A Atelier
by Ann-Kathrin Illmann
Das Atelier in der Gladbacher Str. 69. Eine multiple Räumlichkeit
Die Worte von Heinz Mack (*1931) auf die Bitte, die Örtlichkeiten seiner gemeinsam mit Otto Piene (1928–2014) genutzten Werkstätte im Hinterhaus der Gladbacher Straße 69 in Düsseldorf zu schildern, entpoetisieren. Sie führen weg von der im kollektiven Bewusstsein verankerten Vorstellung des Ateliers als geheimnisvollem, mythischen Ort der künstlerischen Schöpfung, wie es zahlreiche bildliche Darstellungen à la Gustave Courbet (1819–1877) zu evozieren pflegen und entwerfen das Bild eines „anderen“ Raumes. Dabei bezieht sich diese Andersartigkeit in erster Linie gewiss auf den Kontrast zum skizzierten Topos. In der Aussage von Mack klingt zugleich ein differenziertes Verständnis von Raum an, das zwischen dem gebauten, physischen und als solchen sichtbaren Raum – demjenigen in der alten Fabrik – auf der einen Seite und dem in diesen tatsächlichen Raum hineinprojizierten Raum – dem Atelier – auf der anderen Seite unterscheidet.
Die Idee einer doppelten oder auch multiplen Räumlichkeit an ein und demselben geografischen Ort findet sich in einem posthum veröffentlichten Text von Michel Foucault (1926–1984) wieder.[i] In Andere Räume entwickelte er das Konzept der Heterotopie in Abgrenzung zur Utopie
[i] Michel Foucault, „Andere Räume“ (im Original „Des espaces autres“, 1967), übers. von Walter Seitter, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, hrsg. von Karlheinz Barck, Peter Gente, Heidi Paris, Leipzig 1990, S. 34–46.
[i] Michel Foucault, „Andere Räume“ (im Original „Des espaces autres“, 1967), übers. von Walter Seitter, in: Aisthesis. Wahrnehmung heute oder Perspektiven einer anderen Ästhetik, hrsg. von Karlheinz Barck, Peter Gente, Heidi Paris, Leipzig 1990, S. 34–46.
„Es gibt gleichfalls – und das wohl in jeder Kultur, in jeder Zivilisation – wirkliche Orte, wirksame Orte, die in die Einrichtung der Gesellschaft hineingezeichnet sind, sozusagen Gegenplazierungen [sic] oder Widerlager, tatsächlich realisierte Utopien, in denen die wirklichen Plätze innerhalb der Kultur gleichzeitig repräsentiert, bestritten und gewendet sind, gewissermaßen Orte außerhalb aller Orte, wiewohl sie tatsächlich geortet werden können. Weil diese Orte ganz anders [Kursivierung im Original] sind als alle Plätze, die sie reflektieren oder von denen sie sprechen, nenne ich sie im Gegensatz zu den Utopien die Heterotopien [Kursivierung im Original].“[i]
[i] Ebd., S. 39.
Diese „anderen Räume“ entstehen nach Foucault dann, wenn die Gesellschaft einem Ort eine oder mehrere spezifische Funktionen überschreibt, die sich nicht unmittelbar aus dessen Topografie erklären oder von dieser ableiten lassen. Erlischt diese bestimmte Aufgabe, löst sich die Heterotopie auf oder gleicht sich den neuen Umständen an. Ein zentrales Charakteristikum besteht folglich darin, dass sie von den Mitgliedern der Gesellschaft jederzeit beliebig umgewertet werden können. Heterotopien sind keine statischen Gebilde, sondern machen Orte zu wandelbaren Räumen, deren Verständnis und damit einhergehend auch deren jeweilige Bedeutung sich erst aus der Analyse all jener Kontexte ergibt, in denen diese Räume konstituiert werden.
Der Definition zufolge bezeichnet der ursprünglich aus dem Französischen stammende Terminus des Ateliers, der ab der Mitte des 19. Jahrhunderts im deutschen Sprachgebrauch Verwendung fand, die Werkstätte einer kunstschaffenden Person. Unabhängig davon, ob diese eigens zu diesem Zweck errichtet wurde oder einst eine andere Funktion besaß, ist die Deklaration eines Raumes als Atelier demnach allein an die Künstler*innen und deren Intention geknüpft. Der diskursive Ansatz von Foucault hilft dabei, diesen starren Fokus zu verlagern und betrachtet das Atelier von Mack und Piene in der Gladbacher Straße 69 in Düsseldorf, in der die Geschichte von ZERO ihren Anfang nehmen sollte, hier über die begriffliche Erklärung hinaus als potenziell multidimensionale Räumlichkeit, die gleichermaßen auch von der anderen Seite, von dem Kreis der Besucher*innen geformt werden konnte. Neben den verschiedenen nutzungsspezifischen Aspekten des Ortes zeigt sich im Hinblick auf Mack und Piene als aktive Gestalter des Raumes auf diese Weise zudem ein differenzierter Umgang mit dessen Inszenierung, bei der sie den Topos Atelier je nach Anlass bewusst zu negieren versucht oder aber als Instrument gezielt eingesetzt haben.[i]
[i] Die Idee, Foucaults Theorie der Heterotopie auf das Atelier anzuwenden, stammt von Eva Mongi-Vollmer, die sich auf diese Weise mit den verschiedenen Ausprägungen des Ateliers im deutschsprachigen Raum während der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts beschäftigte. Siehe Eva Mongi-Vollmer, „Das Atelier als ‚anderer Raum‘. Über die diskursive Identität und Komplexität des Ateliers im 19. Jahrhundert“, in: Kunstforum International, Nr. 208, 2011, S. 92–107.
