessen Präsentation in der Galerie Colette Allendy schuf Klein ein virtuelles IKB[i] als Nachbild im Auge des Betrachters, da sich das Feuer mit dem Blau zu einem immateriellen Monochrom verband. Ab 1961 entstanden dann seine Peintures de Feu, die er mit Flammenwerfern fertigte.[ii] Im Krefelder Museum Haus Lange fand 1961 die Ausstellung Yves Klein – Monochrome und Feuer statt, wobei im Garten des Hauses eine Feuermauer mit 100 Flammen sowie Feuerfontänen präsentiert wurden.[iii] Klein betrachtete das Feuer, wie alle vier Elemente, als zentrales Element der Architektur, was er in dem Projekt für eine Luftarchitektur, gemeinsam mit dem Architekten Werner Ruhnau, in ZERO 3 zum Ausdruck brachte.[iv]
[i] International Klein Blau ist ein von Yves Klein erfundenes tiefes Blau, vgl. Robert Fleck, Yves Klein – L’aventure allemande, Paris 2018, S. 24-25.
[ii] Colette Angeli: „Peindre avec le feu. Aubertin, Burri, Klein, Peeters, Piene“. In: Le Ciel Comme Atelier. Yves Klein et ses Contemporains, hrsg. von Claire Bonnevie, Metz 2020, S. 82-83.
[iii] Vgl. Antje Kramer-Mallordy, Rotraut Klein-Moquay, Yves Klein Germany, Paris 2017, S. 193.
[iv] Yves Klein, Werner Ruhnau, „Projekt für eine Luftarchitektur“, in: Mack, Piene 1961 (wie Anm. 10), o. S.
Die Werke der ZERO-Künstler, die das Feuer integrieren, befinden sich in einem Spannungsfeld zwischen Kreation und Destruktion. Während Tinguely und Saint Phalle ihre Arbeiten mittels destruktiver Gesten schufen[i], zelebrierten Mack mit seinem Feuerschiff, Piene mit seinen Feuerbildern und Klein mit seinen Feuerfontänen das Licht und die Farbe des Elements Feuer. Das Licht der Kerzenflamme findet sich in Bernard Aubertins (1934-2015) Tableaux-feu de poche[ii]und Macks Hommage à Georges de La Tour. Darüber hinaus beschäftigten sich weitere ZERO-Künstler mit der Kraft des Feuers, deren Werke und Projekte an dieser Stelle nicht vertieft wurden, etwa Henk Peeters mit seinen Pyrographien oder Günther Uecker mit der Beschießung des Meeres mit Feuerpfeilen (1970).[iii] Gemeinsam haben alle Künstler, dass sie mit dem Feuer eine Immaterialisierung ihrer Werke anstrebten. Im Zusammenhang mit den auf sie einwirkenden Kräften und Energien rufen die Materialien dieser Kunstwerke selbst unabhängige, mit der Zeit veränderliche Konstellationen hervor, sodass sich das Werk erfassen lässt als das zeitweilig die Objektgrenzen Überschreitende und bei der Betrachtung aktuell in Erscheinung Tretende.[iv]Bei ephemeren, destruktiven Arbeiten wie dem Feuerschiff oder Study for an End of the World No. 2 verlagert sich die Existenz des Kunstwerks deshalb vom realen Objekt in die mediale Wiedergabe.
[i] Restany (wie Anm. 26), S. 64.
[ii] Die Tableau-feu de poche von Bernard Aubertin wurden nur kreiert, um danach wieder verbrannt zu verbrennen. Das Streichholz wurde deshalb zum Signet Aubertins, vgl. Angeli 2020 (wie Anm. 32), S. 82-83. Mack betitelte sein Werk Der Engel des Bösen, um 1968, mit einem Gruß an Aubertin, da es sich um ein Projekt für ein zehn Meter hohes Streichholz handelte, vgl. Kunstverein Ahlen 1994 (wie Anm. 21), S. 182-183.
[iii] Zu Peters vgl. Angeli (wie Anm. 32), zu Uecker vgl. Katrin Salwig, Klaus Gereon Beuckers: „Verzeichnis der Aktionen von Günther Uecker, 1958-1975“, in: Günther Uecker, die Aktionen, hrsg. v. Klaus Gereon Beuckers, Petersberg 2004, S. 219-228.
[iv] Schmitt (wie Anm. 8), S. 12.