Kerzen, ein umgedrehtes Glas, offene Farbdosen, verschiedene Flaschen, Kartons, eine kleine Tischuhr sowie eine Vielzahl weiterer Utensilien liegen wild durcheinander und sich stapelnd auf dem Deckel eines Flügels, der darunter als solcher kaum mehr zu erkennen ist. Überall finden sich Spuren künstlerischen Schaffens – der Korpus des hier scheinbar zur Werkbank umfunktionierten Musikinstruments, der Fußboden, die Staffelei im Hintergrund, das komplette Mobiliar ist von hellen Farbrelikten überzogen. Vereinzelt liegen Papierreste herum, daneben Kanister in den unterschiedlichsten Größen. Und inmitten des kreativen Chaos: sein Urheber mit einem seiner berühmten Raster in den Händen.
Die Fotografie von 1958 zeigt Piene in seinem Atelier und ist augenscheinlich arrangiert. In Anzug mit Fliege, vor allem aber mit dem schwarzen Rastersieb vor der Brust, jenem Werkzeug, mithilfe dessen er sich vom Habitus der gestischen Malerei zu distanzieren und eine Vereinheitlichung der Fläche anzustreben begann, inszenierte Paul Brandenburg den Mitbegründer von ZERO an der Klaviatur sprichwörtlich den Ton angebend als Repräsentant einer neuen Kunstauffassung. Die klare, gleichmäßige Struktur des Rasters steht im deutlichen Kontrast zur Unordnung der Materialsammlung vor ihm, über die er hinwegsieht, den Blick streng nach vorne wie in die Zukunft gerichtet. ZERO ist der (Neu-)Anfang, so scheint die programmatische Devise der Darstellung zu lauten, die das Studio eindeutig in den Dienst des self fashionings des Künstlers stellt. Der vermittelte räumliche Eindruck scheint indes authentisch zu sein. Der Vergleich mit einer Aufnahme stärkeren dokumentarischen Charakters von Charles Wilp (1932–2005), die Piene im Begriff eine Leinwand zu grundieren wiedergibt, zeichnet ein ähnliches Bild und kennzeichnet die Räumlichkeit als schlichte, auf die künstlerische Tätigkeit ausgerichtete Werkstätte – ein Atelier per definitionem. Hier materialisiert sich die flüchtige Idee, nimmt langsam Form an und manifestiert sich schließlich im vollendeten Kunstwerk. Es herrschen eigene Regeln, die keine strikte Ordnung verlangen, sondern allein dem kreativen Prozess obliegen.
Das Atelier befand sich im Obergeschoss eines durch den Zweiten Weltkrieg teilweise zerstörten Hinterhofgebäudes der Gladbacher Straße 69 im Düsseldorfer Stadtteil Bilk, in dessen unterer Etage eine Dreherei betrieben wurde.[i] Das obere Stockwerk, zu dem eine schmale und äußerst steile Treppe direkt hinter der Holztür mit dem weißen Briefkasten führte, bestand im Wesentlichen aus drei Räumen, zwei links und einer rechts der Treppe. Letzteren hatte Mack bereits als Werk- und zeitweise auch als Wohnstätte genutzt, als sich durch den Auszug einer zuvor dort untergebrachten Ballettschule um 1955/1956 die Gelegenheit bot, den größeren der beiden auf der gegenüberliegenden Seite gelegenen Räume zu übernehmen.[ii] So taten sich Mack, Piene und Hans Salentin (1925–2009), zwischen denen sich über die gemeinsame Zeit an der Düsseldorfer Kunstakademie hinaus eine Freundschaft entwickelt hatte, mit dem Künstler Hans-Joachim Bleckert (1927–1998) und dem Werbefotografen Wilp zusammen und mieteten ihn kollektiv an.[iii] Er maß im Grundriss etwa 56 Quadratmeter und war an der Süd- und Westwand jeweils mit mehreren Fenstern ausgestattet.[iv] Als Dach diente Wellblech, das die ursprüngliche, durch den Krieg ruinös gewordene Decke ersetzte.[v] Sichtbare Stahlgitterträger stützten die Konstruktion und bewirkten, gepaart mit dem unverkleideten Ziegelmauerwerk, dass dem Raum stets etwas Industrielles anhaftete, wie es Mack in der eingangs zitierten Aussage unterstrich, um die Einfachheit der räumlichen Verhältnisse zum Ausdruck zu bringen.[vi] Piene bezeichnete sie in diesem Kontext ähnlich karg auch als „Rohbau“[vii]. Ein Oberlicht gab es nicht, ebenso wenig wie separate Sanitäranlagen, die sich die Künstler stattdessen in Form eines Toilettenhäuschens im kleinen Garten neben der Dreherei mit dieser teilten. Fror dessen über den Hof verlaufende Wasserleitung im Winter zu, suchten sie das Lokal Hafenquelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite auf.[viii] 1957 ging der Raum allein an Piene über, der ihn bis 1966, bis zur Auflösung von ZERO, behielt.[ix] Das angrenzende kleinere Studio hatte zwischenzeitlich der Bildhauer Kurt Link (1926–1996) gemietet, ehe es später offiziell von Mack übernommen wurde und teilweise als zusätzliche Fläche für die sogenannten Abendausstellungen diente[x] – jenes legendäre Unternehmen Macks und Pienes, das letztlich zur Gründung von ZERO führen sollte und das Atelier der Idee und Funktion nach über die bekannte, begriffliche Bedeutung als Arbeitsraum der Künstler hinaus öffnete.
[i] Vgl. Otto Piene, „Wo sich nichts spiegelte als der Himmel“, in: Meister (wie Anm. 1), S. 5–46, hier S. 15.
[ii] Vgl. Thekla Zell, EXPOSITION ZERO. Vom Atelier in die Avantgardegalerie. Zur Konstituierung und Etablierung der Zero-Bewegung in Deutschland am Beispiel der Abendausstellungen, der Galerie Schmela, des studio f, der Galerie nota und der d(ato) Galerie, Diss. Kiel, Wien 2019, S. 81.
[iii] Die Angaben darüber, wer wann welchen Raum anmietete, sind nicht immer deckungsgleich. Piene, in: Meister (wie Anm. 1), S. 15, erwähnte neben Bleckert auch Kurt Link im Zusammenhang mit der Miete für den großen Raum. Zell (wie Anm. 6), S. 81, die sich in ihren Angaben auf Pienes Aussagen stützt, lässt Bleckert unerwähnt. Mack gab allgemein an, dass das „größere Zimmer […] fünf Leute gemietet“ hatten „und das kleinere […] später Kurt Link und dann ich [Mack]“. Mack, in: Meister (wie Anm. 1), S. 55.
[iv] Vgl. Zell (wie Anm. 6), S. 83.
[v] Vgl. Piene, in: Meister (wie Anm. 1), S. 15.
[vi] Mack, in: Meister (wie Anm. 1), S. 57, verglich sein kleines Apartment sogar „fast“ mit einer „Strafanstalt“, betonte am Ende seiner Antwort aber ausdrücklich, dass sie „das Elend nicht so empfunden“ haben.
[vii] Piene, in: Meister (wie Anm. 1), S. 17.
[viii] Vgl. ebd.
[ix] Vgl. Otto Piene, „Das Gold namens Licht“, in: Das Ohr am Tatort. Heinz-Norbert Jocks im Gespräch mit Gotthard Graubner, Heinz Mack, Roman Opalka, Otto Piene, Günther Uecker, hrsg. von Anna Lenz, Ulrike Bleicker-Honisch, Ostfildern 2009, S. 91–115, hier S. 101.
[x] Vgl. ebd. Siehe auch Mack, in: Meister (wie Anm. 1), S. 55.
Derselbe Ort, nahezu aus demselben Blickwinkel aufgenommen, und doch ein gänzlich anderer Raum. Nichts erinnert mehr an die geheimnisvolle Atmosphäre, welche die Fotografie von Brandenburg ausstrahlt, dem kreativen Prozess des Künstlers auf der Spur. Zum Zeitpunkt dieser Aufnahme hat die künstlerische Produktion bereits zu einem Abschluss gefunden, wie die hängenden Gemälde unterschiedlichen Formats und Inhalts deutlich machen. Die Wände scheinen weißer. Es wurde aufgeräumt, nichts liegt mehr herum. Der Requisitenturm ist fein säuberlich aufgereihten Gläsern gewichen. Sie sind unbenutzt, die Bierflaschen im Kasten unter dem Flügel voll – offensichtlich hat die Vernissage noch nicht begonnen.
Das Bild von Salentin dokumentiert den 26. September 1957, als Mack und Piene ihre 4. Abendausstellung veranstalteten. Aus der allgemeinen Not heraus entstanden, dass im konservativ geprägten Düsseldorf der 1950er Jahre für junge, progressive Kunstschaffende kaum eine Plattform existierte, um ihre Arbeiten der Öffentlichkeit vorzustellen, hatten die beiden etwas mehr als ein halbes Jahr zuvor beschlossen, selbst aktiv zu werden und ihre berühmten Abendausstellungen ins Leben gerufen.[i] In regelmäßigen Abständen von ein bis drei Monaten öffneten sie von April 1957 bis Oktober 1958 für die Dauer von jeweils einem Abend die Tür zu ihrem Atelier in der Gladbacher Straße, um dem interessierten Publikum die neuesten Entwicklungen in der zeitgenössischen Malerei zu demonstrieren.[ii]
Die Idee, die eigene Werkstätte zum Ausstellungsraum umzufunktionieren, war nicht neu. Asmus Carstens (1754–1798) oder Jacques-Louis David (1748–1825) etwa nutzten ihre römischen Studios schon gegen Ende des 18. Jahrhunderts, um ihre Werke in eigens für die Allgemeinheit arrangierten Schauen zu präsentieren.[iii] Dass Künstler*innen neben ihren eigenen Arbeiten auch, respektive sogar primär jene ihrer Kolleg*innen ausstellten, hatte es zuvor hingegen noch nicht gegeben und markiert einen entscheidenden Unterschied. Abseits von merkantilen Gründen wie der Werbung um potenzielles Käuferpublikum[iv] und fernab des Ausdrucks von Unabhängigkeit gegenüber etablierten Instanzen wie dem Pariser Salon im Falle von Courbet oder Édouard Manet (1832–1882)[v] verfolgten Mack und Piene mit der Öffnung des Ateliers vorrangig die Absicht zu zeigen und dem künstlerischen Diskurs im wahrsten Wortsinn einen Raum zu geben. Mack erklärte Austausch zum existenziellen Bedürfnis:
[i] Vgl. Dirk Pörschmann, „‚M.P.Ue.‘ Dynamo for ZERO. The Artist-Curators Heinz Mack, Otto Piene and Günther Uecker“, in: The Artist as Curator. Collaborative Initiatives in the International ZERO Movement 1957–1967, hrsg. von Tiziana Caianiello, Mattijs Visser, Gent 2015, S. 17–57, hier S. 20.
[ii] Die Begrenzung der Laufzeit beruhte auf dem pragmatischen Grund, dass Mack und Piene tagsüber als Lehrer tätig waren und nur des Abends Zeit für eigene Projekte aufbringen konnten. Vgl. Heinz Mack, „Am Anfang war Bach“, in: Lenz, Bleicker-Honisch (wie Anm. 13), S. 35–69, hier S. 52. Schnell kristallisierte sich jedoch die gewisse Exklusivität heraus, die mit der limitierten Dauer einherging, weshalb die Veranstaltungen strategisch weiterhin als „Ein-Abendausstellungen“ beworben wurden, obgleich sie schon bald auch über den Vernissage-Abend hinaus besucht werden konnten. Vgl. Zell (wie Anm. 6), S. 80; siehe ebenso Otto Piene an Oskar Holweck (Durchschrift), Düsseldorf, 21.07.1958, Archiv der ZERO foundation, Nachlass Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.884.
[iii] Vgl. Michael Diers, „atelier/réalité. Von der Atelierausstellung zum ausgestellten Atelier“, in: Topos Atelier. Werkstatt und Wissensform (Hamburger Forschungen zur Kunstgeschichte, Bd. 7), hrsg. von dems., Monika Wagner, Berlin 2010, S. 1–20, hier S. 3.
[iv] Vgl. Oskar Bätschmann, Ausstellungskünstler. Kult und Karriere im modernen Kunstsystem, Köln 1997, S. 138. Der Autor begründet die Entwicklung zum geöffneten Atelier im ausgehenden 19. Jahrhundert mit der zunehmend notwendigen „Werbung um Publikum“, von welcher der „Ausstellungskünstler“ abhängig wurde.
[v] Vgl. Diers (wie Anm. 17), S. 3.
Piene formulierte denselben Ansatz in einem Brief an Adolf Zillmann aus der Perspektive auf die Rezipierenden: „Die Dreiheit Urheber-Bild-Betrachter ist unvollkommen, wo der Urheber den Betrachter unterschätzt. Dass das Publikum grausam irren kann, wissen wir alle; aber selbst das gehört zu seiner Rolle. Seine Sicht wird letztlich den sensiblen Künstler vorantreiben. Auch ein ordinäres Publikum hat noch etwas zu bieten. […]“[i] Und auch Klaus Jürgen-Fischer (1930–2017), der die Eröffnungsrede zur 7. Abendausstellung hielt, betonte darin die zentrale Rolle des Publikums, ohne dessen Resonanz „die Kunst leicht in Rezepten, im Risikolosen, in der Prominenz oder sogar in der Meisterschaft verdorrt.“[ii] Im geöffneten Atelier konnten alle drei Entitäten – Kunstschaffende, Werk und Besucher*innen – miteinander in den direkten Kontakt treten und den künstlerischen Dialog in der unmittelbaren Auseinandersetzung mit dem Gegenüber führen. Eine weitere Aufnahme Salentins von der 4. Abendausstellung zeigt Mack und Piene als die beiden Organisatoren des Abends in Anzug gekleidet in einem halben Stuhlkreis vor den Exponaten sitzen, die uns regelrecht auffordern, mit ihnen ins Gespräch zu kommen und den auf Kommunikation ausgerichteten Ansatz der Veranstaltung in persona veranschaulichen.
Dass dies nicht nur das ausdrückliche Anliegen der beiden Künstler darstellte, sondern ebenso eine Leerstelle auf Seiten des Publikums zu füllen schien, zeigt sich an dem beträchtlichen Zulauf, den die Abendausstellungen schon während der ersten Male erfuhren. Das Konzept traf offenbar den Nerv der Zeit, wie auch in der Presse mehrfach betont wurde, deren Berichterstattung nach der zweiten Ausstellung einsetzte.[iii] Karl Ruhrberg (1924–2006) unterstrich in den Düsseldorfer Nachrichten vom 17. Mai 1957 die „lebendige Diskussion über Wesen und Wollen der jungen Kunst“[iv] und hob die Veranstaltung somit gegenüber anderen Ausstellungen hervor, welche diesen Aspekt häufig vernachlässigten. Dabei bezog er sich ausdrücklich auch auf die „ganze Reihe interessierter Laien“[v], die sich neben den Kenner*innen unter den Anwesenden befanden und den Diskurs mitgestalteten. In einem Artikel in der Rheinischen Post wurde das „angeregte […] und anhaltende […] Debattieren“ explizit mit der „Atelierstimmung“[vi] in Verbindung gebracht beziehungsweise sogar in einen direkten, kausalen Zusammenhang gestellt und hierbei mit der Institution der Galerie kontrastiert. Im Rahmen der Abendausstellungen nahm das Atelier an der Schnittstelle zwischen Künstler*in, Werk und Öffentlichkeit eine Zwischenposition an der Seite von Galerie und Museum ein und avancierte zu einer Art Forum, das den Austausch förderte, mitunter katalysierte.[vii] Binnen weniger Monate hatten Mack und Piene aus dem Mangel an Ausstellungsplattformen für junge Kunst einen allgemeinen Ort des gesellschaftlichen Zusammentreffens geschaffen, wie ein Schnappschuss der ersten Veranstaltung zeigt, in der die Exponate vor lauter Besucher*innen kaum mehr zu erkennen sind.[viii] Der ausgeprägte soziale Aspekt, den im Unterschied zu den genannten Vorläufern im 19. Jahrhundert schon die Absicht des Unternehmens in sich trug, zog sich wie ein roter Faden bis hin zur Realisierung des Konzeptes. Mack traf rückblickend treffend die folgende Bilanz:
[i] Otto Piene an Adolf Zillmann, Düsseldorf, 21.11.1958, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.958.
[ii] Klaus Jürgen Fischer, Eröffnungsrede zur 7. Abendausstellung, 24.04.1958, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.VI.27.
[iii] Vgl. Zell (wie Anm. 6), S. 87.
[iv] Karl Ruhrberg, „Junge Bilder im alten Bilk. Ein Maler verleiht sein Atelier an die Kollegen“, in: Düsseldorfer Nachrichten, 17.05.1957.
[v] Ebd.
[vi] K-k, „Neuer Treffpunkt ‚Abendausstellungen‘. Max Bense als Gast“, in: Rheinische Post, Nr. 293, 18. Dezember 1957, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.II.32.
[vii] Vgl. Zell (wie Anm. 6), S. 60, und vgl. Diers (wie Anm. 17), S. 4. Beide beziehen sich hier auf die Einordnung des Ateliers im 19. Jahrhundert, die sich jedoch zweifellos auf die Situation von Macks und Pienes Studio übertragen lässt.
[viii] Fotografie abgedruckt bei Annette Kuhn, ZERO. Eine Avantgarde der sechziger Jahre, Frankfurt a. M., Berlin 1991, S. 14, Abb. 4.
„Das Ganze war auch ein gesellschaftliches Ereignis, ein Event. So würde man heute sagen. Auf einmal war unser Atelier mehr als nur ein Raum für Bilder. Es war ein gesellschaftlicher Treffpunkt, wo Leute zusammenkamen, die sich nie vorher begegnet waren, und dadurch einzigartig.“[i]
[i] Mack, in: Lenz, Bleicker-Honisch (wie Anm. 13), S. 52. Piene, in: Meister (wie Anm. 1), S. 18: „Die Gladbacher Straße wurde ein Treffpunkt […].“
Für die Künstler selbst tat sich damit zudem eine ideale Form des ungezwungenen Netzwerkens auf, das sie sowohl mit künstlerisch Gleichgesinnten wie Yves Klein als auch mit Galerist*innen, Kritiker*innen, Medienvertreter*innen, potenziellen Sammler*innen und Personen aus der Museumslandschaft in Kontakt brachte.[i]
[i] Schon während der ersten Abendausstellungen lernten Mack und Piene beispielsweise die späteren Sammler*innen Ilse Dwinger oder das Ehepaar Troost kennen. Vgl. Mack, in: Lenz, Bleicker-Honisch (wie Anm. 13), S. 53. Vgl. ebenso Piene, in: Meister (wie Anm. 1), S. 18, der weitere bekannte Persönlichkeiten als Besucher*innen der Abendausstellungen aufführte, darunter Rolf Wiesselmann vom WDR oder Clement Greenberg.
Neben dem impliziten Zwang, am Abend der Vernissage zu erscheinen, waren es ebenso die baulichen Umstände, die einen großen Reiz auf das Publikum ausübten. Immer wieder wurde in den Zeitungsberichten ein besonderes Augenmerk auf die spezifische Architektur des Ortes und deren teilweise baufälligen Zustand gelegt, obgleich dies von Mack und Piene so nicht intendiert war, ganz im Gegenteil. Wie Letzterer betonte, bemühten sie sich vielmehr, ihr Studio „möglichst sauber zu machen, so daß (sic) keine Ruinenromantik oder Ruinensentimentalität daraus herausgelesen werden konnte.“[i] Was in den Augen der Besucher*innen vor allem die typische Vorstellung des Ateliers als „phantasmatisch“ aufgeladener Ort des kreativen Aktes hervorrief, dessen Besuch verhieß, diesem Rätsel näher zu kommen, setzte bei den Künstlern in erster Linie Assoziationen an den Krieg und in künstlerischer Hinsicht ferner an den diesen bildlich verarbeitenden Tachismus frei, also jener malerischen Artikulation, von der sie sich in ihren Arbeiten nach und nach zu lösen versuchten.[ii] Um die Räumlichkeiten im übertragenen Sinne vom Schmutz und von der Last der Vergangenheit zu befreien und eine gedanklich sowie optisch möglichst neutrale Präsentationsfläche zu generieren, räumten sie das Atelier im Vorfeld der Veranstaltungen komplett aus und kalkten die Wände weiß, „was sowieso nötig war nach dieser tachistischen Ära“[iii], wie Mack postulierte und damit die ungewollte Verbindung herausstellte. Die an das Prinzip des White Cubes erinnernde Raumgestaltung vermochte also nicht nur die äußere Wandlung vom Atelier als Werkstätte hin zum Atelier als Ausstellungsraum zu unterstreichen, sondern verfolgte gleichfalls ideologische Zwecke – ein Plan, der trotz der geschilderten Differenzen in der Rezeption des Ortes aufgehen sollte. In einem Artikel in den Düsseldorfer Nachrichten vom 7. Oktober 1958 beschrieb ein Kritiker den Gang ins Atelier, als vollzöge sich hierbei der Weg von der kriegsverarbeitenden, dunklen tachistischen Malerei, wie ZERO sie dann zu interpretieren pflegte, zur eigenen, von Struktur und Licht geleiteten Bildsprache[iv]:
[i] Otto Piene, „o. T.“, in: Selbstdarstellung. Künstler über sich, hrsg. von Wulf Herzogenrath, Düsseldorf 1973, S. 130–152, hier S. 132.
[ii] Dazu Heinz Mack, „Gespräch mit Heinz Mack“, in: Dieter Hülsmanns und Friedolin Reske. Ateliergespräche, Düsseldorf 1966, hrsg. von Susanne Rennert, Köln 2018, S. 109–111, hier S. 109: „Wie die meisten meiner Freunde habe auch ich mich kurzfristig vom Tachismus verführen lassen. Ohne innere Überzeugung habe ich diese damals neueste aller Kunsterscheinungen mitgemacht, was zu inneren Zerreißspannungen führte. Die mehr vom Zufall abhängigen Ergebnisse befriedigten mich nicht, ich litt darunter und war verzweifelt […].“
[iii] Der vollständige Satz lautet: „Und da man […] Mitte der fünfziger Jahre, so gut wie keine Chance hatte, auszustellen, [..] ergab sich aus dieser Situation der Entschluß (sic), unsere Ateliers einmal aufzuräumen, was sowie nötig war nach dieser tachistischen Ära, die Wände weiß zu kalken und unsere neuen Arbeiten aufzuhängen.“ Heinz Mack, „o. T.“, in: Herzogenrath (wie Anm. 31), S. 104–115, hier S. 106.
[iv] Vgl. Kuhn (wie Anm. 28), S. 14.
„Gladbacher Straße: Häuserzeilen wie sonst – plötzlich Trümmermauern im Dunkel, gespiegelt in schwarzen Pfützen […]. Das düstre Gähnen eines Torwegs nimmt uns auf und führt uns in einen feuchten, dem Auge kaum abtastbaren Hof. Drüben die hellen, gegitterten Rechtecke dreier Fenster in harten Mauerkonturen. […] [Ü]ber Holzstufen steigt man eine endlose Stiege hinauf […], zwei Schritte: dann steht man im blendenden Licht kühlsachlicher Birnen, die die letzten Ritzen eines weißen weiten Mauerquadrats ausleuchten: Es ist kein Tempel, kein elfenbeinerner Turm, aber eine Enklave avantgardistischer Kunst, in Trümmern erbautes ‚Laboratorium‘ […].“[i]
[i] M. W., „Malerei im Trümmergrundstück“, in: Düsseldorfer Nachrichten, 7.10.1958, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.II.21.
Mehr zu den Abendausstellungen im Atelier
„Es ging einfach darum, zu zeigen, was wir 20- bis 25-Jährigen arbeiteten“
Im Zuge der Abendausstellungen potenzierte sich das Atelier in der Gladbacher Straße zur multiplen Räumlichkeit, deren Dimensionen über die begriffliche Definition hinausgingen. Im Ergebnis der Veranstaltungsreihe sollte sich im gewissen Sinne indes wieder ein Bogen zur ursprünglichen, etymologischen Bedeutung des Studios als Ort der künstlerischen Entstehung schlagen. Die ersten Abendausstellungen waren ohne inhaltliche Ausrichtung als allgemeine Demonstrationen der aktuellen künstlerischen Positionen konzipiert. „Es ging einfach darum, zu zeigen, was wir 20- bis 25-Jährigen arbeiteten“[i], fasste Piene die Idee rückblickend zusammen. Als Voraussetzung zur Kollaboration galt nur, dass sie „von keiner Galerie vertreten waren. Dass sie, gemessen an dem, was es damals gab, experimentierten und neue Dinge suchten“[ii]. Die stets nach demselben, schlichten Layout gestalteten Einladungskarten nennen die Namen der ausstellenden Künstler*innen. Bis auf Johannes Geccelli (1925–2011), dem später der fünfte Abend als monografische Schau gewidmet wurde, handelte es sich tatsächlich ausschließlich um abstrakt arbeitende Kunstschaffende.[iii] Diese gehörten primär der Gruppe 53 an und orientierten sich in ihren Werken am gestischen Stil des aus Frankreich stammenden Informel, wie es zu diesem Zeitpunkt auch noch Mack und Piene taten.[iv] Eine erste Wende erfolgte mit der 4. Abendausstellung im September 1957, in der Piene zum ersten Mal seine in der Sommerpause neu komponierten Rasterbilder vorstellte, mit denen er sich allmählich begann, von der vorherrschenden Bildsprache abzuwenden und einen eigenen Duktus zu entwickeln.[v] Gleiches lässt sich in Bezug auf die Konzeptionierung der Exposition beobachten, die in der Künstler*innenauswahl eine Abgrenzung von der Gruppe 53 dokumentiert.[vi] Der endgültige Paradigmenwechsel fand mit der 7. Abendausstellung im April 1958 statt, die mit dem Titel Das rote Bild erstmalig einem konkreten Thema unterstellt war. In der „Einladung zur Beteiligung“ forderten Mack und Piene die Zusendung eines Bildes „mittlerer Größe“, „dessen dominierende Farbe Rot ist“[vii] – so der Wortlaut des Rundschreibens, das sie gezielt an jene ihnen bekannte Kolleg*innen versandt hatten, in deren Werken sie eine Verwandtschaft zu ihren eigenen Arbeiten sahen, darunter zum ersten Mal auch Günther Uecker.[viii] Das zunächst als reines Experiment begonnene Projekt nahm somit zunehmend eindeutig programmatische Züge an, die sich in den kunsttheoretischen Beiträgen der ersten Ausgabe ihrer parallel zur Ausstellung im Eigenverlag publizierten und namens- sowie identitätsstiftenden Zeitschrift ZERO manifestieren sollten.[ix] Unter dem Motto Vibration folgte im Oktober 1958 die 8. Abendausstellung, die das Profil mit dem sich nun deutlicher herauskristallisierenden Ziel einer gemeinsamen künstlerischen Tendenz weiter schärfte und von der Herausgabe von ZERO 2 begleitet wurde.[x] ZERO war offiziell geboren. Dirk Pörschmann bezeichnet die Serie der Abendausstellungen retrospektiv treffend als „mythical, legendary humus of ZERO’s history“[xi]. Die Keimzelle bildete dabei das Atelier, die Werkstätte Macks und Pienes, die entschieden zum frühen Erfolg der Veranstaltungsreihe und damit zur Formung und Etablierung von ZERO beigetragen hat, und zwar sowohl aufgrund ihrer besonderen Gegebenheiten und Ausrichtung als physischer Raum wie auch als in die wahrhaftigen Räumlichkeiten hineingezeichnete „andere“ Räume. Dass das Atelier hier zu Beginn des vorliegenden ZERO-ABCs steht, resultiert zunächst aus dem Anfangsbuchstaben des Wortes, macht darüber hinaus aber auch inhaltlich Sinn, denn: Am Anfang war das Atelier (in der Gladbacher Straße 69).
[i] Piene, in: Lenz, Bleicker-Honisch (wie Anm. 13), S. 100.
[ii] Ebd., S. 101.
[iii] Vgl. Zell (wie Anm. 6), S. 85.
[iv] Vgl. ebd.
[v] Vgl. ebd., S. 91.
[vi] Vgl. ebd.
[vii] Otto Piene, Einladung zur 7. Abendausstellung (Konzept), 5.03.1958, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.I.963.
[viii] Vgl. Pörschmann (wie Anm. 15), S. 29.
[ix] Vgl. Zell (wie Anm. 6), S. 85.
[x] Vgl. ebd., S. 117. ZERO 3 wurde 1961 bei der Veranstaltung ZERO. Edition, Exposition, Demonstration bei der Galerie Schmela präsentiert. Die dritte und letzte Nummer der Zeitschrift beinhaltet Beiträge von über 30 Künstlern aus diversen Ländern und gibt eine Überschau der sich zu einer international ausstrahlenden Kunstbewegung entwickelnden ZERO-Haltung.
[xi] Pörschmann (wie Anm. 15), S. 20.
Sobald Galerien die Arbeiten von Mack und Piene in ihr Portfolio aufnahmen, stellten die beiden Künstler das in Eigenregie organisierte Unternehmen Abendausstellungen ein.[i] Die Heterotopie Ausstellungsplattform für progressive Kunst im Studio der Gladbacher Straße hatte ihre Aufgabe erfüllt, wurde daher zunehmend überflüssig und verschwand wieder. Zwei Jahre nach der achten und eigentlich letzten Veranstaltung richtete Piene noch eine als „9. Abendausstellung“ überschriebene Exposition aus, die trotz des fortlaufenden Titels jedoch als komplett eigenständiges Format einzustufen ist, wich diese konzeptionell doch grundlegend vom ursprünglichen ab. Sie fand in Kooperation mit der Galerie Schmela im Rahmen Pienes zweiter dortiger Einzelausstellung unter der Überschrift Piene. Ein Fest für das Licht statt, die am 7. Oktober 1960 in den Räumlichkeiten der Hunsrückenstraße in der Düsseldorfer Altstadt eröffnet wurde. Parallel zur Laufzeit in der Galerie inszenierte Piene in seinem Atelier an drei Abenden verschiedene Versionen seines seit etwa einem Jahr entwickelten Lichtballetts.[ii] Das Ausstellungsplakat führt beide Veranstaltungsorte auf und macht auf diese Weise deren symbiotischen Charakter deutlich, der sich ebenso im Aufbau des Posters niederschlägt. Auf derselben Zeilenhöhe angegeben – hier auf einer der Entwurfszeichnungen Pienes mit der unterstrichenen Anweisung „achsial!“ als zentrales sowie bedeutungstragendes Gestaltungsmittel markiert –, erscheinen sie sozusagen als gleichberechtigte Spielorte auf Augenhöhe, wobei die jeweils zur Schau gestellte Kunst die Bedeutung der entsprechenden Orte bestimmte respektive diese im Falle des Ateliers sogar entscheidend veränderte. Während Alfred Schmela neue Rauchbilder und Lichtgrafiken von Piene zeigte, also greifbare und beständige Arbeiten, die sich zur Vermarktung eigneten und die Funktion der Galerie bestätigten, bot der Künstler mit den verschiedenen Choreografien seines Lichtballetts selbst ein rein ephemeres Werk dar, das sich weder für eine dauerhafte Präsentation einfangen ließ noch für den Verkauf infrage kam.[iii] Es war – vor allem bei der ersten Vorführung Lichtballett„mit Folien nach Jazz“[iv], bei der mehrere Personen das Licht im Raum zum Tanzen brachten und keine Maschinen wie beim dritten, Vollelektronischen Lichtballett – just für den Moment geschaffen und nur in diesem existent und verwandelte das Atelier augenblicklich in einen „experimentelle[n] […] Aktionsraum“[v]. Hatte es bei den acht vorausgehenden Abendausstellungen in seiner grundlegenden Funktion zuvor als Fläche gedient, die mit Exponaten bespielt wurde, nobilitierte es nun zu einer Art Bühne und wurde damit selbst Teil des vorgestellten Kunststückes.[vi]
[i] Vgl. Zell (wie Anm. 6), S. 63.
[ii] Vgl. ebd., S. 125.
[iii] Vgl. ebd., S. 127.
[iv] Otto Piene, Typoskript, Düsseldorf, 3.01.1965, Archiv der ZERO foundation, NL Piene, Inv. Nr. mkp.ZERO.2.IV.58.
[v] Zell (wie Anm. 6), S. 127.
[vi] Dies gilt allerdings ausschließlich für den Moment der Aufführung. Zudem bleibt zu berücksichtigen, dass Piene seine Lichtballette in der Regel raumunabhängig erdachte und konzipierte. Sie konnten vielmehr überall projiziert werden – der Ort an sich spielte daher stets eine untergeordnete Rolle, obgleich er freilich ein werkimmanentes Kriterium darstellt, ohne welches die Installation nicht funktionieren kann.
1966 organisierte Piene in Zusammenarbeit mit Schmela noch ein Zweites Fest für das Licht. Vom 11. November bis zum 9. Dezember realisierte der Künstler mehrere Aktionen, die sich, analog zur gleichlautenden, ersten Veranstaltung sechs Jahre zuvor, auf mehrere Spielstätten aufteilten. Zu den beiden bereits bekannten Standorten kamen als dritte Location Pienes neue Atelierräume in der Hüttenstraße 104 hinzu – der heutige Sitz der ZERO foundation –, wo er an zwei Abenden Blackout 1 und Blackout 2 vorführte, zwei interaktiv angelegte Happenings, welche die Besucher*innen als Teilnehmende in die aus Diaprojektionen und Multimedia-Elementen bestehende Aktion miteinbanden.[1] In seinem alten Studio in der Gladbacher Straße führte Piene am 2. Dezember 1966 die Demonstration Die rotglühende Venus durch, im Zuge derer die Örtlichkeit ein letztes Mal in eine Performance eingespannt und zum Ereignisraum werden sollte. Im abgedunkelten Atelier erhitzte er eine frei im Raum hängende Metallplastik in Form einer kleinen Engelsfigur mit einem Bunsenbrenner so lange, bis die Bronze rot zu glühen begann und nach ein paar Minuten während des Erkaltens langsam wieder an Farbe verlor.[2] Auf dem Plakat wird die Aktion als „letzte Abendausstellung“[3] angekündigt, was verdeutlicht, dass die Bezeichnung allein im Kontext des Ateliers in der Gladbacher Straße Verwendung fand und das Format konkret an die dortigen Räumlichkeiten gebunden war.[4] Mit dem Erlöschen der rotglühenden Venus wurde dabei nicht nur die Reihe der Abendausstellungen beschlossen und die Geschichte des Ateliers in der Gladbacher Straße fand durch den folgenden Wegzugs Piene in die Hüttenstraße ein nahes Ende. Im Rahmen der Eröffnung der Ausstellung Zero in Bonn in den Städtischen Kunstsammlungen in Bonn am 25. November 1966 hatten Mack, Piene und Uecker eine Woche zuvor offiziell das Aus ihrer künstlerischen Kooperation erklärt – auch mit ZERO war Schluss.[5]
[1] Vgl. Zell (wie Anm. 6), S. 130.
[2] Vgl. Piene, in: Meister (wie Anm. 1), S. 30 f.
[3] Plakat, Piene. Zweites Fest für das Licht, Galerie Schmela, Düsseldorf, Atelier Piene Gladbacher Straße 69, Düsseldorf, Atelier Piene Hüttenstraße 104, Düsseldorf, 1966, Archiv der ZERO foundation, Vorlass Mack, Inv. Nr. mkp.ZERO.0.VII.4.
[4] Vgl. Zell (wie Anm. 6), S. 129. Interessanterweise taucht der Terminus des Ateliers ausschließlich auf den beiden Postern zum Fest für das Licht auf, das heißt nur dann, wenn es allein mit Arbeiten von Piene bespielt wurde. Die Einladungskarten der ersten acht Abendausstellungen nennen als Lokalisierung die Adresse der Gladbacher Straße 69 ohne einen Hinweis auf das Atelier von Mack und Piene zu geben, was einmal mehr den sozialen Aspekt des Unternehmens untermauert – nicht sie sollten im Vordergrund stehen, sondern die Gemeinschaft aller ausstellenden Künstler*innen.
[5] Vgl. Zell (wie Anm. 6), S. 131.